Spitzel-Skandal der Deutschen Bahn Mehdorns Flucht nach vorne

Die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet, der Berliner Datenschutz sowieso, der Stuhl von Hartmut Mehdorn wackelt. Doch der Bahnchef verteidigt die Überprüfung von 173.000 Mitarbeitern vehement. Eine Visite im 21. Stock des Berliner Bahntowers.
Von Lutz Kinkel

Berlin, Potsdamer Platz, Bahntower, 21. Stock*. Der dicke Teppichboden schluckt jedes Geräusch, der Raum ist an zwei Seiten verglast, die Fenster reichen bis zum Boden. Optisch liegt der Bahn ganz Berlin zu Füßen, auch der Reichstag. Hier ist "oben". Alles andere muss "unten" sein.

Hartmut Mehdorn, Chef des Milliardenunternehmens Bahn, lässt die Journalisten warten. Nicht lang, nur eben so lang, um anzudeuten, dass er es nicht nötig hat, auf die Sekunde pünktlich zu sein. Plötzlich klicken die Kameras, Mehdorn marschiert ein, neben ihm der Konzernsprecher, hinter ihm der oberste Korruptionsbekämpfer Wolfgang Schaupensteiner. "Guten Morgen!" ruft Mehdorn in die Runde, lauter als eigentlich notwendig. Sein Einmarsch signalisiert: Ich werde hier nicht zu Kreuze kriechen. Auch wenn ihr das erwartet. Typisch Mehdorn.

Im Auftrag der Bahn hat die Privatfirma Network Deutschland, die bereits in den Telekom-Skandal verwickelt war, im Jahr 2003 die Daten von 173.000 Mitarbeitern mit Lieferantendaten abgeglichen, eine Rasterfahndung nach korrupten Machenschaften. In anderen Fällen ließ die Bahn PCs durchsuchen und leitete Emails an den Betriebsrat einfach so an die Detektei weiter. Einen Tatverdacht gab es meist nicht, die Betroffenen wurden weder vorher noch nachher informiert, der Berliner Datenschutzbeauftragte erhob im stern schwere Vorwürfe. Mehdorns Stuhl wackelt.

"Wie die Bestellung von Kuverts"

Mehdorn steht. Am linken Rednerpult, am rechten Schaupensteiner. "Es ist wirklich Zeit, dass wir uns hier auch mal zu Wort melden", sagt Mehdorn, und das wird der letzte Satz sein, dem die versammelten Journalisten noch voll zustimmen können. Dann verkündet er, was die Bahn zu tun gedenkt. Die Berliner Staatsanwaltschaft, von der Bahn eingeschaltet, soll die rechtliche Seite des Spitzel-Skandals beleuchten. Was dabei herauskommen wird, weiß Mehdorn indes schon jetzt. "Wir lassen uns nicht kriminalisieren", sagt er. "Wir haben nirgendwo und an keiner Stelle Recht gebrochen." Das sieht der Berliner Datenschützer Alexander Dix anders. Er will den Konzern in mindestens in zwei Fällen mit Geldbußen von 250.000 Euro belegen.

Von einer "Rasterfahndung" zu sprechen, sagt Mehdorn schneidend, sei polemisch und überzogen. Es ginge um ein "Screening" der Mitarbeiter, ein Verfahren, das von den Vereinten Nationen empfohlen werde, um Korruption zu bekämpfen. Auch bei der Bahn sei der Anstoß von Außen gekommen. "Dieser Abgleich wurde von unseren Wirtschaftsprüfern angeraten. Auch schriftlich." Der Aufsichtsrat habe sich damit nicht befasst, der Vorstand auch nicht, das sei eine Sache der Innenrevision gewesen - offenbar zu klein und unbedeutend, als das jemand damit hätte behelligt werden müssen. "Der Vorstand kümmert sich auch nicht um die Bestellung von Briefkuverts", erklärt Mehdorn.

Tiefensee? Nicht zuständig

Im Übrigen sei das "Screening" eine sinnvolle Sache. "Transparency International" habe die Bahn mehrfach wegen ihrer Korruptionsbekämpfung gelobt. Die Daten seien auch nicht weitervermittelt worden. "Der Datenabgleich erfolgte hier im Hause, an unseren Computern". Von den 173.000 Überprüfungen seien 300 Fälle übrig geblieben, denen seine Leute nachgegangen seien. "Wir würden das auch wieder machen", sagt Mehdorn - also nur für den Fall, das es notwendig sei. War es ein Fehler, die Mitarbeiter nicht darüber aufzuklären? Mehdorn schwurbelt: Man müsse sich künftig um die "Einbindung einer besseren Informationsstrategie" kümmern. Rücktritt? "Das setzt voraus, dass ich etwas Böses getan hätte."

Mehdorn, klein, stämmig, hat die rechte Hand am Rednerpult, die Linke gestikuliert, sein Blick ist scharf und durchbohrt jeden Fragesteller. Er hat sich zur brutalstmöglichen Vorwärtsverteidigung entschlossen. Alles in Butter, nur die Medien hetzen. Aber er werde ja auch angezeigt, wenn an irgendeinem Bahnhof der Schnee nicht geräumt sei, und dann stehe in der Zeitung: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mehdorn. Das alte Spiel, nix besonderes. Dass Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee von ihm eine vollständige Aufklärung erwartet, dass die Arbeitnehmervertreter und Aufsichtsratsmitglieder auf 180 sind und Konsequenzen fordern - für Mehdorn alles ein großes Missverständnis. "Ich weiß nicht, ob da jemand unzufrieden ist", sagt er mit Blick auf die Arbeitnehmervertreter. Und zu Tiefensee: "Er ist Verkehrsminister und nicht für die Führung einer Unternehmensabteilung [gemeint ist die zuständige Konzernrevision d. Red.] der Bahn zuständig. Die Jacke muss er sich nicht anziehen."

Die Mauer um Mehdorn

Mehdorn wirkt gefasst, sein Korruptionsbekämpfer Schaupensteiner gereizt. Wiederholt wird er gefragt, warum er die Rasterfahndung, die auch er nur "Screening" nennen will, nicht gleich eingeräumt habe - wenn sie doch so unbedeutend sei. Schaupensteiner eiert zunächst herum. Dass er sich im vergangenen Jahr, als er aufgrund von Recherchen des "Handelsblatts" erstmals zum Engagement von "Network Deutschland" befragt wurde, nicht dazu geäußert habe, liege am damaligen "Untersuchungsauftrag". Und jetzt, in den vergangenen zwei Wochen? Schaupensteiner holt zum Maximalkonter aus. "Die Bahn hat nie etwas verborgen, nie etwas verschwiegen, auch nicht in diesem Zusammenhang."

Je länger die Konferenz dauert, je kritischer die Fragen werden, desto höher ziehen Mehdorn und Schaupensteiner die Mauer. Hatte Mehdorn zu Beginn noch gesagt, die Bahn sei sich keiner Rechtsverletzung "bewusst", so sagt er später, die Bahn habe kein Recht gebrochen. Die Fronten sind verhärtet. War es Mehdorn oder Schaupensteiner, der am Ende der Pressekonferenz sagte, er fände das alles unglaublich? "Wir auch", rief ein Journalist zurück.

21 Stockwerke hinunter

Abgang Schaupensteiner und Mehdorn, die Journalisten steigen in die Aufzüge, es geht 21 Stockwerke herunter. Und noch während der Fahrt ist klar: Die da "oben" haben sich unweigerlich festgelegt. Kommen Staatsanwaltschaft und Datenschützer zu anderen Ergebnissen, wird auch einer von ihnen den Aufzug nehmen müssen. Nach unten.

*Nach Angaben der Bahn enthielt dieser Text einen Fehler: Ursprünglich war hier vom 16. Stock die Rede - es war jedoch der 21. Stock. Red.

Mehr zum Thema

Newsticker