Der Beschluss war eindeutig – und die politischen Leitplanken unmissverständlich: Die CDU wird mit der AfD nicht zusammenarbeiten. Nicht auf Bundesebene und auch nicht in den Landesregierungen. Nirgends.
Doch das, was auf dem Parteitag im vergangenen Jahr in Hamburg festgezurrt wurde, scheint nun plötzlich gar nicht mehr so unverrückbar zu sein.
Kooperation mit der AfD? Dieser Vorschlag ist empörend
Nach dem für die CDU desaströsen Wahlergebnis in Thüringen laufen die Gespräche für eine mögliche neue Koalition dort auf Hochtouren. Ein Bündnis entlang der bisherigen Parteilinien scheint ausgeschlossen – reicht es doch weder für Rot-Rot-Grün noch - und erst recht nicht - für Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot.
Was also tun? CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring lehnte sich anfangs durchaus noch interessiert nach links. Doch eine Kooperation mit Wahlsieger Bodo Ramelow wurde ihm aus Berlin unmissverständlich untersagt. Wenig später verfassten 17 Thüringer CDU-Funktionäre einen offiziellen Appell, jetzt bitte doch das Gespräch mit der AfD zu suchen, um gegebenenfalls zu einer Schwarz-Blauen Minderheitsregierung oder Schwarz-Blau-Gelben Koalition zusammenzufinden.
Der Vorschlag ist empörend. Nicht nur, weil er ernsthaft in Erwägung zieht, jemanden wie den dortigen AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke in Regierungsverantwortung zu bringen. Nur zur Erinnerung: Höcke ist der Mann, der einst sagte, die Holocaust-Gedenkstätte in Berlin sei ein "Denkmal der Schande". Höcke ist auch der Mann, der seit Kurzem sogar per Gerichtsbeschluss als "Faschist" bezeichnet werden darf.
Der Vorschlag ist auch deshalb empörend, weil er suggeriert, dass eine Regierung unter Beteiligung einer völkisch-rechtsnationalen Partei in Deutschland tatsächlich wieder im Rahmen des Möglichen liegt. Nur zur Erinnerung: Eine Regierung unter völkisch-rechtsnationaler Führung in Deutschland gab es schon mal. Sie hat systematisch Menschen vergast, aufgehängt und erschossen.
All das wird eigentlich nur davon getoppt, dass es seitens der obersten CDU-Parteiführung keinerlei Reaktion dazu gibt.
Mit keinem Wort wiesen AKK oder Merkel die Thüringer Abweichler zurecht
Das muss man sich einmal vorstellen: Ein Haufen Hinterbänkler aus Thüringen kann einen derart provokanten Vorschlag machen, der die Grundsätze der Partei und die Pfeiler des politischen Anstands so hart untergräbt – und weder die Kanzlerin (aus derselben Partei!) noch die CDU-Chefin äußern sich dazu.
Mit keinem Wort wiesen Annegret Kramp-Karrenbauer oder Angela Merkel die Thüringer Abweichler zurecht. Stattdessen schickte man Generalsekretär Paul Ziemiak vor die Mikrofone und in die Twitter-Timeline. Immerhin: Ziemiak distanzierte sich und seine Partei im Interview mit dem "Spiegel" von jeglichen Überlegungen zur Kooperation mit der AfD. "Im Verhältnis zwischen Union und AfD [kann es] nur klare Kante und schärfste Abgrenzung" geben, so Ziemiak. Auf Twitter untermauerte er diese Aussage: "Die AfD sät Hass und versucht, unser Land zu spalten. Der Beschluss des Bundesparteitags bindet alle, insbesondere die in der Partei Verantwortung haben."
Eine klare Aussage – die aber in solch einem Fall nicht vom Generalsekretär, sondern von der Chefin im Ring kommen muss. Doch weder AKK in ihrer Funktion als CDU-Vorsitzende noch Angela Merkel in ihrer Funktion als Ex-CDU-Vorsitzende und amtierende Kanzlerin ließen sich zu einem Statement herab. Warum?
Merkel will nicht mehr, AKK kann es anscheinend nicht
Merkel bezog in Sachen Innenpolitik zuletzt ohnehin kaum noch Stellung. Tatsächlich verblasst die Kanzlerin zunehmend – ein Stück weit ist sie vielleicht amtsmüde. Ein Stück weit ist es auch ihre Art, unangenehmen Debatten aus dem Weg zu gehen. Und sicher macht sie wohl auch den Weg frei für ihre Nachfolge.
Nur: Gerade die von ihr präferierte potenzielle Nachfolgerin schafft es bislang einfach nicht, auf die Spur einzubiegen. Macht Kramp-Karrenbauer so weiter, dürfte sie den von Martin Schulz aufgestellten Rekord des kometenhaften Abstiegs eines Hoffnungsträgers schnell gebrochen haben.
Dabei wäre es in diesem Fall wohl eine todsichere Nummer: Im Gegensatz zur schwierigen Lage zum Beispiel in Nordsyrien, bei der sich AKK ziemlich vergaloppiert hat, liegt das korrekte Vorgehen hier auf der Hand. Es gibt einen Parteitagsbeschluss. Er gilt bundesweit. Auch in Thüringen. Das zu kommunizieren sollte für eine Parteichefin keine unlösbare Aufgabe sein.
Wenn die CDU nicht bald ihren letzten Rest Glaubwürdigkeit verlieren möchte, muss dieses erbärmliche Schweigen aufhören. Sonst lässt sich wirklich nicht mehr vermitteln, wofür diese Partei eigentlich steht. Und wer sie wählen soll.