Berlin, Haus der Bundespressekonferenz. Hier erklärt sich die Kanzlerin. Oder ihr Vize Philipp Rösler. Die SPD-Troika hat dort jüngst aufgespielt. Es geht um die Atomwende, um Libyen, den Euro, so was. Nun geht es um ein unbekanntes parteipolitisches Baby, das plötzlich durch das Berliner Abgeordnetenhaus krabbelt: die Piraten. Parteichef Sebastian Nerz ist gekommen, die politische Geschäftsführerin Marina Weisband und Andreas Baum, Fraktionschef der Berliner Piraten. Sie wollen ihr bundespolitisches Programm vorstellen, der Andrang ist groß. Unsicher lächeln die Protagonisten in die Kameras. Ein Journalist will wissen, wie es sich anfühlt, plötzlich von der Presse belagert zu werden. Nerz antwortet: "Wie fühlt man sich denn so als Journalist, wenn man von Politikern hört: 'Dazu haben wir keine Position'?"
Seltsam fühlt es sich an. Denn das entspricht nicht den Usancen der Berliner Republik. Wer etwas will, sagt etwas, und behauptet, er habe auch etwas zu sagen. Nicht so die Piraten. "Muss eine Partei eine Antwort auf alle Fragen liefern? Nein, muss sie nicht", sagt Nerz. "Auf die Griechenland-Krise hat derzeit niemand eine Antwort. Nur sagt es so keiner. Das unterscheidet uns von den etablierten Parteien."
"Kein Programm, sondern Betriebssystem"
Transparenz, Bildung und politische Teilhabe, das sind die Begriffe, die das Denken der Piraten konfigurieren. "Wir liefern kein Programm, eher eine Art neues Betriebssystem für die Politik. Wir wollen die Antworten von den Bürgern haben", erklärt Weisband. Deshalb halten sie ihre Sitzungen öffentlich ab, deshalb übertragen sie das Gesagte in Netz. Als Livestream, Audio und Video mit Untertiteln. Wohin die Reise inhaltlich geht, weiß keiner so recht. "Das müssen wir noch gemeinsam erarbeiten" - sagt mal Marina Weisband, mal Andreas Baum, mal Sebastian Nerz. Bis zur Bundestagswahl 2013 würden schon ein paar Positionen gefunden. Das klingt entwaffnend. Unbedarft. Furchtlos.
Wie anstrengend die selbstverordnete Transparenz ist, zeigte sich bereits auf der Fraktionssitzung der Berliner Piraten am Dienstag. Noch sind Mikrophone und Kameras ausgeschaltet im Sitzungssaal 304 des Abgeordnetenhauses. Martin Delius, der parlamentarische Geschäftsführer der Piraten, sitzt schon auf seinem Platz, als Andreas Baum und die selbsternannte Rampensau Christopher Lauer an den Tisch treten. Delius sagt halblaut zu Baum: "Wenn das Adrenalin hochkocht, übernimmst du, ja?" Lauer springt ein: "Wenn es lauter wird, nehme ich die ein bisschen an die Hand."
Auf die Sitze der FDP verdammt
Baum, Delius und Lauer sind Pragmatiker und nehmen auch schon mal das Wort "mediale Aufmerksamkeit" in den Mund. Sie haben damit zu kämpfen, dass sich die Fraktion oft im Klein-Klein der parlamentarischen Arbeit verliert - und die ganze Welt dabei zuschauen kann. Lauer hatte in einer der ersten Sitzungen gesagt: "Ich werde nicht die nächsten fünf Jahre mit einem Aufnahmegerät rumlaufen." Doch Transparenz war schließlich ihr Versprechen. Die Kameras und Mikros laufen nun, die Internetübertragung steht, 15 Fraktionsmitglieder der Piraten lümmeln zwischen Laptops, Club-Mate-Flaschen und Kabelsalat. Das Topthema: Wo wird die Fraktion künftig im Berliner Plenarsaal sitzen?
Am liebsten zwischen den Grünen und der Linkspartei. Das Problem: Es ist Tradition, dass neue Parteien auf die freigewordenen Plätze kommen. Also müssten sich die Piraten rechts von der CDU niederlassen, auf den ehemaligen Stühlen der FDP. Das wollen sie nicht. Die CDU will aber auch nicht weichen, sie mag den rechten Rand ebenso wenig. Lauer sagt, er wolle kein "Fass aufmachen" wegen der Sitzordnung. Doch das bleibt ein frommer Wunsch.
Warten auf Klaus Wowereit
"Ich habe nicht vor, mit euch die Partei rechtsaußen von der CDU zu sein", beschwert sich Pirat Oliver Höfinghoff. Sein Kollege Simon Kowalewski zürnt: "Die CDU möchte uns vorführen, dass wir uns gleich um die Sitzordnung streiten. Medial kommt das sicherlich auch nicht gut." Im Wahlkampf habe er immer gesagt, sie seien ein "bunter Haufen", den man nicht einordnen kann, bemerkt Pirat Heiko Herberg. Er würde gerne "vorne" sitzen. Aber wo ist "vorne"? Die Piraten müssten einen Antrag im Abgeordnetenhaus einbringen, um ihre Wunschposition zwischen Linken und Grünen zu bekommen. Das aber würde ein parlamentarisches Hickhack mit der CDU bedeuten. "Ich habe keine Lust, in den ersten Tagen einen solchen Kindergarten mitzumachen", sagt Delius. Noch so ein frommer Wunsch.
Kindergarten. Selbstfindung. Training on the job. Das sind die Begriffe, die die Außenansicht der Piraten konfigurieren. Und der Begriff Nervosität gehört wohl auch dazu. Für diesen Mittwoch hat die Piratenfraktion eine Sondersitzung einberufen, weil die rot-grünen Koalitionsverhandlungen geplatzt sind. Es könnte ja sein, dass Klaus Wowereit …
Nein, kann eigentlich nicht sein.