Die SPD hat den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck mit überwältigender Mehrheit zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Der 51-Jährige erhielt am Dienstag beim Parteitag in Karlsruhe 512 von 515 gültigen Stimmen. Das sind 99,4 Prozent. Es gab zwei Gegenstimmen und eine Enthaltung. Platzeck löst Franz Müntefering ab, der nach einer Niederlage in einer Abstimmung über den künftigen SPD-Generalsekretär seinen Rückzug angekündigt hatte.
Diese hohe Zustimmung konnten in der SPD bisher nur zwei Politiker erzielen. 1966 erhielt Willy Brandt auf dem Dortmunder Parteitag das exakt gleiche Ergebnis wie der brandenburgische Regierungschef. Noch einen Tick besser war nur Kurt Schumacher. Auf den SPD-Parteitagen der Jahre 1947 in Nürnberg und 1948 in Düsseldorf brachte er es auf 99,7 Prozent der Stimmen.
Platzeck hat seine Partei zur Geschlossenheit gemahnt. Er sagte: "Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist mehr als die Summe ihrer Flügel und Fraktionen, ihrer Arbeitsgemeinschaften und Gliederungen." Platzeck forderte die SPD zu einer Grundhaltung der Zuversicht und des engagierten Zupackens auf. Die SPD könne ihre Ziele nur als lernende Partei erreichen.
Beck mit Traumergebnis zum Stellvertreter
Nach dem Parteivorsitzenden Matthias Platzeck hat die SPD auch seine Stellvertreter gewählt. Der rheinland- pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck wurde erwartungsgemäß mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. Er erhielt 459 von 498 abgegebenen Stimmen. Das sind 92,2 Prozent. Bei seiner ersten Wahl zum Parteivize vor zwei Jahren hatte Beck 82,6 Prozent erhalten. Beck soll den Absprachen zufolge als erster Stellvertreter von Platzeck eine herausgehobene Rolle spielen.
Die baden-württembergische Parteichefin Ute Vogt wurde mit 67,3 Prozent und damit dem schlechtesten Ergebnis aller Stellvertreter wiedergewählt. Vor zwei Jahren war sie auf 70,5 Prozent gekommen. Neu als stellvertretende SPD-Vorsitzende ziehen die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (79,9 Prozent), der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (82,1 Prozent) sowie die saarländische SPD-Politikerin Elke Ferner (83,3 Prozent) in die engere SPD-Führung ein.
Hubertus Heil mit eher magerem Ergebnis neuer SPD-Generalsekretär
Der 33 Jahre alte Hubertus Heil ist zum Generalsekretär und damit zu einem der engsten Mitarbeiter von Parteichef Matthias Platzeck gewählt worden. Heil bekam am Dienstag auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe 306 von 496 gültigen Stimmen. Das sind 61,7 Prozent. Mit Nein votierten 134 Delegierte, 56 enthielten sich. Das Ergebnis war mit Spannung erwartet worden, weil Heil im Streit um den Generalsekretärsposten eine umstrittene Rolle gespielt hatte.
"Ich will praktizieren, was unsere Partei groß gemacht hat: Solidarität", hat Hubertus Heil vor seiner Wahl versprochen. Diesen Vorsatz muss der neue SPD-Generalsekretär nun unter Beweis stellen. Nur mit Bauchgrimmen gaben viele Delegierte dem 33-Jährigen in Karlsruhe ihre Stimme. Heil gehörte zu den treibenden Kräften, die unbedingt Franz Münteferings Kandidaten Kajo Wasserhövel auf diesem Posten verhindern wollten und damit den Rücktritt des SPD- Chefs auslösten. Vom Verzicht der vom Vorstand nominierten Parteilinken Andrea Nahles profitierte Heil selbst: Er wurde vom neuen SPD-Chef Matthias Platzeck für das zweitwichtigste Parteiamt vorgeschlagen, auch wenn er bislang nicht viel praktische Erfahrung dafür vorweisen kann.
Bereits mit 16 Jahren trat der gebürtige Hildesheimer der SPD bei. Er studierte Politikwissenschaften und Soziologie und arbeitete als Mitarbeiter im brandenburgischen Landtag. Aus dieser Zeit ist er mit Platzeck freundschaftlich verbunden. Seit 1998 sitzt Heil im Bundestag. Er ist Sprecher der "Netzwerker", dem pragmatischen Flügel jüngerer SPD-Politiker. Der Hobby-Koch, der wie sein großes Vorbild Gerhard Schröder gern zur dicken Zigarre greift, gilt als analytischer Kopf. "Offenheit in den SPD-Spitzengremien, Verankerung der Partei im Leben der Menschen und ein Erfolg der großen Koalition", nennt er als seine Ziele. Auch die Debatte über ein neues Grundsatzprogramm will Heil vorantreiben. "In programmatischer Hinsicht darf die SPD dabei nicht hinter das zurückfallen, was Gerhard Schröder in seiner reformerischen Agenda verankert hat", lautet dafür die Leitlinie.
Vertrauensbeweis für Müntefering
Am Montag hatten die Delegierten einer großen Koalition mit großer Mehrheit zugestimmt. Der scheidende SPD-Chef Franz Müntefering zieht mit einem gewaltigen Vertrauensvotum seiner Partei als Vizekanzler in die neue Bundesregierung ein. Von den 518 Delegierten des Bundesparteitags in Karlsruhe stimmte am Montag lediglich der frühere Staatsminister Christoph Zöpel gegen den 65-Jährigen. In seiner letzten Rede als SPD-Vorsitzender sprach Müntefering von genug sozialdemokratischem Geist in den ausgehandelten Vereinbarungen mit der Union.
Versöhnungsgeste mit Nahles
Müntefering bat um Unterstützung für Platzeck als seinen Nachfolger und kündigte an, er werde bei der Wahl all dessen Vorschlägen für die engere Parteiführung folgen. Zusammenarbeiten wolle er auch mit der Parteilinken Andrea Nahles, deren Nominierung als Generalsekretärin ihn zum Rückzug vom Parteivorsitz veranlasst hatte. Als Nahles nach seiner Rede zu ihm eilte, strich ihr Müntefering freundschaftlich übers Gesicht.
Den Eintritt der Sozialdemokraten in die große Koalition mit CDU und CSU segnete der Parteitag bei nur zwölf bis 15 Gegenstimmen und fünf Enthaltungen ebenfalls mit überwältigender Mehrheit ab. Dafür hatten neben Müntefering auch der scheidende Bundeskanzler Gerhard Schröder und der designierte Parteichef Matthias Platzeck leidenschaftlich geworben. Die acht Ministerkandidaten der Sozialdemokraten billigte der Parteitag bei zwei Enthaltungen.
Schröder frenetisch gefeiert
Bundeskanzler Schröder, der von den rund 500 Delegierten mit frenetischem Beifall verabschiedet wurde, hatte den Parteitag aufgefordert, Müntefering als designiertem Vizekanzler "durch ein eindeutiges Votum den Rücken zu stärken". Schröder sagte in seiner Abschiedsrede als Bundeskanzler: "Wir sind in den letzten sieben Jahren einen guten Weg gegangen, und ich möchte diesen Weg mit meiner SPD weitergehen, solidarisch aber frei." Die große Koalition werde fortzusetzen haben, was mit der Agenda 2010 begonnen worden sei.
Platzeck, der heute in Karlsruhe für den Parteivorsitz kandidiert, sagte, mit dem Koalitionsvertrag sei das Modell des europäischen Sozialstaats verteidigt worden.