SPD Der Putsch der Agenda-Kämpfer

Krisengespräche, Geheimtreffen, stundenlanges Warten: Dann tritt Frank-Walter Steinmeier vor die Mikrophone und rollt lässig ein neues Personaltableau aus: Er selbst wird SPD-Kanzlerkandidat, Müntefering Parteivorsitzender - und dem alten SPD-Chef Kurt Beck, na klar, gebührt "Respekt", dass er nach Hause geht. Eindrücke von einem Putsch.
Von Lutz Kinkel

Erst hieß es, um elf Uhr wolle die Parteiführung ein Statement abgeben. Dann sollte es 13 Uhr sein. Nichts passierte. Stunden quälenden Wartens vor dem Tagungshotel am malerischen Schwielowsee bei Potsdam. Aber die Handys glühen. Informanten aus der SPD simmsen die entscheidenden News durch. Außenminister Frank Walter Steinmeier wird Kanzlerkandidat. SPD-Chef Kurt Beck tritt zurück. Franz Müntefering übernimmt den Parteivorsitz. Es ist der Putsch der Agenda-Kämpfer.

Zur Mittagszeit hatte Kurt Beck das Hotel mit käsigem Gesicht verlassen. Er stieg in eine Limousine und rauschte davon. Angelica Schwall-Düren, Euro-Expertin der Fraktion, erzählt später, Beck habe die Kraft gefehlt, weiterzumachen. Seine Erklärung, er gebe den Parteivorsitz ab, sei mit großer Betroffenheit aufgenommen worden. Es gehe auch um die "Ehre" dieses Mannes.

Hinter diesen Worten verbirgt sich eine Woche, die Beck den Glauben an seine Partei geraubt haben muss. Dem Vernehmen nach war er sich mit Steinmeier einig, ihn zum Kanzlerkandidaten zu benennen. Da Steinmeiers Lager Druck ausübte, wurde der Termin an diesem Wochenende vereinbart. Beck sollte Steinmeier ernennen - er hätte so sein Gesicht wahren können. Aber die Story wurde an die Medien durchgestochen, Beck abermals als Getriebener vorgeführt.

"Gezielte Falschinformationen"

Zu groß die Schmach, selbst für den Pfälzer Leidensmann. In einer schriftlichen Erklärung teilte er am Nachmittag mit: "Aufgrund gezielter Falschinformationen haben die Medien einen völlig anderen Ablauf meiner Entscheidung dargestellt. Das war und ist darauf angelegt, dem Vorsitzenden keinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu belassen. Vor diesem Hintergrund sehe ich keine Möglichkeit mehr, das Amt des Parteivorsitzenden mit der notwendigen Autorität auszuüben."

Am Sonntagmorgen, noch vor der Sitzung am Schwielowsee, hatte sich Beck mit dem engsten Führungskreis in einem Privathaus nahe des Tagungshotels getroffen. Dort hat er offenbar seine Entscheidung bekannt gegeben. Peter Struck, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, war bereits mit dem Motorrad zum Hotel gefahren und verschwand plötzlich wieder. Offenbar hatte er Präsenzpflicht bei Becks Apokalypse.

"Ein schwieriger Tag für uns alle"

Beck ist weg - und das war von den Steinmeiers vielleicht auch genau so gewollt. In jedem Fall tritt der Außenminister am Nachmittag beinahe lässig an die Mikrophone. Neben sich Hubertus Heil, SPD-Generalsekretär, der zu seinem Lager gezählt wird. "Es war ein schwieriger Tag für uns alle", sagt Steinmeier. Und vergießt nicht wenige Krokodilstränen über den weggeputschten Pfälzer. Man schulde ihm Dank, Respekt natürlich, alle seien schockiert von seiner Entscheidung gewesen. Steinmeier, beide Hände am Pult, laute Stimme, ein Knie locker angewinkelt, macht alles andere als einen schockierten Eindruck.

"Ich bin bereit", sagt Steinmeier. Und beschwört einen "Neuanfang" der Partei. Künftig solle sie von einem "geschlossenen Kraftzentrum" in Berlin geführt werden, die Flügelkämpfe ein Ende haben. "Heute beginnt nicht der Wahlkampf, aber die Aufholjagd", sagt der Westfale. Bis zu einem außerordentlichen Parteitag werde er zugleich den Parteivorsitz übernehmen. Dann soll Müntefering auf diese Position vorrücken.

Die Statements, die Steinmeier und Heil abgeben, sind knapp. Die Show dauert etwa zehn Minuten. Danach verlassen die Teilnehmer das Tagungshotel. Struck schwingt sich wortlos auf sein Motorrad. Andrea Ypsilanti, Hessens SPD-Spitzenkandidatin sagt nichts. Ein paar verstreute Linke ergehen sich in Nichtigkeiten. Dabei sind sie es, die mit Beck von der Macht geputscht worden sind. Er war ihr Statthalter, ihr Garant.

Wer genau hinhörte, konnte in Steinmeiers Statement erste Worte hören, mit denen er die Wunden der Linken balsamierte. Er lobte das in Hamburg beschlossene Parteiprogramm. Und er sprach von den starken Schultern, die die Schwachen mittragen müssten. Das sei die Idee der Sozialdemokratie.

Für den Umgang zwischen Parteigenossen gelten andere Regeln.

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