Sie sind alle da, alle. FAZ und taz. Zeit und Welt. Süddeutsche und Berliner Zeitung, Spiegel Online und Spiegel Papier. Fernsehen sowieso. Und gleich zwei Leute vom stern. Man kann ja nie wissen. Vielleicht sagt er diesmal was. Und wenn es nur eine klitzekleine Bemerkung wäre, aus der man die Schlagzeile produzieren könnte: "Peer Steinbrück tritt an."
Macht er aber auch an diesem Abend in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg zu Berlin nicht. Pech gehabt. Andererseits: Peer Steinbrück beim Verschweigen seiner Ambitionen zuzugucken, ist allemal unterhaltsamer, als zum Beispiel eine Rede von, sagen wir mal Rainer Brüderle im Bundestag zu verfolgen.
Kanzlerkandidatur? Eine "Themenstellung" aus der Unterhaltungsbranche. Nicht mal der Begriff kommt Steinbrück über die Lippen. Es bereitet ihm sichtlich diebisches Vergnügen, die gierigen Pressebengels gleich zu Beginn seines so genannten Impulsreferats zu enttäuschen. Er weiß ja, dass alle nur deshalb gekommen sind, um zu hören, "welche Worte aus meinem Mund purzeln und zu decodieren, was sie denn bedeuten mögen". Aber keine falschen Hoffnungen, bei seinem "rasanten, fulminanten Lanzenangriff" werde er sich schon "nicht vergaloppieren", "auch körpersprachlich" nichts bieten, was man gegen – oder für – ihn verwenden könnte.
Es gibt viel zu retten
Man hätte also gleich nach den ersten zwei Minuten wieder gehen können, wenn, ja wenn Steinbrück derzeit nicht der heißeste Scheiß der Stadt wäre. Hauptdarsteller im Blockbuster der Saison: Supeerman rettet die Welt. Oder,´ne Nummer kleiner: Europa und den Euro. Wenigstens aber die SPD.
Irgendwie hat es der Bundesfinanzminister a.D. qua schierer Existenz – und ein bisschen in die Rolle geschubst von Parteichef Sigmar Gabriel – geschafft, sich zum gefühlten SPD-Kanzlerkandidaten zu mausern. Eine Entwicklung, die man vor wenigen Monaten noch für so wahrscheinlich gehalten hätte wie die Berufung von Lothar Matthäus zum Bundestrainer. In der jüngsten stern-Umfrage ist Steinbrück bereits auf Tuchfühlung mit der für die ausbaufähige Vorstellung ihrer Regierung immer noch erstaunlich populären Kanzlerin. In der Haushaltsdebatte nannte FDP-Brüderle ihn den "Genossen Pump", und CDU-Schäuble zieh ihn fehlender Manieren. Sie nehmen ihn ernst. Und ein wenig fürchten sie ihn auch schon.
Steinbrück wirbt dabei auf seine Weise: als Buchautor und Vortragsreisender. Im Oktober erscheint ein Gesprächsband mit Helmut Schmidt. Steinbrück ist mit seinem Part durch, jetzt liest der Altkanzler die Fahnen. Im Bundestag hat Steinbrück in den vergangenen zwei Jahren ein (ein!) Mal geredet, so selten wie kein anderer der sozialdemokratischen Ex-Minister. Dafür hat er eine Masse gut dotierter Auftritte vor Verbänden und in Unternehmen hingelegt, hat kurz damit geliebäugelt, in die Wirtschaft zu wechseln, dann wurde ihm klar: Er hat da noch was zu erledigen. Die Wahlniederlage 2009 wurmte ihn doch zu sehr, das Gefühl, von den Wähler bestraft worden zu sein, obwohl er maßgeblich dazu beigetragen hatte, das Land durch die Krise zu bringen.
Ein Event unter seinem Niveau
Sie hatten den Besseren abgewählt. Jetzt sollen die Bürger die Chance bekommen, ihren historischen Irrtum wieder gut zu machen. So sieht er das, höchstwahrscheinlich jedenfalls, er sagt ja nichts. Jedenfalls tingelt Peer Steinbrück, 64, in diesen Tagen als roter Messias über Land und verkündet, was die Bundesregierung alles falsch macht, dass man "für die richtige Therapie in der Analyse präzise sein" sollte, dass die EU längst eine Transferunion ist, Eurobonds verkappt längst existieren und dass an einem Schuldenschnitt für Griechenland "kein Weg vorbei" führt. In einem kurzen Satz: Wie Peer Steinbrück in "dieser sehr ernsten Situation" handeln würde. Er hastet dabei fast durch seine völlig frei vorgetragenen Sätze, vor 2000 Menschen in Essen, vor dem Managerkreis der SPD und der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Und eben auch in der baden-württembergischen Landesvertretung.
Eigentlich ist das hier eine Veranstaltung unter seinem Niveau. "Politische Rentrée", in den Jahren zuvor ein eher zwangloses Treffen nach der Sommerpause, "zum Gedankenaustausch zwischen Persönlichkeiten des politischen Lebens und Medienvertretern", wie es in der Einladung etwas hochtrabend heißt. In der Peer-Denke: Provinzkacke. Das politische Leben in seiner prominentesten Ausformung besteht an diesem Abend aus der abgelösten FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger. Auch Thomas Strobl ist da, der neue CDU-Chef in Baden-Württemberg, bekannt vor allem als Wolfgang Schäubles Schwiegersohn. Und der Herr Kretschmann, der grüne Ministerpräsident, lässt schön grüßen. Er wäre ja gerne, hatte aber leider andere Verpflichtungen...

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Die Peer-Fans aus Baden-Württemberg
Dass Steinbrück trotzdem ziemlich kurzfristig einspringt, um die "Rentrée" – Steinbrück: "Ich weiß nur, was ein Rencontre ist" – aufzuwerten und die Hütte wenigstens halb zu füllen – das dürfte neben einer Lücke im Terminkalender noch einen anderen Grund haben: Hausherr Peter Friedrich und der baden-württembergische SPD-Landeschef Nils Schmidt sind bekennende Peer-Fans. Schmidt war einer der ersten, die sich mit der Aussage aus der Deckung wagten, ein SPD-Kandidat Steinbrück "wäre eine gute Lösung", er würde das "sehr unterstützen". Und Unterstützung kann Steinbrück, der nach wie vor beim Volk beliebter ist als in der sozialdemokratischen Nomenklatura, ganz gut gebrauchen. Da schüttelt man schon mal einen kleinen Vortrag zwischendurch aus dem Ärmel.
Aber vielleicht irren sich ja auch alle, und er will er gar nicht wirklich. Vielleicht will er ja nur spielen. Und wenn schon: Es ist wenigstens ein unterhaltsames Spiel.