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Peter Sodann Kommissar Unbequem piesackt die SPD

Der Schauspieler Peter Sodann will in der Politik für Furore sorgen - und bewirbt sich auf Bitten der Lafontaine-Linken um das Bundespräsidentenamt. Vor allem die SPD könnte deshalb schlecht aussehen.
Von Manuela Pfohl

Peter Sodann als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten? Da schütteln die einen den Kopf. Die anderen werden sagen, dass es eine gute Idee ist und fragen, warum eigentlich nicht früher jemand auf die Idee gekommen ist. Peter Sodann selbst wird vermutlich in einer abgewetzten Trainingsjacke irgendwo zwischen den Büchern seiner Bibliothek im sachsen-anhaltinischen Merseburg sitzen und sich köstlich amüsieren. Nicht über den Posten, für den die Linkspartei ihn vorgeschlagen hat - und den der 72-Jährige zweifelsohne mit einem ihm eigenen ganz praktischen Ansatz fürs Leben ausfüllen würde. Motto: "So nun lasst uns mal gucken, da lässt sich doch was machen!"

Nein, er wird über all die Eiferer spotten, die die Respektabilität des höchsten Amtes im Staate gefährdet sehen, durch einen wie ihn. Einen notorisch sächselnden Schauspieler, ausrangierten "Tatort-Kommissar", einen, der ja schon einmal gekniffen hat. 2005 nämlich. Da hatte er im Juli angekündigt, als parteiloser Spitzenkandidat auf der Offenen Liste der PDS für die Bundestagswahl in Sachsen ins Rennen gehen zu wollen. Zwei Tage später zog er diese Ankündigung schon wieder zurück, weil der MDR gedroht hatte, ihn als Schauspieler nicht mehr zu beschäftigen.

Wahrscheinlich glaubt der 1936 im sächsischen Meißen geborene Peter Sodann selbst nicht an den Erfolg seiner jetzigen Kandidatur. Aber womöglich geht es ihm auch gar nicht darum. Womöglich gilt es einfach nur zu zeigen, dass da jemand ist, der es wagt, in Frage zu stellen, was bislang nie in Frage stand: Die Überzeugung, dass ein Bundespräsident staatsmännisch daherkommen muss, möglichst viel politische Erfahrung haben soll oder wenigstens, wie Horst Köhler auf dem internationalen Wirtschaftsparkett brilliert hat.

Dass Peter Sodann für einen anderen Politikstil steht, wird auch am Dienstag bei seiner offiziellen Vorstellung durch die Parteispitze der Linken deutlich. "Was soll ich denn jetzt sagen", fragt Sodann die anwesenden Journalisten, nachdem Lafontaine und Gysi ihn ausschweifend gelobt haben. Und dann erzählt er. Erzählt, dass er morgens auf der Toilette gerne Kreuzworträtsel löse, das Zusatzheft mit den richtigen Antworten aber gleich dabei habe - "wegen der direkten Erfolgserlebnisse."

"Mein Herz hat immer links geschlagen", bekennt Sodann, der sich selbst als "utopischer Sozialist" bezeichnet. Ein ausgesprochen belesener Sozialist freilich. Zur Freude der anwesenden Abgeordneten der Linkspartei trägt Sodann Gedichte von Heinrich Heine und Bertolt Brecht vor und berichtet, in Gesellschaft mit dem ehemaligen Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm am liebsten Goethe zu zitieren. Der Unterschied zu Horst Köhler - er könnte kaum deutlicher sein.

Zeit seines Lebens den Widerspruch herausgefordert

Sodann hat Zeit seines Lebens den Widerspruch herausgefordert und dafür etliche Nachteile in Kauf genommen. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie und wächst in Weinböhla in der Nähe von Meißen auf. Sein Vater ist im Krieg gefallen, seine Mutter arbeitet tagsüber. Peter Sodann liest alles, was irgendwie aufzutreiben ist: Max und Moritz, fast alle Bände von Karl May, Geschichten aus 1001 Nacht.

Nach seiner Lehre als Werkzeugmacher holt er 1957 das Abitur nach, beginnt ein Jurastudium und entscheidet sich schließlich doch für die Kunst und all die Helden der Literatur. Er wechselt 1959 an die Theaterhochschule Leipzig, wo er das Studentenkabarett "Rat der Spötter" leitet.
Er hat Spaß daran, die Politagitatoren der DDR mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Das Publikum amüsiert sich. Die Partei nicht. 1961 wird ein Programm des Kabaretts als "konterrevolutionär" eingestuft. Der "Rat der Spötter" wird aufgelöst und Sodann zu zwei Jahren Haft verurteilt. Neun Monate muss er im Gefängnis bleiben. Dann wird das Urteil zu vier Jahren Bewährung umgewandelt.

Sodann wird 1962 dazu verdonnert, in einem Leipziger Betrieb eine Ausbildung zum Dreher zu machen. Doch er hat Glück. Am berühmten Berliner Ensemble ist die Brecht-Witwe Helene Weigel auf ihn aufmerksam geworden. Sie holt den "jungen Wilden" zu sich. Sodann kann wieder das machen, was er am liebsten macht: Auf der Bühne stehen und den Menschen vom Leben erzählen, wie es ist und wie es sein könnte und wie es nicht sein darf.

"Nun haben wir wieder was gelernt"

Seit 1980 lebt und arbeitet der Vater von vier Kindern in Halle an der Saale. Erst ist er Schauspieldirektor des Landestheaters, dann bis 2005 Intendant des "neuen theaters", das zum kulturellen Zentrum der Stadt wird. Ambitioniert und engagiert drückt Sodann der Spielstätte seinen Stempel auf. Die Vorstellungen sind stets ausverkauft, das Publikum liebt die oft hintergründigen Inszenierungen, die respektlos vorführen, was keinen Respekt verdient: Duckmäuserei, Intrigantentum, Kritiklosigkeit. Sodann nimmt nie einfach etwas hin. Er fragt immer nach. Nicht rechthaberisch, aber hartnäckig. Er widerspricht in aller Öffentlichkeit, wenn er glaubt, dass es notwendig ist und macht mit seinem "Ja, aber" auch nicht vor den politischen Eliten der Bundesrepublik halt. Gegen seinen Willen muss Sodann mit Ende der Spielzeit 2004/2005 seinen Posten als Intendant räumen. Die Stadt fordert einen neuen Chef. Im Theater und bei Sodanns Anhängern bestehen keine Zweifel: Die Stadtväter Halles hätten sich von ihm provoziert gefühlt und seine Auffassung von Kunst für zu unbequem, zu wenig anpassungsbereit und für zu sozialkritisch gehalten. Die Stadt bestreitet das vehement und verleiht - um den Kritikern der Entscheidung den Wind aus den Segeln zu nehmen - Sodann im April 2005 den Ehrenbürgertitel der Stadt. Er nimmt ihn freundlich an und denkt sich seinen Teil.

Seitdem sitzt Sodann oft in seiner Bibliothek im Merseburger Hotel "Wettiner Hof" und schmökert in der deutschen Geschichte herum, die auf unzähligen Buchseiten ausrangierter DDR-Literatur festgehalten ist. Die Bibliothek ist ein typisches Sodann-Projekt. Es begann kurz nach der Wende, nachdem ihm eines Tages ein Kind aufgeregt berichtete, dass aus der Bibliothek der Gewerkschaften in Halle und aus der Bibliothek der "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft" Bücher samt Tonträgern und Karteikästen auf Lastwagen geladen und zur Müllkippe gefahren würden. Sodann ist entsetzt, als er davon hört, denn er ist überzeugt: Entsorgt man die Bücher der DDR, entsorgt man die Geschichte und irgendwann weiß keiner mehr, wie es damals wirklich war im östlichen Teil Deutschlands. Also beginnt er zu sammeln, was es noch an DDR-Literatur gibt. 350.000 Bücher sollen es einmal werden. So viele, wie in der DDR zwischen 1949 und 1989 erschienen sind. 180.000 Bücher hat er schon. Dreizehn 1-Euro-Jobber sitzen seit März 2007 in einem ehemaligen Kindergarten und katalogisieren das Ganze. Dass manch einer ihn für verrückt hält, quittiert Sodann mit dem für ihn typischen stillen Lächeln.

Wenn die Bundespräsidentenwahl vorbei ist und einer der aussichtsreichen Kandidaten ins Schloss Bellevue eingezogen ist, wird sich Sodann nicht grämen. Er wird sagen: "Und nun haben wir wieder was gelernt."

Mitarbeit: Tiemo Rink

Die Wahl des Bundespräsidenten

Gewählt wird das Staatsoberhaupt von der Bundesversammlung, die sich aus den 612 Abgeordneten des Bundestages und 612 Delegierten aus den einzelnen Landtagen zusammensetzt. Bundespräsident wird, wer die absolute Mehrheit der Stimmen erhält. Das gilt aber nur in den ersten beiden Wahlgängen. In einem möglicherweise notwendigen dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit.

Ob Horst Köhler sein Amt behalten kann, ist offen. Denn die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung sind extrem knapp. Dem konservativen Lager wird zwar aktuell eine hauchdünne Mehrheit von grade mal einer Stimme vorhergesagt, wirklich verlässlich ist das aber nicht. In drei Bundesländern ist noch nicht klar, wie viele Vertreter tatsächlich entsandt werden. In Hessen haben SPD und CDU wegen der gleichen Mandatszahl im Landtag den gleichen Anspruch auf den letzten Sitz in der Bundesversammlung. Das gilt auch für Grüne und Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus sowie für SPD und Grüne im niedersächsischen Landtag. In diesen Ländern wird vermutlich per Los entschieden.

Für den Kandidaten der Linkspartei bedeutet das, dass seine Chancen auf das Amt des Bundespräsidenten gleich null sind. Stattdessen ist der ehemalige Tatort-Kommissar ein klassischer Zählkandidat. Das wahrscheinlichste Szenario sieht so aus: Im ersten und zweiten Wahlgang tritt Amtsinhaber Horst Köhler gegen seine sozialdemokratische Herausforderin Gesine Schwan und gegen Peter Sodann an. Die Linkspartei aus Bund und Ländern wird für ihren Kandidaten stimmen - diese Stimmen werden Gesine Schwan dann fehlen. Im dritten Wahlgang tritt Sodann nicht mehr an, die Linkspartei stimmt geschlossen für Gesine Schwan - und alles ist offen. Das Kalkül der Linken ist klar: Mit der Nominierung von Peter Sodann lassen sie die Muskeln spielen und zeigen deutlich, dass Gesine Schwan - wenn überhaupt - Bundespräsidentin von Gnaden der Linkspartei ist.

Tiemo Rink

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