Europas Währungskommissar Pedro Solbes und der deutsche Finanzminister Hans Eichel (SPD) können ganz gut miteinander. Solbes ließ sich nach anfänglichem Zweifel an der soliden Finanzierbarkeit einer vorgezogenen Steuerreform heute von Eichel schnell überzeugen. Ja, er gehe jetzt durchaus davon aus, dass Deutschland trotz vorgezogener Reform im nächsten Jahr wieder unter die Drei-Prozent-Defizit-Obergrenze der EU kommen könne.
Solbes legte noch einen drauf. Das Defizit-Kriterium des EU-Stabilitätspakts ist "keine enge Zwangsjacke". Mitgliedstaaten brauchten sich trotz der darin festgelegten Obergrenze bei der Verschuldung nicht davon abhalten lassen, "das zu tun, was vernünftig ist", sagte er heute auf einer SPD-Wirtschaftstagung in Berlin, an der auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) teilnahm.
Union läuft Gefahr, auf das Unverständnis des Bürgers zu stoßen
So viel Unterstützung für die Steuerentlastungspläne der Bundesregierung konnte Eichel zunächst nicht erwarten. Selbst wenn das Vorziehen der Reform mit einem Umfang von 18 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemeinden einschließlich Privatisierungserlösen voll kreditfinanziert würde, könnte Solbes möglicherweise ein Auge zudrücken. Das gibt Rot-Grün Spielraum in den Gesprächen mit der Opposition über einen umfassenden Subventionsabbau.
Der Bundeskanzler lockte heute bei der SPD-Tagung die Union erneut, beim Subventionsabbau endlich mitzumachen. Er sei jederzeit zu einem Kompromiss bereit, sagte Schröder und warnte, wer sich in der jetzigen Situation verweigere, werde bei Wahlen dafür abgestraft werden.
In der Tat laufen CDU und CSU Gefahr, auf das Unverständnis des Bürgers zu stoßen, sollten sie dessen in Aussicht gestellten Steuererleichterungen im Bundesrat mit ihrer Mehrheit blockieren wollen. Umgehend kam am Dienstag die Antwort. Um selbst wieder in die Offensive zu kommen, drängten CDU-Chefin Angela Merkel und der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber den Kanzler, schneller mit der Steuerreform überzukommen.
"Die Zeit drängt"
In einem Brief an den Kanzler wollen sie nun "gemeinsame Verantwortung für unser Land" übernehmen. "Die Zeit drängt", schreiben Merkel und Stoiber und fahren fort: "Wir können nicht den Herbst abwarten und alle Impulse, die von verantwortbaren Steuersenkungen ausgehen könnten, über den Sommer hinweg zerreden lassen." Beide erinnern nun wieder daran, dass die Union "seit je her" für Steuersenkungen eingetreten seien - allerdings "solide, ehrlich und verlässlich".

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Das Bundeskabinett will an diesem Mittwoch nicht nur Eichels Haushaltsentwurf verabschieden, sondern auch einen Grundsatzbeschluss zum Vorziehen der Steuerreform fassen. Noch vor der Sommerpause soll dann ein Gesetzentwurf auch dafür vorliegen. Während der Etatberatungen im Parlament soll das Vorziehen mit einem Volumen von zusätzlichen 18 Milliarden Euro in den Haushalt eingearbeitet werden.
Punktgenaue Landung
Die erste Lesung des Etats ist traditionell unmittelbar nach der Sommerpause. Verabschiedet wird der Bundeshaushalt im November - mit einer neuen Steuerschätzung und einer neuen Konjunkturprognose für das laufende und das kommende Jahr.
Eichel bekräftigte nach seinem Treffen mit Solbes, nur bei einem Wachstum in diesem Jahr von 0,75 Prozent und im nächsten von 2,0 Prozent sei trotz Vorziehen der dritten Steuerreformstufe von 2005 auf 2004 eine punktgenaue Landung bei 3,0 Prozent Haushaltsdefizit möglich. Ohne Vorziehen sei es andererseits eine "große Frage", ob das Ziel von zwei Prozent Wirtschaftswachstum erreicht werde.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet für dieses Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,1 Prozent. Im kommenden Jahr erwartet das Institut 1,6 Prozent. Der Haushalt dürfte bis zum Ende der parlamentarischen Beratungen nicht mehr verfassungskonform sein, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts müsste dann abgewendet werden.