Anlässlich des Kriegs in der Ukraine moderierte Markus Lanz am Donnerstag eine Sondersendung im ZDF. Mit der Sendung "Ein Abend für die Ukraine" sollten Spenden gesammelt werden. 4,17 Millionen Euro kamen am Ende zusammen. Doch wer eine klassische Spendengala mit Prominenten an den Telefonen erwartet hatte, lag damit völlig falsch. In gleich drei Talkrunden sprachen Lanz und seine Gäste darüber, wie man der Ukraine helfen könne, ohne dass ganz Europa zum Schlachtfeld wird. "Dilemma ist die Überschrift dieser ganzen Sendung", sagte Lanz treffend.
Die Sendung begann sehr emotional. Natalia Klitschko, Ehefrau von Vitali Klitschko, berichtete von den "schlimmsten Wochen ihres Lebens". Jeden Morgen kontaktiere sie Vitali und Wladimir Klitschko in der Ungewissheit darüber, ob die beiden noch am Leben sind.
Auch Studiogast Anna Kostiuchenko sorgte für einen emotionalen Moment, als sie davon erzählte, wie sie kurz nach der russischen Invasion mit ihren zwei jüngsten Kindern aus der Ukraine flüchtete. Für ihre Kinder sei die Situation schrecklich gewesen. Ihre weinenden Kinder konnte sie zeitweise nur noch mit Medikamenten beruhigen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war sichtlich gerührt. Dennoch machte der Vize-Kanzler deutlich, dass besonders in dieser schwierigen Zeit rationale Entscheidungen notwendig sind. Einem sofortigen Importstopp von russischem Öl und Gas erteilte er eine klare Absage. Es ginge bei dieser Frage nicht nur um "ein bisschen weniger Komfort", sondern um mögliche wirtschaftliche Schäden, die alle Gesellschaftsteile hart treffen würden. Dennoch sei Deutschland nicht machtlos. Wichtig sei eine "präzise und zielgenaue Arbeit der Bundesregierung." Ein schrittweiser Boykott von Kohle und Öl würde bereits laufen. Bei Gas sei es jedoch "etwas schwieriger", wie Habeck sagte.
"Putin will Europas Demokratie im Kern erschüttern"
Migrationsforscher Gerald Knaus ist viel mehr über die Auswirkungen der Fluchtbewegungen nach Europa besorgt. Er sprach von der "größten Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg". Über zwei Millionen Menschen seien bereits aus der Ukraine geflüchtet. Aus zwei Millionen könnten aber auch schnell zehn Millionen werden, warnte Knaus. Dass die EU geschlossen agiert und den Menschen ohne große Bürokratie Zuflucht bietet, bewertete der Experte als "historische Entscheidung". Dennoch dürfe man nicht "sentimental und unrealistisch werden." Es bestehe die Gefahr, dass Chaos entsteht und Nationalisten versuchen würden, dadurch an die Macht zu kommen. Dann hätte Putin gewonnen, sagte der Migrationsforscher.
Angriff auf die Ukraine – Gesichter des Krieges

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wollte derweil keine Parallelen zur Flüchtlingskrise 2015 ziehen. "Die Menschen spüren, es ist Krieg mitten in Europa", dennoch sei die Situation jetzt anders, sagte Faeser. Die Menschen, die aus der Ukraine flüchten, hätten häufig einen klaren Plan, wohin sie wollen, da einige auch Bekannte in Deutschland hätten. Viele würden arbeiten wollen und deshalb die Großstädte anvisieren. Wie viele Menschen Deutschland aufnehmen kann, sei aktuell nicht klar, sagte die Innenministerin.
Die Unterstützung aus der Gesellschaft scheint aktuell riesig zu sein. Das spiegelte auch die Sendung wider. Studiogast Florian Wichelmann gründete eine Initiative, um Apartments für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Der zugeschaltete Rainer König, Leiter der Bahnhofsmission am Berliner Hauptbahnhof, erklärte, dass der gesamte Arbeitsalltag seines Teams auf den Kopf gestellt wurde. Man sei längst an der Grenze der Belastbarkeit angekommen und könne kaum noch von Tag zu Tag planen, da viele seiner Mitarbeiter stressbedingt ausfallen würden. Dennoch versuche man, den ankommenden Geflüchteten bestmöglich zu helfen.
Ukraine-Botschafter wirft Deutschland Feigheit vor
Eine wirkliche Debatte suchte man in der Sendung lange vergeblich. Es herrschte Einigkeit unter den Studiogästen, die immer wieder nickend im Hintergrund zu sehen waren. Auch Markus Lanz stimmte seinen Gästen mehrmals zu und ließ sie für seine Verhältnisse ungewöhnlich oft ausreden. Dafür störte der zugeschaltete Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, zumindest ein wenig die Harmonie. Er warf dem Westen vor, weiterhin nach "Putins Spielregeln" zu spielen und sich vom russischen Präsidenten einschüchtern zu lassen.

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"Wir brauchen mutige Entscheidungen und keine Ausreden", stellte Melnyk klar. Scharfe Kritik übte er an der Absage an die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine. Die polnische Regierung hatte am Dienstagabend erklärt, dass man bereit sei, MiG-29-Kampfflugzeuge auf den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz zu verlegen und die Maschinen den USA zur Verfügung zu stellen. Über diesen Umweg sollten die Kampfjets an die Ukraine geliefert werden. Doch dieses Angebot lehnten die Vereinigten Staaten prompt ab. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich am Mittwoch klar gegen diesen Vorschlag aus. Melnyk sprach im Zuge dessen von einer "feigen Entscheidung".
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) konnte die Vorwürfe des ukrainischen Botschafters nicht unkommentiert lassen. Der Außenpolitiker sprach von einem "Debakel", das die polnische Regierung angerichtet hätte. Über Lieferungen von Kampfjets hätte hinter verschlossenen Türen gesprochen werden müssen, sonst sehe es tatsächlich so aus, als würde Putin die Politik des Westens bestimmen. Graf Lambsdorff versuchte zu erklären, dass emotional niemand ein Problem habe, der Ukraine jegliche Unterstützung anzubieten, dennoch müsse man rational entscheiden. Für Andrij Melnyk und die Ukraine war diese Antwort mit Sicherheit nicht zufriedenstellend.