Wer derzeit als Journalist bei Pressestellen der CDU - oder gar der CSU - anruft und um Auskünfte zur "Herdprämie" bittet, wird als ahnungsloser Tropf abgefertigt. "'Ne Herdprämie kenn' wir nicht." Wer die Frage nachbessert und erklärt, dass das schwarz-gelbe Koalitionsprojekt "Betreuungsgeld" gemeint ist, entgeht immerhin einem formlosen Auflegen des Telefons.
Auskünfte bekommt man trotzdem nicht. Schon gar nicht auf die Frage, ob sich die CDU/CSU nicht vollends über die Einführung der "Herdprämie" zerstreite. Dann tönt es aus der Pressestelle, die Familienpolitik der Union sei auf gutem Weg. Und werde umgesetzt, wie im Koalitionsvertrag mit der FDP vereinbart.
Also: Eltern, die ihre Ein- bis Dreijährigen nicht in die Krippe schicken, sollen 100 Euro im Monat bekommen, später 150 Euro. Dazu erklärt der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer: "Das Betreuungsgeld wird und muss kommen." Wenn die Kanzlerin kneife, sei das ein Koalitionsbruch. Dann werde die CSU bei allen weiteren Projekten - Steuerentlastung, Pflegegeld oder Zuwanderungsrecht - eben die Kanzlerin auflaufen lassen.
Dumm nur, dass Angela Merkel schon jetzt keine Mehrheit für ihre Herdprämie in den eigenen Reihen hat. 24 Unionsabgeordnete, vor allem Frauen, haben angekündigt, dass sie einem Gesetzentwurf zur "Herdprämie" nicht zustimmen könnten. Damit liegen sie voll auf der Linie von Frauenverbänden. Etwa dem Sozialdienst Katholischer Frauen, auch der bayerischen Untergliederung. Oder der Landfrauen-Organisation, in der eine halbe Millionen Frauen organisiert sind, und die auf ihrer jüngsten Bundesversammlung klar dagegen aufgestanden sind
Kauder will Rentenleistungen erhöhen
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hat jetzt einen verzweifelten Versuch gestartet, die drohende Schlappe doch noch von Merkel abzuwenden. Er schlug vor, zur politischen Durchsetzung der "Herdprämie" die Rentenleistungen für Eltern zu erhöhen, deren Kinder vor 1992 geboren sind. Kostet nach Schätzungen der Rentenexperten: drei Milliarden Euro. Das politische Ziel einer Null-Neuverschuldung ab 2014 kann dann vergessen werden.
Dazu erklärt die "Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU", in der die Christdemokraten organisiert sind, die noch zwei und zwei zusammenzählen können: Man dürfe jetzt nicht zu "faulen Kompromissen" greifen. Denn: "Es ist nicht vermittelbar, viele Milliarden steuer- und schuldenfinanzierter Sozialleistungen draufzusatteln", um das Betreuungsgeld durchzusetzen. Damit werde zur Befriedung eines tagespolitischen Streits "die künftige Generation zusätzlich zur Kasse gebeten, die ohnehin nur mit größter Mühe die demografischen Herausforderungen finanziell bewältigen kann".
Das ist eine kraftvolle Watschen an den Kopf des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer, den die Angst umtreibt, er könne im Herbst nächsten Jahres die Macht in Bayern verlieren. Der Vorsitzende der bayerischen SPD-Landesgruppe im Bundestag, Florian Pronold, nennt gegenüber stern.de das Vorgehen Seehofers "eine Demonstration politischer Macho-Allüren, mit denen er - koste es, was es wolle - zu beweisen versucht, dass er und seine CSU in Berlin noch etwas zu sagen haben".
Zusätzlich erschwert wird der Weg zur "Herdprämie" auch durch die Haltung der SPD, die das Betreuungsgeld für "bildungspolitisch falsch" und "verfassungsrechtlich fragwürdig" hält. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann: "Die SPD wird eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht prüfen" - sofern die Union endlich in der Lage sei, einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorzulegen. Dazu sah sich die zuständige Familienministerin Kristina Schröder bisher nicht in der Lage. Sie hat Angst, dann auch noch die letzten Reste ihres ohnehin bescheidenen Ansehens zu verspielen.
Keine Gleichbehandlung
Dies zu Recht. Denn Experten im Bundesjustizministerium und im Bundesinnenministerium halten es für praktisch unmöglich, einen Entwurf zu formulieren, der dem strengen Grundgesetzartikel der Gleichbehandlung standhält. Dort ist verankert: Jedes Kind muss dem Staat gleichviel wert sein.
Das sind Kinder der Merkel-CDU offenkundig nicht. Die Kinder, die nicht in die Krippe geschickt werden, sollen künftig 100 bis 150 Euro bekommen. Gleichzeitig gibt der Staat jedem Krippenkind viel mehr Geld auf den Weg, um Sozialverhalten und Sprachfähigkeiten zu fördern. Jeder Krippenplatz wird derzeit mit 1000 Euro Staatsgelder mitfinanziert.
Als vollends absurd und in Karlsruhe klagefähig gilt folgender Umstand: Eine allein erziehende Mutter, die kein Geld hat, ein paar Euro hinzuverdienen möchte und einen Teilzeitjob annimmt, bekommt die 100 bis 150 Euro nicht, weil sie ihr Kleinkind in dieser Zeit in die Krippe bringen muss. Ganz anders die Lage bei wohlhabenden Müttern. Pronold: "Wer reich ist, bringt das Kind zur Tagesmutter und wird daher auch mit Geld bedient. Denn sie bringt ihr Kind ja nicht in die normale Krippe."
In Bayern selbst ist der Grundsatz der Gleichbehandlung - und im Übrigen auch der von der CSU angepeilten Auswahlmöglichkeit - ganz besonders gefährdet. Während andere Ländern Milliarden Euro in den Ausbau der Kita-Plätze stecken, ist das Land Bayern bei dieser Investition das absolute Schlusslicht in der Bundesrepublik. Diesen Rückstand will Seehofer angeblich aufholen. Pronold: "Und gleichzeitig will dieser Seehofer Geld dafür bezahlen, dass diese Krippen nicht in Anspruch genommen werden. Das ist doch gaga."
Liberalen halten an Koalitionsvertrag fest
Widersprüchlich auch die Position von CDU-Vizechefin Annette Schavan. Sie fordert mehr "frühkindliche Bildung im Kindergarten". Dennoch hält die Merkel-Vertraute eisern am Plan der Kanzlerin fest, mit dem Betreuungsgeld Kinder vom Kindergarten fernzuhalten.
Absurd ist auch die Position der FDP. Auf dem jüngsten FDP-Parteitag sammelte Fraktionschef Rainer Brüderle einen Beifallssturm ein, als er erklärte, "bei der Herdprämie ist bei der CDU der Ofen aus und die CSU steht in der kalten Küche". Aber die Liberalen wollen dennoch durchsetzen, was im Koalitionsvertrag mit der Union vereinbart ist.
Dass die CSU so lautstark an ihrer schwachen Position festhält, wird in führenden CDU-Kreisen als "finsteres parteitaktisches Manöver" bezeichnet. Die CSU arbeite darauf hin, dass nach einem möglichen Koalitionsbruch wegen der "Herdprämie" der Zeitplan für die Wahlen verändert werden müsse. Die Bundestagswahl würde dann nicht wie geplant im Herbst 2013, praktisch parallel zur nächsten bayerischen Landtagswahl, stattfinden, sondern viel früher. Die Partei hoffe, dann besser abzuschneiden - weil sie dann, sollte Rot-Grün an die Regierung kommen, umso härter aus Bayern heraus gegen den Bund stänkern könne.