Patt nach NRW-Wahl Wahlverlierer Rüttgers klammert sich an die Macht

Minus zehn Prozent bei der Landtagswahl - na und? Die CDU ist formal stärkste Kraft, und deshalb beansprucht Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wie SPD-Kontrahentin Hannelore Kraft auch das Amt des Regierungschefs. Das Tauziehen um die Macht in NRW ist in vollem Gange.

Nach dem knappen Wahlausgang hat in Nordrhein-Westfalen das Tauziehen um die Macht im Land begonnen. Sowohl der amtierende Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) als auch SPD-Herausforderin Hannelore Kraft erhoben am Montag Anspruch auf das Amt des Regierungschefs. Die CDU wirbt um eine Große Koalition, die SPD für eine Ampel-Koalition mit Grünen und Liberalen, der die FDP aber erneut eine Absage erteilte. Noch nicht vom Tisch ist auch ein rot-rot-grünes Bündnis unter Einschluss der Linkspartei.

Nach dem erst am frühen Morgen vorgelegten vorläufigen amtlichen Endergebnis haben im neuen Landtag weder die bisherige CDU/FDP-Koalition noch Rot-Grün eine Mehrheit, auch für eine Regierung aus CDU und Grünen reicht es nicht. Am Ende lag die CDU bei 34,6 Prozent doch mit hauchdünnem Vorsprung vor der SPD, die auf 34,5 Prozent kam. Beide Parteien verfügen damit über je 67 Sitze. Drittstärkste Kraft wurden die Grünen mit 12,1 Prozent und 23 Mandaten. Die FDP stellt mit 6,7 Prozent künftig 13 Abgeordnete, und die Linken ziehen mit 5,6 Prozent und 11 Parlamentariern erstmals in den Landtag des bevölkerungsreichsten Bundeslands ein. Die Wahlbeteiligung sank von 63 auf 59,3 Prozent.

Rüttgers: Bei Gleichstand entscheidet die Tordifferenz

Am Abend traten die Landesvorstände der Landtagsparteien in Düsseldorf zu Beratungen zusammen. Trotz der schweren Niederlage der CDU, die mehr als zehn Prozentpunkte einbüßte und auf ihr bisher schlechtestes Ergebnis in Nordrhein-Westfalen abstürzte, will Rüttgers auch die neue Landesregierung bilden. "Ich bin im Amt. Ich bin auch willens und in der Lage, diese Aufgabe aktiv wahrzunehmen", sagte der CDU-Landeschef nach der Sitzung des geschäftsführenden Parteivorstands. Mit Blick auf den knappen Stimmenvorsprung der CDU vor der SPD bei Gleichstand der Mandate im Landtag sagte Rüttgers: "Das ist wie im Fußball. Wenn es den gleichen Punktstand gibt, dann ist derjenige vorne, der die meisten Tore geschossen hat." Jetzt sei die SPD am Zuge, ihre Position zu klären.

Mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen mit möglichen Koalitionspartnern stellte Rüttgers klar: "Es gibt einen Kern der eigenen Identität, der muss in einer guten Zusammenarbeit gewahrt sein." Er habe bisher weder Briefe geschrieben, noch Telefonate geführt, erwarte aber, "dass es in den nächsten Tagen die Gelegenheit geben wird, Kontakt aufzunehmen". Er habe allen demokratischen politischen Kräften im Land seine Bereitschaft zu Gesprächen angeboten, fügte Rüttgers hinzu.

"Keine Regierungsbildung ohne die SPD"

Obwohl die SPD am Ende doch ganz knapp nur zweitstärkste Partei wurde, sieht sich aber auch deren Spitzenkandidatin Kraft als Wahlsiegerin und beansprucht die Regierungsführung. "Fakt ist: Es gibt keine Regierungsbildung ohne die SPD. Ich möchte Ministerpräsidentin dieses Landes werden", sagte sie. Der hauchdünne CDU-Vorsprung sei unerheblich. Entscheidend sei, dass SPD und CDU gleich viele Mandate im Landtag stellten. "Wir schließen zum jetzigen Zeitpunkt nichts aus", betonte Kraft ihre Offenheit für Verhandlungen mit allen politischen Parteien. Zu einer rot-rot-grünen Koalition äußerte sich Kraft nicht, schloss aber die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch die Linkspartei aus.

Die SPD wolle zunächst "erste Sondierungen" mit den Grünen aufnehmen, um mit ihnen eine gemeinsame Plattform zu erarbeiten, sagte Kraft. Dann solle mit den Grünen festgelegt werden, mit welcher Partei als nächstes Gespräche aufgenommen werden sollen. Die SPD wolle den Grünen vorschlagen, dabei zunächst auf die FDP zuzugehen. "Der Politikwechsel bleibt unser Ziel", betonte Kraft. Sie wolle nun in ein "offenes, transparentes Verfahren" einsteigen, das mit der Partei "rückgekoppelt" werden solle. Die SPD werde inhaltliche Schwerpunkte für die Gespräche festzurren und eine Sondierungskommission ins Leben rufen, kündigte Kraft an. Eine Regierungsbildung sei nur mit der SPD möglich, betonte sie erneut.

Gabriel laviert beim Thema Linke

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel bekräftigte den Führungsanspruch seiner Partei in NRW. Die CDU sei der große Wahlverlierer, sagte Gabriel am Abend in den ARD-Tagesthemen. Und: "Man wird von der SPD nicht erwarten können, dass wir sagen, wir sind zwar gleichstark, aber ihr dürft den Ministerpräsidenten stellen."

Zu einem möglichen Regierungsbündnis unter Einschluss der Linken bekräftigte Gabriel: "Wir haben vor der Wahl gesagt, dass dies eine Partei ist, die mit ihrem Programm nicht regierungswillig und übrigens nicht regierungsfähig ist. An dieser Beurteilung hat sich jedenfalls bei mir nichts geändert." Die SPD werde zwar mit der Linkspartei reden. Wer aber solche Forderungen erhoben habe wie die Linke, "der darf nun nicht erwarten, dass wir Sozialdemokraten die für jemand halten, mit dem man eine verlässliche Regierung bilden kann".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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An die FDP appellierte er, sich Gesprächen über eine Regierungsbildung nicht zu verschließen. Der bisherige Standpunkt der Liberalen in Düsseldorf, gar nicht erst mit der SPD zu reden, sei "kein angemessener Umgang mit dem Wahlergebnis", so Gabriel. Der FDP-Landesvorsitzende Andreas Pinkwart und Fraktionschef Gerhard Papke bekräftigten aber, ihr vor der Landtagswahl geäußertes Nein zur Ampel-Koalition gelte weiter.

Grüne offen für die Linke

Die Grünen zeigten sich offen für ein Bündnis mit der Linkspartei. Die Linke müsse allerdings einsehen, dass es keine haushaltspolitische "Wünsch-dir-was-Politik" geben könne, sagte die Landesvorsitzende Daniela Schneckenburger. Auch Parteichefin Claudia Roth zeigte sich offen für Gespräche über eine rot-rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen, lehnte aber eine von der Linkspartei tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung ab. Diese Möglichkeit schloss indes auch Linken-Spitzenkandidatin Bärbel Beuermann aus. Ebenso wie Parteichef Oskar Lafontaine erklärte sie sich aber zu einer Regierungsbeteiligung bereit, sofern die Inhalte stimmten.

DPA · Reuters
APN/DPA/Reuters

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