Schwarz-Gelber Dauerstreit SPD empfiehlt Regierung ein "Anti-Gewalt-Training"

Die Regierung ist so zerstritten, dass selbst die Opposition kaum mehr kritisiert, sondern spottet. Und was macht die Kanzlerin? Abwarten. Tagebuch aus dem Berliner Tollhaus.

Am Mittwochmittag war die Kanzlerin wieder da, wo sie sich am liebsten aufhält - bei den langen Linien der Politik. Im prächtigen Konferenzsaal des Berliner Hotels Adlon redete sie über das Jahrbuch des Meinungsforschungsinstituts Allensbach. Halb amüsiert, halb besorgt zitierte sie einige Zahlen, wie Westdeutsche und Ostdeutsche denken. Klar: Ostdeutsche halten sich für ängstlich und bescheiden und meinen, die Wessis seien arrogant. Die Westdeutschen halten sich für selbstbewusst und werfen den Ossis vor, sie seien unzufrieden. Sprich: Es gibt noch viel zu tun auf der Baustelle der deutsch-deutschen Befindlichkeiten. Und das dauert. 10, 20, 30 Jahre, wer weiß.

Angela Merkel, das war ihr anzumerken, denkt gerne in diesen Kategorien. "Das hat mir sehr, sehr gut gefallen", sagte sie über die Statistik, korrigierte aber sofort, dass "gefallen" wohl das falsche Wort sei. Später sagte sie es trotzdem noch mal.

Angela Merkel, und auch das war ihr anzumerken, setzt das Kleinklein des Regierungsalltags reichlich zu. Selten sah die Kanzlerin derart übermüdet und gestresst aus. Es ist, als sei sie in den vergangen Wochen um Jahre gealtert.

Oppermann und Clausewitz

Wenige Stunden vor Merkels Auftritt veranstaltete Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, das traditionelle Pressebriefing zur Sitzungswoche. Geradezu lustvoll schmähte er die Arbeit der schwarz-gelben Regierung. "Ich bin geneigt, an Clausewitz zu denken", höhnte Oppermann, "der Koalitionskrieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln." Er empfahl den Union und FDP, ein "Anti-Gewalt-Training" zu absolvieren.

Das hatten Merkel und ihre Regierungspartner, CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Chef Guido Westerwelle, eigentlich gerade hinter sich. Am vergangenen Mittwoch saßen sie zum nunmehr zweiten Krisengespräch im Kanzleramt zusammen, um die Reibereien zu beenden. Tags darauf beteuerte Seehofer: "Die CSU ist nicht der Störfaktor." Fügte aber in kleiner Runde den Satz hinzu: "Guido Westerwelle, mein Duzfreund, schadet uns gemeinsam." Der FDP-Chef, der am Freitag vor die Presse trat, bemühte sich, die Contenance zu waren. Es habe im Kanzleramt Fruchtsaft und alkoholfreies Bier gegeben - und es sei im Übrigen eine ganz normale Arbeitssitzung der Parteichefs gewesen, sagte Westwelle. Ein "konstruktives" Gespräch.

Ein heißes Wochenende

Doch schon am Wochenende flogen wieder die Fetzen. Diesmal ging es um die Kopfpauschale, ein Lieblingsprojekt der FDP. Seehofer teilte barsch mit, das sei mit ihm nicht zu machen. Der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder kartete nach, die nun eingesetzte Kommission zur Reform des Gesundheitswesens sei überflüssig. Am Montag gab die FDP eine Pressemitteilung heraus, die den ganzen Zorn und die Verbissenheit des Streits spüren lässt. Hier der Wortlaut:

FDP-Generalsekretär Christian Lindner erklärte zu Äußerungen des CSU-Generalsekretärs, eine Gesundheitsprämie sei nicht Gegenstand des Koalitionsvertrags: "Das erklärt manches. Der CSU-Generalsekretär sollte den Koalitionsvertrag noch einmal aufmerksam lesen: siehe Zeilen 4073 bis 4079, Herr Kollege."

Doch es sollte noch verrückter kommen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Spaltung der CSU

Am Montagabend trafen sich die CSU-Bundestagsabgeordneten zu ihrer üblichen Sitzung. Der niederbayerische CSU-Abgeordnete Max Straubinger hob zu einer langen Rede an und erklärte lautstark: "I hob die Nasn endgültig voll." Er meinte damit aber nicht die Zusammenarbeit mit der FDP, sondern seine eigenen Leute, namentlich Seehofer, Söder und die bayerische Sozialministerin Christine Harderthauer. Deren "Geschwätz" gegen die Gesundheitsreform und die Kopfpauschale könne er nicht mehr hören. Die 40 anwesenden CSU-Parlamentarier jubelten und trampelten mit den Füßen auf dem Boden. Tags darauf diktierte der CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich den Journalisten ganz offiziell in die Blöcke: "Es ist nicht gut, wenn Parteifreunde wie Söder oder Harderthauer ausschließlich destruktiv sind."

Da hob selbst Theo Waigel, der sich zufällig in die Runde verirrt hatte, seine buschigen Augenbrauen. Das alles sei ja nicht "vergnüngssteuerpflichtig", sagte er stern.de.

Unnötig zu erwähnen, dass Söder sofort konterte. Friedrich sei eben nicht in den "Tiefen der Gesundheitspolitik" bewandert. Soll heißen: Der Mann ist komplett ahnungslos.

Rüttgers als Cocktailkirsche

Die innere Zerrissenheit, die die CSU in diesen Tagen in bislang nicht gekannter Deutlichkeit demonstrierte, ist indes auch ihren Koalitionspartnern zu finden. Die CDU streitet erbittert über den Kurs von Umweltminister Norbert Röttgen, der die Atomkraftwerke 2030 abschalten will. Dass drei Landesumweltminister - aus Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen - in Berlin eine Pressekonferenz geben, deren einziger Zweck es ist, ihren Parteifreund Röttgen zurechtzuweisen, war auch ein politisches Novum. Und die FDP? Dort hat sich viel Unmut über Westerwelle aufgestaut. Er habe Nachwuchsstar Philipp Rösler ohne Not mit einem Himmelfahrtskommando betraut, als er ihm das Gesundheitsministerium andiente. Die Besetzung des Entwicklungshilfeministeriums, das die Liberalen eigentlich abschaffen wollten, sei auch ein Fehler gewesen. Zudem trete Westerwelle entschieden zu laut auf, zum Beispiel in der Hartz-IV-Debatte.

Die Sponsoring-Affäre des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Norbert Rüttgers, CDU, wirkt da nur noch wie eine giftige Cocktailkirsche auf der Spitze. Rüttgers hat durch die Affäre persönliches Ansehen eingebüßt, seine Partei fiel im jüngsten stern-RTL-Wahltrend um drei Prozentpunkte. Schwarz-Gelb hat damit im bevölkerungsreichsten Bundesland keine Mehrheit, und das wenige Wochen vor der Landtagswahl. Andererseits hat die CDU mehrere Koalitionsoptionen - sie könnte mit den Grünen zusammengehen, auch mit der SPD. Genau das macht die FDP aber nur noch nervöser. Sie ist sklavisch an die CDU gekettet. "Selbst wenn wir mit der SPD wieder anbändeln wollten - mit diesen schwächelnden Genossen gibt es doch nirgendwo eine Mehrheit", stöhnt ein Mitarbeiter der FDP-Fraktionsführung.

Und wo bleibt Merkel?

Die SPD registriert all das aufmerksam, lehnt sich zurück und genießt. Sie kann nun dieselbe Rolle einnehmen wie die CDU zur Zeiten der Großen Koalition, als sich die Sozialdemokraten mit permanenten Führungswechseln und inneren Querelen selbst zerlegten. Oppermann leistet es sich inzwischen gar, manchen Auftritt von Westerwelle nicht zu kommentieren. Das spreche doch für sich, lautet in solchen Fällen seine Antwort.

Je verheerender die Lage für das schwarz-gelbe Koalition wird, desto brennender wird das Interesse an Kanzlerin Merkel. Was macht sie, was tut sie, wie stabilisiert sie die Lage? Führt sie endlich?

Die Kanzlerin hat sich, so scheint es, wieder einmal auf das Abwarten verlegt. Bis nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Verliert Schwarz-Gelb, sieht die politische Landschaft ohnehin ganz anders aus. Die Mehrheit im Bundesrat wäre dahin, Grüne und SPD hätten wieder ein Wörtchen mitzureden. Merkel könnte dann das tun, was sie am besten kann: zwischen den Lagern moderieren.

Ein demoskopischer Befund

Dann wäre sie tatsächlich wieder die Kanzlerin aller Deutschen. Denn die Bürger wollen eigentlich gar nichts anderes. Merkel hat es vermutlich gerne gehört, als Renate Köcher, Geschäftsführerin von Allensbach, bei der Präsentation des Jahrbuches diesen Befund heraus strich: "Die deutsche Gesellschaft ist sehr nüchtern und pragmatisch geworden, die Freude über ideologische Auseinandersetzungen hat deutlich abgenommen."

Doch was Merkel weiß, müssen CSU und FDP deswegen noch lange nicht beherzigen.