Irgendwas läuft schief in diesem Land. Da patzt der Nationaltorhüter Adler unsäglich im Ligaspiel gegen Bremen. Da lässt die Gold-Biathletin Neuner ihre Kameradinnen bei der Olympia-Staffel generös im Stich. Da redet sich Vize-Kanzler und Möchtegern-Meinungsführer Westerwelle um Hohlkopf und Kragen. Aber wer muss zurücktreten? Margot Käßmann!
Und warum? Wegen lumpiger 1,54 Promille! Das ist eine Schande für ein Land, das sich seiner weltbekannten Brauereien rühmt. Aber der Reihe nach. Was ist wirklich passiert? Nicht viel. Frau Käßmann, die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, hat ein Glas Sekt getrunken.
Mehr nicht. Sagt sie selber. Und es gibt keinen Grund, der Frau nicht zu glauben. Sie hat schließlich bisher auch immer die Wahrheit gesagt.
Afghanistan und Tegernsee
So auch zum Thema Afghanistan. Nichts sei gut dort, meinte sie unlängst. Dafür bekam sie mächtig Rüffel aus der Politik und von der Bundeswehr. Und warum? Weil alle wussten: Es stimmt. Ob ihre Wortmeldung zu dieser heiklen Angelegenheit nötig war, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Und so richtig Erhellendes war es auch nicht. Dass in Afghanistan andere Umstände herrschen als am Tegernsee, erschließt sich dem Durchschnittsbürger auch ohne CNN-Dauerberieselung. Sie hätte auch sagen können: Neuseeländer machen keine guten Weißwürste. Oder: Hertha BSC wird wohl diese Saison nicht deutscher Meister.
Wiesheu, ein Rückblick
So aber muss die Kirchenfunktionärin jetzt schon das verkraften, was Hertha BSC noch bevorsteht: den Abstieg. Direkt nötig war dieser Schritt nicht. Denn sie hatte das Vertrauen des gesamten Rates der Evangelischen Kirche. Wofür also das Bauernopfer? Wieso kann man nicht einfach - und in diesem Fall passt die Floskel wirklich - die Kirche im Dorf lassen? Oder anders gefragt: Hätte man sie wo anders auch über die Klinge springen lassen? Oder ein noch schlimmerer Verdacht: Liegt es gar am Geschlecht? Schließlich ist die Frau erwiesenermaßen eine Frau. Was sie durch das Hervorbringen von vier Töchtern auch noch eindrucksvoll unterstrichen hat.
Ein zugegebenermaßen hinkender beziehungsweise taumelnder Vergleich mag vielleicht nicht gleich Licht, aber zumindest Halbdunkel ins Dunkel bringen. Im schönen Bayernland fuhr ein gewisser Otto Wiesheu, Generalsekretär der CSU, im Jahre 1983 Auto. Gut, das ist jetzt nichts Spektakuläres. Nur hatte er dabei 1,75 Promille. Das mag aus protestantischer Sicht ungeheuerlich klingen. Aber aus bajuwarischer Sicht war das auch nichts sonderlich Spektakuläres. Für einen tüchtigen CSU-Funktionär der Strauß-Ära begann die Zurechnungsfähigkeit ja erst bei 1,5 Promille. Auch hier zeigen sich generelle Wahrnehmungsunterschiede zwischen dem Traditionalismus des Südens und dem Puritanismus des Nordens. Ein sicherlich nicht erwünschter Nebeneffekt der formidablen Promillefahrt war jedoch ein Verkehrsunfall mit einem Toten und einem Schwerverletzten. Die Spätfolgen für Wiesheu waren eklatant. Genau zehn Jahre später machte ihn Edmund Stoiber zum Verkehrsminister. Noch später bekam er das Verdienstkreuz 1.Klasse und auch noch einen Vorstandsjob bei der Deutschen Bahn.
Eine Frage der Toxikologie
Das sollte doch Anlass zu Hoffnung geben für Frau Käßmann. Sofern sie ein paar Jahre Geduld aufbringt. Geduld scheint noch nicht ihre Stärke zu sein. Sie überfuhr immerhin eine rote Ampel. Nur deshalb wurde sie von der Polizei gestoppt. Und jetzt wird es philosophisch: Wie rot ist eigentlich eine rote Ampel, wenn weit und breit kein anderes Auto fährt? Das Polizeiauto zählt logischerweise nicht. Denn das war ja nur dort, um zu schauen, ob wer bei Rot über die Ampel fährt, wenn keine Autos kommen. Ist das nicht ein Sinnbild für die überbordende Bürokratie in diesem Land?
Und was noch dringend geklärt werden muss: Hat Frau Käßmann privat oder dienstlich getrunken? Und überhaupt: Was ist das für ein Sekt, der einen Menschen mit Abitur nach nur einem Glas auf 1,54 Promille beamt? Ist da nicht eher die Toxikologie gefragt statt die Verkehrspolizei?
Zumal auch der moralische Aspekt für die Bischöfin spricht. Wer ganz nüchtern eine rote Ampel überfährt, ist erwiesenermaßen ein Schurke. Wer aber so hackedicht unterwegs ist wie Frau Käßmann, hat sich nicht böswillig, sondern lediglich suboptimal verhalten.
Schiedsrichter schadlos
Zu guter Letzt sei daran erinnert: Frau Käßmann hat trotz beträchtlichem Alkoholpegel keinen einzigen Schiedsrichter betatscht. Ihr können keinerlei Amerellisierungstendenzen nachgesagt werden. Allein das sollte reichen, um Gnade vor Unrecht walten zu lassen.