Politischer Aschermittwoch "Da schäumt der Chiemsee"

CSU-Chef Horst Seehofer hat am politischen Aschermittwoch nur milden Spott für Guido Westerwelle übrig. Der FPD-Chef ließ sich davon aber nicht beirren und polterte um so lauter in Sachen Hartz IV.

Aschermittwoch ist traditionell kein Tag der diplomatischen Bulletins. Im Gegenteil: Hier wird nach Kräften geholzt, Bier gesoffen, gejohlt und verhohnepiepelt bis der Saal dampft. Und wer den härtesten Spruch abliefert, hat gewonnen. CSU-Chef Horst Seehofer, der in Passau eine seiner besten Reden hielt, knöpfte sich - natürlich - die Opposition vor. Über den etwas fülligen SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte er, dieser Mann werfe zwar einen großen Schatten, hinterlasse aber keine Spuren. Grünen-Chef Cem Özdemir hackte in Landshut genüsslich auf FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle herum: "'Dampfplauderer' für Brüderle ist eigentlich eine Übertreibung: Ich kann da gar keinen Dampf sehen". Gabriel nannte die FDP eine "jämmerliche Partei".

Und so weiter, und so fort.

Abseits dieser Sprücheklopperei blieb es politisch recht friedlich. Westerwelle und Seehofer gingen sich nicht, wie zuvor erwartet, wechselseitig an die Gurgel, obwohl Westerwelle in einem Interview der CSU gedroht hatte: "Ich kann auch anders." Seehofer beließ es in seiner Replik auf diesen Satz bei mildem Spott. "Oha!", sagte Seehofer. "Das ist eine beachtliche Warnung. Da wackelt der Frankenwald, da schäumt der Chiemsee." Und ergänzte dann, dass sich niemand fürchten müsse. "Das ist kein Tsunami, das ist nur eine Westerwelle."

Westerwelle und der "linke Zeitgeist"

Inhaltlich grenzte sich Seehofer keineswegs von seinem "Freund Guido" ab. Er wiederholte vielmehr dessen Ansatz in der Hartz-IV-Debatte: Derjenige, der arbeite, müsse mehr Geld am Ende des Monats übrig haben, als derjenige, der nicht arbeite. Seehofer sprach auch, ganz im Sinne der FDP, von weiteren Steuersenkungen, freilich ohne konkrete Zahlen oder Daten zu nennen. Nur in einem Punkt pumpte sich Seehofer zum Widerständler auf: bei der Kopfpauschale. Diese von der FDP geforderte - und zugleich sehr unpopuläre - Finanzierung des Gesundheitssystems läuft darauf hinaus, dass jeder, vom Bankdirektor bis zur Krankenschwester, denselben Kassenbeitrag zahlt.

Da auch die CDU nicht geschlossen hinter diesem Plan steht, gilt die Kopfpauschale allerdings ohnehin als Totgeburt. In der CDU heißt es, sie werde in dieser Legislaturperiode nicht kommen - sondern nur eine "gesichtswahrende Lösung".

Das würde Westerwelle natürlich so nie zugeben. Der Vielgescholtene lief mit knallgelbem Schlips vor zirka 700 Anhängern in der Straubinger Joseph-Von-Frauenhofer-Hofer auf und ließ dazu Marschmusik spielen - ein Zeichen des dramatisch gewachsenen Selbstbewusstseins der Liberalen. Gleich mit seinen ersten Sätzen krachte er nochmals in die Hatz-IV-Debatte rein und verteidigte seine Äußerungen. "Ich bin als Außenminister im Ausland zur Diplomatie verpflichtet", sagte Westerwelle, "im Inland gehöre ich weiterhin dem Verein der klaren Aussprache an." Und dann sprach er, spitz und schrill, einmal mehr über die fehlende "Leistungsgerechtigkeit" in Deutschland. Westerwelle blieb damit bei der selbstverordneten Strategie, die Kritik an seiner Person und die sinkenden Umfragewerte der FDP nicht zum Anlass zu nehmen, leiser zu werden, sondern umso lauter auf Reformen zu bestehen. Ausdrücklich lobte er den FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler, der das unbequeme Projekt Kopfpauschale umsetzen soll. Die CSU erwähnte Westerwelle gar nicht, den "linken Zeitgeist" dafür umso häufiger.

Bayern LB wie "Zahnwurzelbehandlung"

Die Opposition, die in Bayern neben dem Platzhirsch CSU traditionell nur eine eher untergeordnete Rolle spielt, arbeitete sich pflichtgemäß an der schwarz-gelben Regierung ab. SPD-Chef Gabriel verurteilte vor 500 Anhängern in Vilshofen die Hartz-IV-Debatte und nannte Steuerhinterzieher die "wahren Asozialen". Grünen-Vorsitzender Özdemir stieß in Landshut nicht mit Bier, sondern (Achtung: Marketing-Gag) mit einem Glas Milch an, um auf die Lage der Milchbauern aufmerksam zu machen. Er nahm unter anderem die Weigerung der CSU aufs Korn, der Türkei in die EU zu integrieren. "Die Türkei muss nur die bayerische Landesbank übernehmen, dann klappt das schon mit der EU-Mitgliedschaft." Die desaströse Finanzlage der bayerischen Landesbank hat Milliarden verschlungen, selbst Seehofer räumte in seiner Rede eingeräumt, Verhandlungen mit der Bank seien ähnlich angenehm wie eine "Zahnwurzelbehandlung".

Abzüglich der Polemik und der immer etwas peinlichen, weil gigantomanisch aufgeblasenen Bayern-Selbstbeweihräucherung, hielt Seehofer in Passau eine über weite Passagen sehr gute Rede, die vornehmlich an die eigene Partei adressiert war. Unter dem Motto "klare Werte, klare Worte" nordete er 100 Minuten lang seine Anhänger ein - nein zur Kopfpauschale, nein zum EU-Beitritt der Türkei, ja zu Steuersenkungen, ja zur christlichen Kultur, wobei ihm vor allem Letzteres ("Kreuze in Klassenzimmer"!) viel Zuspruch eintrug. Geschickt umgarnte Seehofer zudem einmal mehr die Vertriebenenverbände und malte die CSU als letzte große Volkspartei aus. Sein Anspruch "Erst Bayern, dann die Koalition" wird Kanzlerin Angela Merkel noch viele Kopfschmerzen bereiten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Eher eine Parteitagsrede

Seehofer, der vergangenes Jahr schwer erkältet war und nur dank massiver ärztlicher Hilfe überhaupt reden konnte, heimste mit seinem Auftritt in Passau standing ovations ein. Nach all den Schwierigkeiten - dem Desaster der Landesbank, dem schwarz-gelben Stolperstart, dem Geraune über Seehofers Führungsschwäche und den schwachen CSU-Umfragewerten - wirkte seine Rede, die eher eine Parteitagsrede war, wie Balsam auf die verunsicherte Anhängerschaft.

AP · DPA
DPA/AP/lk