Wenige Tage vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zukunft der Wehrpflicht spitzt sich in der SPD der Streit um den Zwangsdienst weiter zu. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) kritisierte die Wehrpflicht-Gegner in der eigenen Partei heftig. Sie setzten »Populismus an Stelle von Politik«, schrieb er in einem Beitrag für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«. Nach mehreren jüngeren SPD-Landeschefs hatten sich auch der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine und der ehemalige Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) gegen die Wehrpflicht und für eine Berufsarmee ausgesprochen.
Klage beim Verfassungsgericht
Die Karlsruher Verfassungsrichter entscheiden voraussichtlich am kommenden Mittwoch darüber, ob der Zwangsdienst wegen fehlender Wehrgerechtigkeit und der veränderten Sicherheitslage in der Welt abgeschafft werden muss. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins »Focus« werden die Richter die Klage abweisen. Das Blatt beruft sich auf Justizkreise. Der Zweite Senat unter Vorsitz der scheidenden Gerichtspräsidentin Jutta Limbach wolle dabei auf frühere Entscheidungen des Gerichts zur Wehrpflicht verweisen.
»Starke Leitplanken«
Eine glatte Ablehnung der Klage eines Potsdamer Totalverweigerers käme überraschend. Juristen rechnen eher mit Leitlinien, die das Gericht der Politik zur mittelfristigen Erfüllung vorgeben wird. Der Grünen-Rechtsexperte Volker Beck geht davon aus, dass das Gericht der Politik »starke Leitplanken« vorgeben wird. Die Wehrpflicht sei zu einem »reinen Lotteriespiel« verkommen, sagte Beck der dpa.
Scharpings starke Worte
Scharping wies diese Kritik entschieden zurück. »Angesichts einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 95 Prozent, dass ein zum Wehrdienst tauglicher Mann einberufen wird, zeugt es von waghalsiger Tollkühnheit oder stupender Ignoranz, von einer Lotterie zu sprechen.«
Qualitätsfrage
Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sich mehrmals für die Beibehaltung der Wehrpflicht ausgesprochen. Bei der am Montag beginnenden Kommandeurtagung in Hannover will Schröder erneut ein Bekenntnis zur Wehrpflicht ablegen. In der SPD-Bundestagsfraktion gibt es nach Ansicht des SPD-Militärexperten Peter Zumkley keine Mehrheit für eine Abschaffung der Wehrpflicht. Der »Welt am Sonntag« sagte er, die Qualität der Bundeswehr mit Wehrpflichtigen sei besser als die einer Berufsarmee.
»Unfundiertes Gerede«
Der Verteidigungsminister warf den Befürwortern einer Berufsarmee in der SPD vor, »mit unfundiertem Gerede jenen in die Hände spielen, die unsere Bundeswehr zu einem scheinbar professionellen, jedenfalls viel teurerem und fast unbeschränkt einsetzbaren Mittel von Interventionspolitik machen wollen«.
Lafontaine meldete sich zu Wort
Der frühere Bundesfinanzminister Lafontaine sagte dagegen dem »Spiegel«: »Die Zeit ist reif für die Berufsarmee.« Deutschland brauche für die Arbeit als »Weltpolizist« in Diensten der Vereinten Nationen gut ausgebildete Fachkräfte. Nach der Abkehr nahezu aller westlichen Partner von der Wehrpflicht komme Deutschland in Zugzwang. Lafontaine plädierte für eine europäische Armee, die »Polizeiaufgaben im Rahmen von Peace-Keeping-Missionen« überall in der Welt wahrnehmen könne.

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Veränderte Aufgaben
Apel verwies in einem Gastbeitrag für die »Süddeutsche Zeitung« auf die nach dem Ende des Kalten Krieges grundlegend veränderten Aufgaben der Bundeswehr. »In einer weltweit operierenden Armee ist kein Platz mehr für Wehrpflichtige. Der Soldat der Zukunft muss hoch spezialisiert ausgebildet sein. Das kann nicht in wenigen Monaten geleistet werden.«
Angestoßen hatten die Debatte die jungen SPD-Landeschefs Ute Vogt (Baden-Württemberg), Heiko Maas (Saarland) und Christoph Matschie (Thüringen) sowie der Juso-Vorsitzende Niels Annen. Auch Grüne, FDP und PDS sind für eine Abschaffung der Wehrpflicht. Die Union ist für die Beibehaltung.
Soziales Pflichtjahr
Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) forderte als Alternative zur Wehrpflicht ein soziales Pflichtjahr. Die Forderung nach einer Abschaffung der Wehrpflicht kommentierte er in einem Beitrag für die »Bild am Sonntag« mit den Worten: »Warum diese Erfolgsstory beenden?«