Was hätte man bei dieser Bundestagsdebatte zur NSA-Affäre dafür gegeben, Gedanken lesen zu können. Wenigstens dieses eine Mal. Etwa, um zu wissen, was der noch amtierenden Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FD) durch den Kopf ging, die neben dem von ihr wenig geschätzten Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) auf der Regierungsbank saß. Oder besser: sitzen musste. Sie sah aus, als plage sie wieder einmal der Gedanke: Was redet der Kollege nur für einen Unsinn über Datenschutz? Was schwätzt er von der angeblichen Wertegemeinschaft der Deutschen mit den USA, deren Regierung nicht davor zurückschreckte, sogar das Telefon der Kanzlerin abzuhören?
Die Kunst der Gedankenleserei hätte vielleicht auch geholfen, das Kopfnicken Angela Merkels zu verstehen, mit dem sie den eindrucksvollen Redebeitrag des grünen Urgesteins Hans-Christian Ströbele wortlos kommentierte. Ströbele endete mit dem Satz: "Es geht um 80 Millionen Deutsche, die nicht abgehört werden dürfen."
Die schwarz-rote Übermacht
Angela Merkel hatte zuvor eine Regierungserklärung abgegeben - aber nicht zur NSA, sondern zum bevorstehenden Gipfel der Europäischen Union im litauischen Vilnius. Gerade einmal eine Handvoll Sätze sagte sie zur Spitzelei der Amerikaner. Die Beziehungen seien auf die Probe gestellt, das Vertrauen müsse wieder wachsen. Das war's auch schon. Danach verfolgte sie stumm die Debatte.
Seltsam war dieser Anblick. Aber vermittelte eines mit Gewissheit: Im Bundestag wird es nie wieder so sein, wie es normalerweise war. Einer starken Regierungsmehrheit saß früher eine schlagkräftige Opposition gegenüber. Die Redezeiten waren halbwegs gleichmäßig zwischen Regierungsparteien und Opposition verteilt. Doch diese demokratischen Spielregeln waren bei der Debatte über den NSA-Skandal schon nicht mehr in Kraft. Und die SPD-Redner Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann redeten als seien sie bereits die neuen Koalitionspartner der Union. Was hätten sie für ein Feuerwerk entzünden können, wenn sie wie zu früheren Zeiten gemeinsam mit Gregor Gysi, dem Fraktionschef der Linkspartei, und Ströbele Opposition gemacht hätten.
Vorbei.
Gysi fordert Nobelpreis für Snowden
Die SPD gab sich regierungsfreundlich, Linkspartei und Grüne hatten viel zu wenig Redezeit, um eine geschlossene Angriffsfront aufbauen zu können. Gysi hatte zwar einen hervorragenden Auftritt, der noch dadurch verstärkt wurde, dass nach ihm ein ebenso überzeugender Ströbele ans Mikrophon kam.
Das rot-grüne Duo stellte die unangenehmsten Fragen im Bundestag. Gysi wollte wissen, warum der Skandal zuvor als Nicht-Skandal bezeichnet wurde. Er forderte Auskunft darüber, warum die deutsche Spionageabwehr nicht gegen die Amerikaner angetreten ist. Er lobte Edward Snowden, sagte, es dürfe nicht der bestraft werden, der die Straftat benannt hat und schlug ihn für den Friedensnobelpreis vor.
Ströbele will Asyl für Snowden
Ströbele ergänzte Gysi mit der Frage an Merkel, ob sie schon einmal darüber nachgedacht habe, sich bei Snowden zu bedanken - schließlich waren es ja seine Enthüllungen, die die NSA dazu gebracht haben, das Belauschen von Merkels Handy einzustellen. Ströbele plädierte dafür, Snowden Asyl zu gewähren, das sei die "angemessene menschliche Geste". Und den CSU-Mann Friedrich attackierte er mit dem Satz: "Sie sind gegenüber den Amerikanern so devot, wie das für einen deutschen Innenminister nicht würdig ist." Ähnlich argumentierte Gysi, der von Duckmäuserei gegenüber den Amerikanern sprach. Damit sei eine Freundschaft nicht zu erhalten. Im Gegenteil.
Die SPD nahm keine der zahlreichen Gelegenheiten wahr, sich in die Phalanx der Kritiker einzureihen. Sie forderte weder Asyl für Snowden noch einen NSA-Untersuchungsausschuss. Frank-Walter Steinmeier wiederholte nur die lauen Worte der Kanzlerin: "Spionage unter Freunden gehört sich nicht." Dazu passte die abschließende Bemerkung der SPD-Rednerin Eva Högl, das Thema NSA-Skandal sei "nicht geeignet für parteipolitischen Streit".
Ende der Debattenkultur
Genau das wollen die Sozialdemokraten derzeit vermeiden. Die Steinmeier-Rede beklatschten sogar einige Unionsleute. Die Mehrheit des kommenden schwarz-roten Bündnisses ist erdrückend. Was das für die Debattenkultur bedeutet, ließ sich an diesem Montag besichtigen: nichts Gutes.