Treffen im Kanzleramt Merkel und Industrie streiten um Atomsteuer

Die deutsche Industrie hat zum Spitzentreffen der Atombranche im Kanzleramt den Verzicht auf Reaktor-Laufzeitbegrenzungen sowie die geplante Atomsteuer gefordert. Umweltgruppen, Grüne und die Ökostrombranche nannten die Steuer dagegen überfällig.

Die deutsche Industrie hat zum Spitzentreffen der Atombranche im Kanzleramt den Verzicht auf Reaktor-Laufzeitbegrenzungen sowie die geplante Atomsteuer gefordert. "Wir lehnen eine neue Steuer ab", sagte der Hautgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, am Mittwoch in Berlin. Die Laufzeitbegrenzung müsse fallen. Bei der Vereinbarung zum Atomausstieg sei der Branche schriftlich der Verzicht auf einseitige steuerliche Belastungen garantiert worden. "Wir erwarten, dass sich die Regierung vertragstreu verhält."

Umweltgruppen, Grüne und die Ökostrombranche nannten die Steuer dagegen überfällig. Auch die FDP verteidigte sie und nannte die Argumentation der Branche abwegig. Sie könne nicht auf eine Vereinbarung pochen, die sie im Kern kündigen wolle.

In Berlin trafen sich am Mittwochnachmittag die Vorstandschefs der vier Atomkraftbetreiber E.ON, RWE, EnBW sowie Vattenfall mit Kanzlerin Angela Merkel. Vor dem Kanzleramt protestierten Anti-AKW-Gruppen gegen die Pläne für eine Laufzeitverlängerung. Deren Form ist allerdings noch offen, da zunächst bis Ende August ein Energiekonzept vorliegen soll. Zudem ist eine Verlängerung schwieriger geworden, weil Union und FDP ihre Mehrheit nach der NRW-Wahl im Bundesrat verloren haben. In der Regierung gilt nur noch eine moderate Verlängerung um maximal 15 Jahre als durchsetzbar.

Ein Regierungssprecher sprach nach dem Treffen von einem umfassenden Meinungsaustausch, bei dem auch strittige Themen erörtert worden seien. Ein RWE-Sprecher erklärte, es seien Meinungsunterschiede zwischen Merkel und den Konzernchefs angesprochen worden. Das Gespräch sei aber sehr konstruktiv verlaufen. Es sei ein gelungener Auftakt für weitere Gespräche über das energiepolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung gewesen.

Ein E.ON-Sprecher erklärte, es habe die gleiche Einschätzung mit Blick auf die Bedeutung der Kernernergie für den Energiemix geherrscht. Es gebe aber noch Detailfragen, die zu klären seien. Dazu gehöre die Ausgestaltung einer Brennelementesteuer. Diese könne nicht ohne einen Ausgleich eingeführt werden, fügte der E.ON-Sprecher hinzu.

Neben der Laufzeitverlängerung wollten die Vorstandschefs mit Merkel auch über die Brennelementesteuer sprechen. Mit dieser will die Regierung jährlich 2,3 Milliarden Euro einnehmen - ohne dass darin im Gegenzug eine Laufzeitverlängerung zugesichert wird. Die Steuer wird unter anderem mit den Zusatzgewinnen der Versorger aus der Einpreisung von Kohlendioxid-Verschmutzungszertifikaten begründet. Diese haben die Versorger für ihre Kohlekraftwerke lange größtenteils gratis erhalten, ihren Wert aber voll auf die Strompreise angerechnet, die entsprechend stiegen. Dies machte vor allem Atomstrom attraktiver, da diese Anlagen überhaupt keine Verschmutzungsrechte benötigen.

Der BDI argumentierte, die Laufzeitbegrenzung stelle eine Kapitalvernichtung dar. Die Steuer entziehe den Unternehmen zudem Investitionskraft etwa in die Stromnetze, die für die Einspeisung von Ökostrom dringend benötigt werde. Zudem müsse ein Anstieg der Strompreise verhindert werden. Die Konzerne hatten im Vorfeld des Merkel-Treffens mit einer Klage gedroht, da in der Atomausstiegsvereinbarung ein Verzicht auf Zusatzsteuern verankert sei. Die Bundesregierung hatte dagegen darauf hingewiesen, dass die Vereinbarung kein rechtlicher Vertrag sei.

Der FDP-Umweltexperte Michael Kauch sagte zur Klagedrohung: "Es ist schon bemerkenswert, dass sich die Stromkonzerne nun plötzlich wieder auf die Vereinbarung berufen, die sie im Nachhinein bekämpft haben." Die Brennelementesteuer stelle zudem nur die Wettbewerbsgleichheit wieder her, nachdem sie zuvor Milliardengewinne über die Verschmutzungsrechte kassiert hätten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE), Björn Klusmann, nannte die Klagedrohung unverschämt. Die Steuer mache nur einen minimalen Teil der Gewinne aus, die es bei einer Laufzeitverlängerung gebe. "Diese ist überflüssig, die erneuerbaren Energien können die Kernkraft ersetzen", sagte er im Deutschlandradio.

Reuters
Reuters