Wie sagte es der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) am Freitag doch so treffend? "Beim Reiten von Tigern ist bekanntlich das Absteigen das Schwerste. Und wir sind jetzt beim Absteigen." Wie dieses Absteigen - sprich: der Ausstieg aus der Atomenergie - funktionieren kann, darüber hatten sich die Ministerpräsidenten bei ihren Beratungen in Berlin erstaunlich einmütig verständigt. "Für uns steht fest, dass der Ausstieg unumkehrbar sein muss", sagte Becks Amtskollege Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt. "Dazu gehört ein stufenweises Abschalten."
Drei Stunden später, nachdem die Ministerpräsidenten im Kanzleramt ihren Wunschzettel bekannt gegeben hatten, bestätigte Angela Merkel genau dies: Es wird eine stufenweise Abschaltung der noch laufenden Meiler geben. Jeweils ein Meiler wird in den Jahren 2015, 2017 und 2019 abgeknipst, danach folgen jeweils drei Meiler in den Jahren 2021 und 2022. Damit erfüllte die Kanzlerin eine Kernforderung von Opposition und Umweltverbänden, die befürchtet hatten, die schwarz-gelbe Regierung trickse beim Ausstieg herum, weil sie die neun verbliebenen Meiler erst zwischen 2021 und 2022 abschalten wolle. Noch am Mittwoch hatte Grünen-Chefin Claudia Roth im stern.de-Interview gesagt: "Merkel spekuliert auf die Vergesslichkeit der Menschen: Fukushima ist dann schon wieder so lange her, dass die Debatte dann wieder anfangen wird - nach der Devise: Ach, jetzt müssen wir doch noch mal verlängern, wir können nicht so einfach neun Meiler vom Netz nehmen."
Die "Kaltreserve"
Diese Befürchtung ist nun vom Tisch. Auch in der Frage der Endlager-Suche sind sich Merkel und die Ministerpräsidenten näher gekommen. Noch Anfang der Woche hieß es wolkig, die Regierung wolle über Gorleben hinaus "andere geologische Formationen" prüfen. Nun erfüllt die Kanzlerin eine weitere Forderung der Länder: Die Suche nach einem neuen Endlager wird bis Ende des Jahres in einem eigenen Gesetz geregelt. Damit verschwindet das Thema nicht, wie von der Opposition geargwöhnt, in schwarz-gelb dominierten Gremien, sondern durchläuft das parlamentarische Verfahren. Außerdem drehte Merkel in Sachen "Kaltreserve" bei. Schwarz-Gelb wollte eigentlich einen Atomreaktor in Baden-Württemberg für die Winter 2011/2012 und 2012/2013 auf stand-by halten, um einen Blackout zu vermeiden. Dagegen jedoch sperrte sich vor allem Winfried Kretschmann, der neue grüne Ministerpräsident des Ländles. Also einigten sich die Ministerpräsidenten darauf, dass die "Kaltreserve" ein konventionelles Kraftwerk sein müsse, betrieben mit Gas oder Kohle. Merkel stimmte dieser Absicht zu.
Viele andere Punkte sind noch offen, beispielsweise die Höhe der Mittel für die Wärmedämmung der Häuser, die Mitspracherechte der Länder bei der Planfeststellung für neue Stromtrassen oder auch die Details der Förderung Erneuerbarer Energien. Hier wollen die Länder, dass die Regierung nicht schwerpunktmäßig Off-Shore-Windparks subventioniert. Es sollen vielmehr alle Erneuerbare Energien, von Biomasse über Windkrafträder an Land bis zu Solaranlagen gleichmäßig, also "diskriminierungsfrei", bedacht werden. Der Hintergrund ist simpel: Jedes Bundesland hat eine anders strukturierte Öko-Energie-Industrie und keines will auf Fördermittel verzichten. "Für jeden ein bisschen und für mich das meiste" - das sei das heimliche Verhandlungsmotto der Ministerpräsidenten gewesen, sagte ein Teilnehmer der Besprechung.
Verlierer des Pokers
Diese Fragen aber, da sind sich alle weitgehend sicher, lassen sich lösen. Entscheidend war das Ende der "Hintertürchen"-Debatte, auch "Misstrauens"-Debatte genannt, also die immer wieder vorgetragene Befürchtung der Opposition, Schwarz-Gelb meine es nicht Ernst mit dem Atomausstieg. Selbst Kretschmann sagte, er sei "sehr zuversichtlich", dass zu einer Verständigung komme. Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, sieht einen "breiten parteipolitischen Konsens" am Horizont. Haseloff sprach gar von einem "historischen" Projekt. "Es wird mir immer in Erinnerung bleiben, dass ich eine zweite Wende miterleben durfte", sagte der Ostdeutsche.
Verlierer des großen Pokers zwischen Bund und Ländern sind eindeutig die großen Energiekonzerne, die nun noch früher als gedacht abschalten müssen. Verlierer sind auch die Atombefürworter in den Reihen von FDP und Union, die Merkel diese nochmalige Verschärfung des Ausstiegs verübeln dürften. Und Verlierer sind die Chefs der Staatskanzleien der Länder und die Fachleute der Fraktionen: Noch vor der Sommerpause soll das gesamte Ausstiegs-Paket, bestehend aus acht umfangreichen Gesetzen, verabschiedet werden, sowohl im Bundestag wie im Bundesrat. Ein Mitarbeiter einer Staatskanzlei klagte im Gespräch mit stern.de, es handele sich um mehr als 1000 Seiten Gesetzestext plus tausende Seiten Stellungnahmen von Behörden und Verbänden. Das alles müsse nun im Eilverfahren geprüft werden, um Detailkorrekturen anzubringen. Schludrigkeit könne sich in diesem Fall niemand erlauben - schließlich gehe es um eine zentrale wirtschaftliche Weichenstellung.
Stecker ziehen
Offenkundig will Merkel mit aller Kraft das Thema Atomenergie noch vor der Sommerpause beerdigen - schließlich folgen danach zwei Landtagswahlen, in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Bleiben Grüne und SPD so stark, wie es die Umfragen derzeit signalisieren, sieht die CDU auch dort keine Sonne. Damit sie über Merkel überhaupt mal wieder scheint, zieht sie nun bei einem heiklen Thema entschlossen den Stecker.