Nach dem AKW-Unfall in Japan Röttgen: "Müssen über Atomgefahren neu nachdenken"

Angesichts des AKW-Unfalls in Fukushima ist die Diskussion um die Kernkraft auch hierzulande wieder heftig entflammt. Bundesumweltminister Norbert Röttgen schließt für Deutschland zwar eine Gefahr durch atomare Strahlung aus Japan aus - sieht aber die Frage nach der Sicherheit von Atomreaktoren "neu gestellt".

Bundesumweltminister Norbert Röttgen lagen nach eigenen Angaben bereits seit dem Samstagmorgen Hinweise darauf vor, dass in dem japanischen Reaktor Fukushima 1 eine Kernschmelze im Gang sei. Es habe eine Explosion gegeben, Radioaktivität sei ausgetreten und Cäsium 137 gemessen worden, sagte Röttgen am Samstag am Rande des Parteitags der NRW-CDU in Siegen. "Die Anzeichen für eine Kernschmelze mehren sich", unterstrich der Minister. Die Situation in vier weiteren Atomblöcken in Japan sei zudem nicht genau bekannt. Deutschland stehe in Kontakt mit der internationalen Atomenergiebehörde IAEA und der OECD. Die Bundesrepublik habe zudem Hilfsmaßnahmen eingeleitet.

Für Deutschland allerdings gab Röttgen Entwarnung: Die drohende Kernschmelze stelle keine Gefahr für die Bevölkerung hierzulande dar: "Wir gehen davon aus, dass eine Gefährdung Deutschlands praktisch ausgeschlossen werden kann", sagte Röttgen. Dafür spreche einerseits die große Entfernung, andererseits trieben Winde bei der derzeitigen Wetterlage austretende Radioaktivität auf den Pazifik hinaus.

Röttgens Widersprüche in Sachen Atom-Debatte

Trotzdem stelle sich auch für Deutschland die Frage nach der Beherrschbarkeit der Risiken von Atomenergie. Im WDR2 antwortete Röttgen am Samstagnachmittag auf die Frage, ob die Bundesregierung die Verlängerung der Laufzeit für die Atomkraftwerke nun nicht doch noch mal überdenken müsse: "Der Fall ist passiert in einem Land mit hohen Sicherheitsanforderungen. Und darum nehmen wir das extrem ernst. Wir müssen rauskriegen, analysieren, wie es dazu kommen konnte. (...) Insofern bejahe ich Ihre Frage, dass sich dieser Bedarf stellt. (...) Die Grundfrage der Beherrschbarkeit von Gefahren, die ist mit dem heutigen Tag neu gestellt und der werden wir uns auch zuwenden."

Röttgen widersprach damit zumindest teilweise seinen eigenen Äußerungen vom Vormittag. Da hatte er einer neuen Atomdebatte in Deutschland wegen der derzeitigen "akuten Notlage" in Japan eine Absage erteilt. "Ich halte das, um es ganz zurückhaltend zu sagen, für völlig deplatziert", sagte Röttgen. Zuvor hatten SPD und Grüne die Bundesregierung angesichts der drohenden Atomkatastrophe in Japan zu einer Kehrtwende in ihrer Atompolitik aufgefordert. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth kritisierte Röttgens Äußerungen, dass den Menschen in Deutschland keine Gefahr drohe, als vorschnell und unüberlegt. Auch sei seine Behauptung unhaltbar, die Atomkraftwerke in Deutschland seien sicher.

"Die tragischen Ereignisse in Japan belegen die Unberechenbarkeit der Atomkraft", sagte SPD-Bundestagsfraktionsvize Ulrich Kelber der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Samstag. Auch einige deutsche Reaktoren stünden in Gebieten, in denen es zu Erdbeben kommen könnte. Weit größer als das Erdbeben-Risiko sei in Deutschland aber die Gefahr eines Terroranschlags. "Die Kuppeln der sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke sind nicht ausreichend gegen gezielte Angriffe mit einem Passagierflugzeug geschützt", betonte Kelber.

Diese Risiko-Reaktoren wie Biblis, Isar oder Neckarwestheim gehörten unverzüglich vom Netz, forderte Kelber. "Es wäre unverantwortlich, noch über Jahre massive Gefahren in dicht besiedelten Regionen Deutschlands in Kauf zu nehmen", warnte der SPD-Umweltexperte. Zumal es für den Weiterbetrieb der Meiler keinen triftigen Grund gebe. "Wenn sie die Kraftwerke morgen abschalten, steigt weder der Strompreis noch wird die Stromversorgung gefährdet", zeigte sich Kelber überzeugt.

Anti-AKW-Demonstration in Baden-Württemberg

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast stellte die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke erneut infrage. Zwar sei Deutschland kein Erdbebengebiet, sagte Künast am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Dennoch zeige das Ereignis: "Wir beherrschen nicht die Natur, sondern die Natur herrscht über uns." Deshalb müsse die Frage gestellt werden, ob nicht die falschen Entscheidungen getroffen worden seien. Dazu zähle zum Beispiel die falsche Entscheidung von Schwarz-Gelb, zwölf Jahre Laufzeitverlängerung zu beschließen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der Atomunfall in Japan wirft unterdessen auch ein Schlaglicht auf die Anti-AKW-Demonstration, die am Samstag im schwäbischen Neckarwestheim stattfindet. Tausende Atomkraftgegner wollen sich dort zu einer Menschenkette formieren. Die Kette soll 45 Kilometer lang werden, vom Atomkraftwerk Neckarwestheim nach Stuttgart zum Sitz der Landesregierung führen.

DPA
rk/DPA