In Frankfurt läuft der Terrorprozess gegen die "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß. "Reichsbürger" haben ihren ganz eigenen Blick auf die Bundesrepublik Deutschland und ihre Gesetze.
These 1: Das Grundgesetz ist keine Verfassung.
Tatsächlich war das Grundgesetz ursprünglich als Provisorium geplant, um die Teilung zwischen Ost- und Westdeutschland nicht zu zementieren. Es trat aber als Verfassung in Kraft, denn es definiert das Staatsgebiet, den Aufbau des Staates sowie seine Pflichten gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern – und umgekehrt. All das macht eine Verfassung aus, auch wenn sie anders heißt. Dänemark, Estland, Irland und die Niederlande nennen ihre Verfassung ebenfalls Grundgesetz.
In Artikel 146 des Grundgesetzes heißt es, dass das Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tage verliert, "an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist". Da das nicht geschehen ist, nutzen Reichsbürger das als Argument, das Grundgesetz sei keine Verfassung. "Hierbei handelt es sich aber heute nur um die rechtliche Möglichkeit, das Grundgesetz durch eine neue Verfassung abzulösen oder durch eine Volksabstimmung zu bestätigen", sagte Christoph Schönberger, Professor für Staatsrecht und Staatsphilosophie an der Universität Köln, der "Welt". An der Gültigkeit des Grundgesetzes als deutsche Verfassung ändere das nichts.
These 2: Die Bundesrepublik ist kein Staat.
Juristisch gesehen braucht ein Staat:
- ein Staatsgebiet,
- eine auf diesem Gebiet lebende Gruppe von Menschen und
- eine auf diesem Gebiet herrschende Staatsgewalt.
Manche zählen auch noch eine Verfassung zu den Grundbedingungen für einen Staat. So oder so hat die Bundesrepublik all das und ist somit ein Staat.
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These 3: Deutschland besteht rechtlich als "Deutsches Reich" in den Grenzen von 1937 fort.
"Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass das Völkerrechtssubjekt 'Deutsches Reich' nicht untergegangen und die Bundesrepublik Deutschland nicht sein Rechtsnachfolger, sondern mit ihm als Völkerrechtssubjekt identisch ist", heißt es in einer Pressemitteilung des Deutschen Bundestags zu einer Kleinen Anfrage von Abgeordneten der "Linken". In der ausführlichen Antwort wird aber deutlich: Das bezieht sich auf die Weimarer Republik (1919-1933), die erste Demokratie auf deutschem Boden. Sie trug offiziell den Namen "Deutsches Reich".
Reichsbürger verstehen als "Deutsches Reich" aber lieber das "Dritte Reich" unter Adolf Hitler. Außerdem sagte Staatsrechtler Schönberger der "Welt": "Das Bundesverfassungsgericht hat – anders als Reichsbürger es darstellen – niemals das Deutsche Reich der Staatsgewalt der Bundesrepublik entgegengestellt." Reichsbürger würden sich aus einem Urteil vom Bundesverfassungsgericht von 1973 nur das herauspicken, was ihre Ideologie zu stützen scheint.

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These 4: Deutschland befindet sich noch im Krieg.
Reichsbürger argumentieren, die Bundesrepublik hätte keinen Friedensvertrag mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges geschlossen: USA, Russland, Großbritannien und Frankreich. Daher befände sich Deutschland bis heute im Krieg. Tatsächlich gab es 1945 keinen Friedensvertrag, weil sich der Ost-West-Konflikt ans Kriegsende anschloss. Spätestens aber der 2+4-Vertrag von 1990 – mit DDR und BRD auf der einen und den Siegermächten auf der anderen Seite – gilt als Friedensvertrag.
These 5: Deutschland ist nicht souverän.
Tatsächlich übernahmen die Siegermächte am 5. Juni 1945 die Regierungsgewalt über Deutschland. Die Bundesrepublik Deutschland erhielt schon 1955 durch den Deutschlandvertrag wesentliche Souveränitätsrechte zurück. Seit Inkrafttreten des 2+4-Vertrages 1990 ist das vereinigte Deutschland wieder vollständig souverän. Damals gaben die Besatzungsmächte ihre Rechte und Zuständigkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes endgültig ab.

These 6: Deutschland ist eine GmbH.
Als Indiz gilt Reichsbürgern der "Personalausweis": Wenn ein Identitätsnachweis diesen Namen trägt, müssten die Bürgerinnen und Bürger Personal sein und der Aussteller eine Firma statt eines Staates. Tatsächlich haben die Mitglieder des Parlamentarischen Rats nicht nur beim Personalausweis, sondern auch sonst im Grundgesetz teils unklar oder missverständlich formuliert. Aber so einen Hinweis zu geben, wenn Verschwörer eine Firma als Staat tarnen will, wäre in einem Gremium mit 65 klugen Köpfen doch aufgefallen.
Außerdem heißt es in Artikel 20 des Grundgesetzes: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Aber das wird wohl kaum einen Reichsbürger überzeugen, dass er falsch liegt.
Quellen: "Welt", "BR.de", "Welt" zum Fortbestand des Deutschen Reiches, Antwort auf Kleine Anfrage der "Linken" auf "bundestag.de", "Bpb.de" zum Deutschlandvertrag, "Bpb.de" zur Entstehung des Grundgesetzes, AFP.