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Anwältin der Nebenklage zu Zschäpe "Wir wissen, dass sie ganz aktiv war"

Für die Hamburger Opferanwältin Doris Dierbach ist es völlig unglaubwürdig, dass Beate Zschäpe nichts von den Motiven der beiden NSU-Mörder gewusst haben will. Das Ehepaar Yozgat akzeptiere Zschäpes Entschuldigung nicht.
Ein Interview von Rainer Nübel

Frau Dierbach, wie beurteilen Sie die Aussagen, die Beate Zschäpe heute im NSU-Prozess von ihrem Anwalt verlesen ließ?

Frau Zschäpe hat nach unserer Auffassung die Anklage der Bundesanwaltschaft weitgehend bestätigt, was das Zusammenleben und den biografischen Hintergrund der Drei angeht. Man weiß jetzt, dass sie all die Jahre ganz dicht mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zusammengelebt hat und dass sie sich nach außen total abgeschottet haben. Sie hat dabei aber nur versucht, sich selbst in Distanz zu den Taten zu bringen. 

Doris Dierbach

Arbeitet seit 1990 als Rechtsanwältin in Hamburg, seit 1998 ist sie Fachanwältin für Strafrecht. Dierbach leitet mit Thomas Bliwier die Kanzlei "bdk Rechtsanwälte" in Hamburg und ist unter anderem im Bereich Wirtschaftsstrafrecht, Risikomanagement und Kapitalstrafsachen tätig. Seit 2008 ist sie zudem Richterin am Hamburgischen Anwaltsgericht.

Im NSU-Prozess vertritt sie in der Nebenklage die Familie des getöteten Halit Yozgat, der im April 2006 in Kassel erschossen wurde. Er war das neunte Opfer der NSU-Mordserie.

Was hatten Sie als Opferanwältin der Familie Yozgat erwartet und was hat Beate Zschäpe eingelöst?

Große Erwartungen hatten wir nicht gehabt. Wir haben heute im Grunde die Erklärung entgegengenommen, die zu befürchten war. Natürlich hatten unsere Mandanten die Hoffnung, dass Frau Zschäpe doch irgendwas Erhellendes zum Hintergrund dieser Tat an Halit Yozgat sagt. Da sind noch viele Fragen offen und seine Eltern hätten sich sehr gewünscht, darüber etwas zu erfahren. Das ist nicht passiert, darüber sind sie natürlich sehr enttäuscht.

Obwohl Zschäpe jahrelang mit Mundlos und Böhnhardt zusammengelebt hat, gab sie jetzt an, über das Motiv der neun Morde an Migranten nichts zu wissen. Nehmen Sie das ihr ab?

Nein, das ist gelogen. Wenn sie sich hinstellt und ernsthaft behauptet, der achte Mord sei deshalb passiert, weil die beiden im Untergrund lebenden Männer perspektivlos gewesen seien und in ihrem Leben keinen Sinn mehr gesehen hätten, dann ist das grotesk und zynisch. Und es steht überhaupt nicht in Einklang mit dem politischen Werdegang, den wir auch bei Frau Zschäpe in der Hauptverhandlung ja schon erörtert haben. Sie hat ja so getan, als hätte man eher aus folkloristischen Gründen strafbewehrtes Liedgut gesungen.

Wir wissen aber, dass sie ganz aktiv war, an Demonstrationen teilgenommen hat und in der rechten Szene fest verankert war. Von verschiedenen Zeugen wissen wir auch, dass sie keineswegs das kleine Mäuschen war, das sich von den Männern hat dominieren lassen, sondern dass sie eine selbstbewusste, taffe Person ist, die den beiden Männern durchaus gesagt hat, was sie will und was sie nicht will.  Insofern ist es völlig unglaubwürdig, wenn sie jetzt behauptet, sie habe von dem Hintergrund nichts gewusst.

Im Fall des Heilbronner Polizistenmords hat sie hingegen ein Motiv von Mundlos und Böhnhardt geliefert, nämlich die Beschaffung der Dienstwaffen. Ein Widerspruch? 

Nein. Zum einen hat es Morde, um an Waffen heranzukommen, in Terroristenkreisen früher ja schon gegeben. Möglicherweise hat sie sich da sozusagen ein Motiv ausgeliehen, um die Hintermänner, die es mit Sicherheit über Mundlos und Böhnhardt hinaus gegeben hat, zu schützen. Vielleicht stimmt das als Motiv aber auch, dann hat sie das eben gewusst. Sie hat ja auch erklärt, dass nach einem dieser vielen Morde einer der beiden ihr gesagt habe, das habe sich gegen Ausländer gerichtet.

Ist es eine kluge strafprozessuale Strategie, die Beate Zschäpe mit ihren Anwälten Grasel und Borchert gewählt hat?

Es ist auf jeden Fall keine ungewöhnliche Strategie, dass man sich an Dingen entlang hangelt, an denen man ohnehin nicht vorbei kommt, und ansonsten versucht, im subjektiven Bereich sich zu distanzieren. Wir gehen davon aus, dass Frau Zschäpe genau das ausgesagt hat, was sie aussagen wollte – auch schon zu einem früheren Zeitpunkt. Es ist ihr Recht als Angeklagte, das an Einlassungen abzugeben, was sie für richtig hält. Da hat man als Verteidiger nicht die Verpflichtung, eine Mandantin davon abzuhalten. Man kann raten, was man für klug und für weniger klug hält, aber zum Schluss ist es die Entscheidung einer Mandantin, sich in einer bestimmten Form zu äußern. Und ich gehe davon aus, dass sie genau das getan hat.

Mit Ausnahme von Tino Brandt hat sie keine Angaben zu möglichen Unterstützern gemacht. Erwarten Sie dazu von ihr weitere Aussagen?

Nein. Sie hat bisher keine Einlassungen gemacht, die die Sache erhellt hätten. Wir haben ja kein einziges Detail erfahren, was wir vor ihrer heutigen Aussage nicht schon über sie gewusst hätten. Ich gehe davon aus, dass sie Fragen des Senats schriftlich beantworten wird, aber ich gehe nicht davon aus, dass wir etwas erfahren über andere Beteiligte. Sie hat ja auch in ihrer Einlassung heute so getan, als gäbe es die ganzen Verbindungen in die rechte Szene und zu bestimmten Personen nicht. Wir haben sehr viele Zeugen gehört, die Kontakt hatten zu den Dreien. Und sie tut so, als habe sie nie falsche Ausweise verwandt und als habe es nie Personen gegeben, die sie mit Krankenkassenkarten und Ähnlichem ausgestattet hätten. Ich sehe überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass sie dies in Zukunft verändert.

Das Ehepaar Yozgat war vor Ort. Wie sind ihre Reaktionen, insbesondere auf die entschuldigenden Worte von Beate Zschäpe?

Die Eltern von Halit Yozgat haben überhaupt keine Veranlassung gesehen, die Entschuldigung als solche anzunehmen. Weil sie davon überzeugt sind, dass die Erklärung von Frau Zschäpe in wesentlichen Punkten falsch ist. Und da Frau Zschäpe in den Augen des Ehepaars Yozgat schlicht gelogen hat, was ihre eigene Rolle in diesem ganzen Kontext angeht, sehen sie sich auch nicht in der Lage, diese Entschuldigung zu akzeptieren.

Sind sie als Opferanwältin selbst auch enttäuscht?

Man hat als Nebenklägervertreterin überhaupt keine Erwartung zu haben, weil Frau Zschäpe das Recht hat, sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten hat. Aber natürlich hätte man sich gewünscht, über den Hintergrund dieser Tat etwas zu erfahren. Das ist nun nicht der Fall. Und das ist in gewisser Weise schon auch enttäuschend.

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