AKK-Rückzug und Krise der CDU "Das politische System in Deutschland steckt in einer schweren Krise"

Angela Merkel blickt entnervt drein
Manche Kommentatoren im Ausland sehen die Politik Angela Merkels als eine Ursache der Krise an
© Bernd von Jutrczenka / DPA
Der Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer und die Krise der CDU löst auch im Ausland ein großes Presseecho aus. Viele Kommentatoren sehen nicht nur Deutschland in einer riskanten Lage, sondern fürchten auch die Folgen für Europa.

Keine Woche nach dem politischen Beben in Thüringen zieht CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer die Notbremse und verzichtet auf eine Kanzlerkandidatur. Auch den Parteivorsitz will sie abgeben. In Deutschland ist die Krise der Union das Top-Thema. Aber auch die ausländische Presse blickt nach Berlin – teils mit großer Sorge.

"Corriere della Sera" (Rom): "Das alles heißt: Angela Merkel kann ihre Partei nicht mehr hinter sich sammeln. Mehr noch, vielleicht scheint sie zum ersten Mal ihr Gespür für die Macht verloren zu haben. Entschlossen, Kanzlerin zu bleiben, hat sie ihre Position aufgegeben, dass beide Posten zusammen gehören, und hat die CDU-Führung abgegeben. Zudem war es eine große persönliche und politische Fehleinschätzung, ihr ganzes Gewicht für AKK in die Waagschale zu werfen, nur um dann zu sehen, wie diese Missgriffe, Fehler und Wahlniederlagen sammelte. Und jetzt, wo sie das korrigiert hat, muss sie erkennen, dass ihr Schritt womöglich zu schwach und zu spät kam. Und obwohl er wahrscheinlich ausreicht, um das momentane Überleben der großen Koalition zu garantieren, ist es nicht mehr Merkel, die über ihre eigene Zeit an der Macht entscheidet. Alles wird davon abhängen, wer im Herbst an die Spitze der CDU gewählt wird."

"Kommersant" (Moskau): "Das politische System in Deutschland steckt in einer schweren Krise. Sie könnte sogar zum Ende der Regierung von Angela Merkel und zu vorgezogenen Wahlen führen. Am Montag kündigte Merkels Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer unerwartet ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz und ihren Verzicht auf eine Kandidatur bei den Wahlen 2021 an. Auslöser der Krise bei einer der führenden politischen Kräfte Deutschlands war die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten: Sie wurde unterstützt von CDU-Mitgliedern und Rechtsradikalen der Alternative für Deutschland. Während das Orkantief "Sabine" über Deutschenland hinwegzog, (...) wurde am Montag klar: Ein viel zerstörerischer Sturm traf die Partei der Bundeskanzlerin Merkel."

"Berlingske" (Kopenhagen): "Der Sturz von AKK ist der Höhepunkt einer wachsenden internen Kluft bei den Christdemokraten, die sich fast fünf Jahre nach der Flüchtlingskrise schwertun, Antworten auf die Herausforderung der Alternative für Deutschland zu finden. (...) Das Versagen ist aber Angela Merkel selbst zuzuschreiben, die die lokalen CDU-Kräfte vor allem in den östlichen Ländern alleingelassen hat. (...) Solange Angela Merkels CDU so tut, als wenn die AfD mit Nazi-Prädikaten und moralischen Verurteilungen und nicht mit Ursachenbekämpfung und konkreter Politik eliminiert werden könne, wird Annegret Kramp-Karrenbauer kaum das letzte bürgerliche Skalp der AfD sein."

"La Croix" (Paris): "Die Stunde der Wahrheit rückt für die größte Partei Deutschlands näher. Die Christlich-Demokratische Union (CDU) muss sich dringend für die Bundestagswahl in Stellung bringen, die in etwas mehr als 18 Monaten geplant ist. Sie muss ihren Kandidaten zur Nachfolge von Angela Merkel benennen, die seit 14 Jahren Kanzlerin ist und nicht mehr zur Wiederwahl antreten wird. Es geht vor allem darum, eine klare politische Linie zu definieren - während die Partei von einer populistischen Formation, der Alternative für Deutschland (AfD), unter Druck gesetzt wird."

"Hospodarske noviny": "Am angekündigten Rückzug Annegret Kramp-Karrenbauers von der Parteispitze der Christdemokraten ist wohl einzig die Aussicht positiv, dass es für Nicht-Deutsche einfacher sein wird, den Namen der künftigen Bundeskanzlerin oder CDU-Vorsitzenden auszusprechen. Ansonsten bringt der Rückzug AKKs, wie der Name der Politikerin aus praktischen Gründen abgekürzt wird, weder ihrer Partei noch der Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten irgendeine Form der Erleichterung. Die Gründe für ihre Entscheidung sind offensichtlich: In 14 Monaten ist es ihr nicht gelungen, ihre Autorität durchzusetzen und aus den Fußstapfen ihrer Vorgängerin Angela Merkel zu treten. Es ist das eine, sieben Jahre lang die Regierung eines der kleinsten Bundesländer, des Saarlands, zu führen, und etwas anderes, sich auf dem Terrain der Berliner Politik zu bewegen, wo es nur so von Raubtieren wimmelt, die auf eine günstige Gelegenheit zum Angriff lauern."

"Nepszava" (Budapest): "Genauso wie vor der Wahl des CDU-Vorsitzes 2018 flammt auch diesmal bei den Christdemokraten dieser Streit auf: In welche Richtung soll die Partei weiter gehen? Soll sie in der Mitte bleiben oder nach rechts rücken? Wenn der als Favorit geltende Friedrich Merz zum nächsten CDU-Vorsitzenden gewählt und er auch Kanzlerkandidat wird, kann man davon ausgehen, dass die Partei auch jene Themen abdecken will, die bisher die Prioritäten der AfD waren. Die Vergangenheit aber zeigt, dass ein starker Rechtsruck eine gefährliche Strategie wäre. Deutschland steht vor aufregenden Zeiten. Europas Schicksal hängt davon ab, wie sich dies in Zukunft entwickelt."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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"Gazeta Wyborcza" (Warschau ): "Annegret Kramp-Karrenbauer fehlte das Charisma und die Durchsetzungskraft, um Nachfolgerin von Angela Merkel zu werden. Als das nach dem Skandal um die Abstimmung der CDU in Thüringen Arm in Arm mit der AfD klar wurde, hat Merkel entschieden, sie zu versenken. 

Als Kramp-Karrenbauer 2018 die Schlüsselrollen in der CDU übernahm, fragten sich Beobachter, ob eine Politikerin aus dem winzigen Saarland in dem Haifischbecken des politischen Berlins zurechtkommt. Nach zwei Jahren ist klar: Die Hoffnungen, die sich mit Kramp-Karrenbauer verbanden, waren vergeblich. Die neue Parteichefin schaffte es nicht, aus dem Schatten Merkels hervorzutreten."  

"Rzeczpospolita" (Warschau): "Die wichtigste Partei im wichtigsten Land der EU durchlebt eine große Krise. Das ist Grund genug, dass die Unruhe nicht nur die Deutschen ergreift, sondern auch die Polen (...). Annegret Kramp-Karrenbauer ist dem Dilemma erlegen, mit wem die CDU zusammenarbeiten darf. In den östlichen Bundesländern wird es immer schwerer, eine Mehrheit ohne die postkommunistische Linke oder die extrem rechte AfD zu bilden. 

Polen ist (...) nicht nur wirtschaftlich stark mit Deutschland verbunden. Es teilt auch im Großen und Ganzen die Vision der Welt, mit der Deutschland in den Jahren der CDU-Regierung identifiziert wurde: das für die Sicherheit unerlässliche Bündnis mit Amerika und die Abneigung gegen ein Wunschkonzert der Supermächte, also neue Ideen zur Weltordnung, bei denen die Großen über die Köpfe der Kleinen hinwegreden.

Die neue CDU wird entweder näher an der Linken sein, die eine andere Vision der Welt hat, oder an der extremen Rechten. Oder sie wird zerfallen. Alle Versionen sind für Polen riskant. "

"de Volkskrant" (Amsterdam): "Damit ist die Zukunft der größten Partei Deutschlands wieder offen, ebenso wie die Frage, ob die große Koalition unter Führung von Angela Merkel bis 2021 bestehen bleibt. (...)

Ob die Regierung in Berlin die Wachablösung bei der CDU überlebt, hängt auch von der SPD ab. Je konservativer der neue Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD die große Koalition platzen lässt. Das ist bei den jetzigen linken Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans so gut wie sicher. Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass Merkel selbst begreift, dass sie im Interesse der Zukunft ihrer Partei lieber zurücktreten sollte. Aber mit Blick auf die bevorstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab Juli scheint das eher unwahrscheinlich."

"El Periódico" (Madrid): "Der Rückzug von AKK, die von der Kanzlerin (Angela Merkel) selbst  als Nachfolgerin ausgewählt wurde, wird einen Machtkampf innerhalb der Christdemokratie auslösen. Aus diesem wird ein Mann als Sieger hervorgehen, der sehr wahrscheinlich der meistgewählten Partei Deutschlands einen konservativen Anstrich verleihen wird. (...) 

Dieses neue Erdbeben innerhalb der CDU, das sich zu anderen wie dem von Thüringen oder dem wachsenden Einfluss der extremen Rechten auf die politische Agenda des Landes gesellt, zeigt ein Phänomen auf, das über die Christdemokratie hinausgeht: Eine Krise der traditionellen Parteien hat sich in Deutschland eingenistet. Die CDU hat sich lange davon verabschiedet, fast 40 Prozent der Wählerstimmen zu bekommen. Das haben die letzten Wahlen gezeigt. Der baldige Abschied von Merkel, die ein Stabilitätsanker für die CDU und für Deutschland war, wird diese Krise noch verschärfen."

"Tages-Anzeiger" (Zürich): "Ihr Scheitern war und ist aber nicht nur ihr eigenes, es ist auch eine schwere Niederlage für Angela Merkel. Die 65-jährige Kanzlerin muss ihren Wunsch, in Kramp-Karrenbauer eine ähnlich gesinnte Nachfolgerin heranreifen zu sehen, begraben.(...) Je machtloser die Parteichefin wirkte und je unbeliebter sie wurde, desto unersetzlicher wirkte Merkel. Als Quasipräsidentin schien sie über den Niederungen der Politik zusehends zu schweben. Auch im 15. Jahr ihrer Kanzlerschaft wies eine Umfrage sie gerade wieder als beliebteste Politikerin des Landes aus. Mit ihrem plötzlichen Rückzug stößt Kramp-Karrenbauer ihre Partei nun erst recht in eine schwere Krise. Welche Kräfte übernehmen künftig die letzte verbliebene deutsche Volkspartei? Könnte sich die CDU in den nächsten Jahren sogar spalten, sollten die Fliehkräfte weiter zunehmen? Und kommt jetzt das Ende der Ära Merkel doch noch abrupter, als man zuletzt meinte? Vieles ist in der deutschen Politik dieser Tage unsicher geworden wie selten zuvor."

"NZZ" (Zürich): "Mit dem Führungswechsel bietet sich der CDU deshalb auch eine große Chance. Die linken Parteien wollen der Öffentlichkeit einbleuen, die CDU habe mit dem Fanal in Thüringen einen gefährlichen Rechtsrutsch vollzogen. Die Partei braucht daher eine Persönlichkeit, die in einem solchen medialen Gewitter nicht gleich umkippt und die sich nicht an der Hysterie beteiligt. Es braucht außerdem eine Klärung im Verhältnis zur Linkspartei und zur AfD. Will die CDU ihr konservatives und wirtschaftsfreundliches Profil nicht völlig verwedeln, gilt es, von beiden Parteien Abstand zu halten. Allerdings ist das Prinzip der CDU, wonach keine politische Entscheidung von den Stimmen der AfD abhängig sein darf, unsinnig. Es blockiert die CDU und führt dazu, dass sie weiter nach links driftet. Die Partei braucht deshalb eine selbstbewusste, bürgerliche Figur an der Spitze, die die Zusammenarbeit mit der AfD nicht sucht, aber auch nicht panisch reagiert, wenn er oder sie ungebeten Schützenhilfe der AfD erhält. Maßstab der CDU sollte die eigene Politik sein und nicht eine Strategie der Abgrenzung zur AfD."

"Der Standard" (Wien): Die CDU wird also in der kommenden Zeit sehr stark mit sich selbst beschäftigt sein, so wie es die SPD in der Zeit ihrer Kandidatenfindung war. Diese hat, viele erinnern sich mit Schaudern, fast sechs Monate gedauert. So viel Zeit kann sich die CDU nicht nehmen, man kann nicht glauben, dass Kramp-Karrenbauer immer noch den Parteitag im nächsten Dezember als den Termin für die letztgültige Klärung dieser wichtigen Personalfrage ansieht. Nebst Selbstfindung gibt es ja noch eine nicht ganz unwesentliche Aufgabe: Deutschland, die größte Volkswirtschaft in der EU, muss regiert werden. (...) Gleichzeitig sind beide, Merkel und AKK, nur noch Politikerinnen auf Abruf. Wie soll da in der Koalition etwas weitergehen? Es sind keine guten Aussichten für Deutschland."

DPA
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