Es ist eine Art Kanzlerkandidaten-Triell in der heißen Phase des Wahlkampfs auf offener Bundestagsbühne. Nicht Kanzlerin Angela Merkel (CDU) steht bei der wohl letzten Sitzung des Parlaments vor der Wahl am 26. September an diesem Dienstag im Mittelpunkt. Der Fokus liegt bei der Debatte "zur Situation in Deutschland" auf den Kandidaten von Union, SPD und Grünen: Wie präsentieren sich der unter Druck stehende CDU-Mann Armin Laschet, der auf die Merkel-Nachfolge-Karte setzende SPD-Kandidat Olaf Scholz und die Kanzlerinnen-Hoffnung der Grünen, Annalena Baerbock?
Doch vor den Auftritten der drei lässt Merkel ihre Zurückhaltung im Wahlkampf zunächst endgültig fallen. Deutlich attackiert sie ihren Vizekanzler. Schließlich wirft Merkel ihr ganzes Gewicht für Laschet in den Wahlkampf. "Es ist nicht egal, wer dieses Land regiert", sagt die Kanzlerin – und überrascht damit so manchen, wie die Kommentare deutscher Medien zeigen. Die Presseschau.
Augsburger Allgemeine
"Im Bundestag machte die Kanzlerin derart offensiv Wahlkampf, dass sogar die eigenen Leute überrascht wurden. Merkel warnte in deutlichen Worten vor einem rot-rot-grünen Bündnis. Fast schien es, als würde sie noch den Begriff 'Rote Socken' verwenden. Der Grund? In einer aktuellen Umfrage ist die Union auf den wohl tiefsten Wert überhaupt gerutscht. Das hat Merkel nicht kaltgelassen. Ihre Intervention allerdings wird Laschet nicht helfen. So war schon der Schauplatz schlecht gewählt. Nur wenige Menschen sehen sich Bundestagsdebatten an. Es hängt deshalb von der Berichterstattung der nächsten Tage ab, wie stark das Wahlvolk von Merkels Volte Kenntnis nimmt. Zudem reicht eine einzelne Kraftanstrengung nicht, um Laschet aus dem Umfragesumpf zu ziehen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Die SPD ist im Aufwind, der Trend für die CDU, ja selbst der für die CSU in Bayern zeigt nach unten. Jeder Wind kann sich ja auch wieder drehen. Aber der Union läuft die Zeit davon. Schließlich führt Laschet nicht nur einen (Wahl-)Kampf gegen Scholz und Baerbock, sondern auch gegen Söder und die Kanzlerin. Der bayerische Ministerpräsident kann angesichts der Umfragezahlen weiter unwidersprochen grummeln, dass er (...) der bessere Kandidat gewesen wäre. Und die sogenannten Merkel-Wähler, die die Kanzlerin über die Jahre mit dem ihr eigenen Stil an die Union gebunden hat, werden nicht automatisch zu Laschet-Wählern. Das erklärt zum Teil den momentanen Stimmenaufwuchs bei den Sozialdemokraten, deren Kandidat fleißig die Raute übt. Erdrücken durch umarmen - das war bislang eigentlich die Paradedisziplin von Merkel."
Walz, Walser, Opernball – ein Rückblick in Äußerlichkeiten

Handelsblatt
"Der Trend läuft gegen die Union, und das verändert auch den Wahlkampf. Eigentlich wollte sich die Kanzlerin heraushalten. Jetzt ergreift sie schon fast im Tagesrhythmus das Wort und wirbt für CDU und CSU. Merkel versucht auch, Scholz als politischen Erbschleicher darzustellen, ohne dass sie ihn so nennt. Sie griff im Bundestag ganz gegen ihre Art den SPD-Kanzlerkandidaten erneut an, weil der ein Bündnis mit der Linkspartei nicht ausschließen will. Da hat Merkel einen wunden Punkt getroffen. Scholz mag strategisch sich eine rot-rot-grüne Koalition offenhalten wollen. Das ist aber inhaltlich nicht mehr nachvollziehbar."
Hannoversche Allgemeine Zeitung
"Die Zersplitterung der Parteienlandschaft in mittlere und kleine Spieler zeigt, dass am Ende der Ära Merkel auch bei den Bürgerinnen und Bürgern Ratlosigkeit herrscht, wem man das Land anvertrauen soll. Keine Partei kann nach den bisherigen Umfragen mehr als ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen. Gleichgültig, wer am Ende das Erbe Merkels antreten kann, er oder sie wird sich das Vertrauen der Bevölkerung erst noch erarbeiten müssen."

Kölner Stadt-Anzeiger
"Die Merkelisierung des SPD-Kanzlerkandidaten bringt die Union so sehr in Rage, dass sich sogar Merkel selbst aus der Reserve locken ließ. Sie nutzte ihre Redezeit für Wahlkampf pur. Die scheidende Kanzlerin zog die Rote-Socken-Karte, warb recht platt für Laschet und arbeitete sich auch noch an Scholz' missglückter 'Versuchskaninchen'-Formulierung zur Impfkampagne ab. Auf ein solches Niveau hat sich die Kanzlerin selten herabbegeben. Ausgerechnet die präsidiale Merkel sprach, als stünde sie in einem Bierzelt. Angesichts der Umfragewerte könnte es sein, dass dieser Freundschaftsdienst zu spät kommt."
Landshuter Zeitung
"Eine einzelne Kraftanstrengung der Kanzlerin reicht nicht, um Armin Laschet aus dem Umfragesumpf zu ziehen. Der Aachener muss jetzt hoffen, dass sie ihre Unterstützung verstetigt. Das Naturell der Kanzlerin und der Terminkalender des Wahlkämpfers liefern keine entsprechenden Hinweise. Angela Merkels Ausbruch wird den Einbruch bei der Union nicht stoppen."

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Der neue Tag (Weiden)
"Die 'Mutti der Nation', Bundeskanzlerin Angela Merkel, trägt an dem Umfragedebakel eine Mitschuld. Erst 19 Tage vor der Wahl, als sie selbst offensichtlich auch keine andere mehr hatte, stellte sie sich im Bundestag so richtig hinter Unions-Kandidat Armin Laschet - attackierte verbal die politischen Kontrahenten. Das war deutlich zu spät. Es wirkte eher wie ein verzweifelter Versuch, am letzten großen Elternsprechtag vor der Wahl noch etwas zu retten - da hatten die Bürger ihre blauen Briefe aber schon längst verschickt. Angela Merkel hätte sich dringend früher mit ihrem einstigen politischen Ziehsohn auf den Hosenboden setzen müssen, um die verschiedenen Lektionen des Wahlkampfes zu pauken. Und nun? Die immer noch beliebte "Mutti der Nation" sollte jetzt wenigstens noch ein paar weitere flammende Wahlkampfreden halten, um Laschets Zeugnis etwas aufzupäppeln. Denn überstürzte Referate kurz vor Notenschluss haben schließlich schon ganz andere Problemschüler knapp vor dem Durchrasseln bewahrt."
Süddeutsche Zeitung
"Das [...] heißt auch nicht, dass Merkel ein verheerendes Erbe hinterließe. Aber es sind Schwächen, die zeigen, wie dringend jetzt Veränderung ist. Es braucht neue Impulse, und es braucht neue Leute. Demokratie lebt davon. Ausgerechnet Angela Merkel hat dafür einst mit größter Leidenschaft vor Kadern der Kommunistischen Partei Chinas geworben. Der Wettbewerb der Ideen und Angebote schlägt am Ende jedes politische System, das immer nur auf vermeintlich sichere Kontinuität setzt.
So gesehen ist nicht sicher, ob ihr vehementes Plädoyer für Armin Laschet dem Kandidaten helfen wird. So beliebt die Kanzlerin bei vielen nach wie vor ist, so schwer ist ihr Erbe für den Nachfolger. Für die schlechten Umfragewerte mag Laschet die Hauptverantwortung tragen, aber dass die CDU ziemlich ausgezehrt wirkt, liegt auch an Angela Merkel."
Quellen: DPA, "Sueddeutsche.de"