Parteitag der Linken Oskar Lafontaine, König der Linkspartei

Mit einer fulminanten Rede hat Oskar Lafontaine seinen Führungsanspruch bei der Linkspartei untermauert - und ein neues Ziel formuliert: "Wir müssen eine Partei gegen den Zeitgeist sein." Wer den Zeitgeist diktiert, sagte er auch: die Finanzinvestoren. Lafontaine und Bisky wurden als Parteivorsitzende wiedergewählt.

"Bravo!", "Endlich!", "Ja!" Die Zuhörer in der Cottbusser Messehalle hält es kaum auf den Sitzen, während Oskar Lafontaine redet. Es ist seine Stunde, und der Saarländer macht seine Sache ausgezeichnet. Er stiftet Identität, er vermittelt Kampfgeist, er gibt seiner Linkspartei Ziele vor. Und er jongliert clever mit den Vorbehalten gegen seine Person. Man habe ihn im Vorfeld des Parteitages einen "Stalinisten" genannt, einen Diktator, sagt Lafontaine zu Beginn seiner Rede. Das sei Quatsch. Die Linkspartei sei demokratisch, er arbeite im Team, "die Weichenstellung erfolgt durch die Mitglieder und nicht durch einzelne Personen." Großer Applaus, die Delegierten strahlen, und beobachten in der kommenden Stunde begeistert, wie Lafontaine die Weichen stellt.

Im Amt bestätigt

Oskar Lafontaine und Lothar Bisky wurden als Vorsitzende der Linkspartei in ihrem Amt bestätigt. Auf dem Parteitag in Cottbus stimmten 78,5 Prozent für Lafontaine, 81,3 Prozent votierten für Bisky

Lafontaine könnte auf die Erfolge verweisen. Die Linkspartei hat seit ihrer Gründung mehr als 10.000 Mitglieder gewonnen, sie ist in die westdeutschen Landesparlamente eingezogen, sie hat ihre Themen - vom Mindestlohn über die Pendlerpauschale bis zur Steuerfrage - auf die politische Agenda gerückt. Lafontaine hat an anderer Stelle gesagt, die Linkspartei regiere aus der Opposition heraus, die Medien bezeichnen ihn als heimlichen Kanzler. Doch Lafontaine will an diesem Samstag nicht zufrieden sein. Im Gegenteil: Ihn scheint die Sorge umzutreiben, dass seine Partei zufrieden ist, dass sie satt und faul wird.

Kämpfen, kämpfen, kämpfen

In Italien, in Spanien, in Frankreich, überall in Europa habe die politische Linke in jüngster Zeit herbe Niederlagen erlitten, warnt Lafontaine. Deshalb dürften gerade die Deutschen nicht ruhen. "Ja, es ist wahr: Viele in Europa blicken jetzt auf uns", ruft Lafontaine in die Halle. Ihr müsst kämpfen, will er sagen. Kämpfen, kämpfen, kämpfen. Das ist sein Credo, das ist sein Lebenselixier. Lafontaine redet nicht nur, er brüllt ins Mikrophon, sein rechter Arm holt weit aus, sein Zeigefinger bohrt sich ins Pult, er kann sich und andere in Rage reden. An Angriffspunkten mangelt es ihm nicht.

Natürlich dekliniert Lafontaine die Fragen der sozialen Gerechtigkeit durch. Er geißelt die Kinderarmut, er beklagt niedrige Löhne und Renten, er sagt: "Der Armutsbericht ist ein Armutszeugnis der Regierung, auch der Vorgängerregierung" und seine Anhänger jubeln. Aber Lafontaine mahnt nicht nur die Regierung, sie müsse reagieren und den Reichtum neu verteilen. Er benennt auch jene, die seiner Ansicht nach die Urheber der Situation sind: Finanzinvestoren. Der Industrielle Werner von Siemens habe 1884 gesagt, "Für den augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht". Heute sei es unter dem Einfluss der Finanzinvestoren genau anders herum. "Für den augenblicklichen Gewinn wird die Zukunft verkauft", sagt Lafontaine. Beuge sich eine Firma diesem Druck, käme es unweigerlich zu Niedriglöhnen und Entlassungen. Andere Firmen der Branche würden sich anpassen. Also gebe es eine Schlüsselfrage für die moderne Linke: "Wie begegnet die Politik dem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus?"

Gegen den Zeitgeist

Lafontaine wäre nicht Lafontaine, wenn er die Antwort nicht gleich mitliefern würde. "Hedgefonds verbieten", "Tobin-Steuer", "feste Wechselkurse", "Börsenumsatzsteuer", "keine Aktienoptionen für Manager" - die Liste, die der Parteivorsitzende präsentiert, ist lang. Doch mindestens genauso wichtig nimmt Lafontaine den kulturellen Einfluss der Finanzinvestoren. Er bemüht Goethe, Marx und Adorno, um darzulegen, dass der Zeitgeist immer der Geist der Herrschenden sei. Herrschen die Finanzinvestoren, ist der Zeitgeist neoliberal, lautet die Schlussfolgerung. Dessen sollten sich die Parteimitglieder bewusst werden und tunlichst vermeiden, das Vokabular der Neoliberalen zu übernehmen. "Wer die Sprache der Herrschenden spricht, verfestigt die bestehenden Verhältnisse", sagt Lafontaine. Seine Partei solle eine Partei gegen den Zeitgeist sein.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Es kann nur einen geben

Doch Lanfontaine will nicht nur ein Neinsager sein, Kritiker und Gegen-die-Verhältnisse- Polemisierer. Er will seiner Partei auch ein positives Ziel setzen, ihr ein Ideal einhauchen. Dafür taucht er in die Geschichte der Arbeiterbewegung ein, spricht von der Niederschlagung der Revolution 1918/19, ein Verrat in seinen Augen, ebenso wie Gerhard Schröders Agenda 2010. Die Linkspartei, suggeriert Lafontaine, werde keinen Verrat begehen und in Treue fest an der Seite der Armen und Schwachen stehen. "Freiheit und Gleichheit", so wie es Arbeiterführerin Rosa Luxemburg schon Anfang des 20. Jahrhunderts gefordert habe, das sei das Ziel. In der DDR habe es Gleichheit ohne Freiheit gegeben, in der Bundesrepublik gebe es Freiheit ohne Gleichheit. Hier sieht Lafontaine das Feld, das die Linkspartei beackern soll.

Endlich, als Lafontaine geendet hat, dürfen die Begeisterten von Sitzen aufspringen. Applaus, Jubeln, Pfiffe, er hat ihnen alles gegeben, für den Kopf und für den Bauch. Lothar Bisky, der Co-Vorsitzende der Linksparte, der zuvor geredet hat, wirkt nun erst recht wie ein braver Amtswalter, Gregor Gysi, auch er ein starker Mann in der Führung, ist angeschlagen, weil sich abermals die Anzeichen verdichten, er habe als IM für die Stasi gearbeitet. Es kann nur einen geben, und dieser eine heißt Lafontaine. Hätte es noch einer Bestätigung bedurft, dass er der König der Linkspartei ist, dann hat er sie mit dieser Rede geliefert.