Pendeldiplomatie Warum jetzt so viele Mächtige nach Israel reisen – und was sie erreichen wollen

Scholz und Netanjahu
Solidarischer Handschlag: Bundeskanzler Olaf Scholz (links) war der erste ausländische Regierungschef, der Israel nach dem Angriff der Hamas besuchte
© Michael Kappeler / DPA
Der eine kam Dienstag, der andere fliegt am Mittwoch ein: Olaf Scholz und Joe Biden besuchen ein Land im Krieg. Es geht um Solidarität – und um kleine diplomatische Erfolge. Doch der Besuch des Kanzlers zeigt auch, wie riskant eine Reise gerade sein kann. 

Der amerikanische Außenminister hat sich viel vorgenommen. Er will den Konflikt im Nahen Osten beruhigen und setzt auf diplomatisches Geschick. Seine Strategie: Immer wieder hin und her reisen, zuhören und vermitteln. Von Israel nach Ägypten, von Ägypten nach Israel. Und wieder von vorn.

Vor 30 Jahren war das. Der amerikanische Außenminister hieß Henry Kissinger. Nach dem Ende des Jom-Kippur-Kriegs suchte er nach Wegen, den Frieden in der Region zu sichern. Kissingers ausgeprägte Reisetätigkeit bekam schnell einen Namen: shuttle diplomacy, Pendeldiplomatie.

Seit dem Terror-Angriff der Hamas am 7. Oktober sind einige Vergleiche zum Jom-Kippur-Krieg gezogen worden. Auch damals war Israel unvorbereitet, ließ sich von seinen Gegnern überraschen, musste erst die Reserve der Armee mobilisieren, schlug dann zurück. Und auch heute setzt nun eine Art Pendeldiplomatie der Freunde Israels ein: teilweise parallel, offenbar gut abgestimmt – aber noch ohne echte Fortschritte. Jedenfalls, was die Frage angeht, wie sich Israel verteidigen kann, ohne dass der Gaza-Streifen humanitär kollabiert.

Außenministerin Annalena Baerbock war vergangene Woche bereits da, anschließend reiste sie nach Ägypten. Am Dienstag war Bundeskanzler Olaf Scholz kurz Tel Aviv, flog dann weiter nach Kairo. Nun kommt US-Präsident Biden, dessen Außenminister Antony Blinken schon den ersten Pendelschlag auf Kissingers Spuren hinter sich hat. Israel, Ägypten – und zurück.

In erster Linie geht es dabei um Solidarität, um ein Zeichen an alle Israelis, um die Botschaft: Ihr seid nicht allein. Es geht aber auch um die Lage im Gazastreifen, um ein Ringen nach humanitärer Hilfe für zwei Millionen Palästinenser, die dem Krieg kaum entkommen können. Und es geht um rund 200 Geiseln, brutal entführt von der Hamas, einige wohl schwer verletzt, über deren Verbleib wenig bis gar nichts bekannt ist.

"In diesen Tagen sind wir alle Israelis"

Die Stadt Netivot liegt im Süden von Israel, etwa 14 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Am Freitag nach dem Beginn des Terrors steht Annalena Baerbock vor einem beschädigten Haus, neben ihr Eli Cohen, der israelische Außenminister, ihr Amtskollege. Eine Rakete, von der Hamas abgefeuert, hat hier drei Menschen getötet. Großvater, Vater und Sohn. Der Besuch geht ihr nah. Wie sollte er das auch nicht

Das Schicksal der trauernden Angehörigen oder derjenigen, die um geliebte Menschen bangen, "lässt uns keine Ruhe", sagt Baerbock. Die Terroristen hätten in Südisrael unvorstellbare Gräueltaten verübt. "In diesen Tagen sind wir alle Israelis."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Es sind Sätze wie diese, mit denen ausländische Politiker Israel in diesen Tagen ihre Solidarität versichern.

"Liebe Freundinnen und Freunde in Israel, wir trauern und wir bangen mit euch!", sagte Olaf Scholz am Dienstag bei seinem "Besuch bei Freunden in schwierigen Zeiten". Er warnte andere Staaten davor, sich einzumischen.

 "Was ich gesehen und gehört habe, hat mir das Herz gebrochen", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein paar Tage zuvor bei ihrem Aufenthalt in Israel. "Dies war der abscheulichste Angriff auf Juden seit dem Holocaust."

"Wir werden immer an Ihrer Seite stehen", sagte US-Außenminister Anthony Blinken beim ersten Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach dem Hamas-Angriff.

Scholz erlebt Raketenalarm am Flughafen

Am Montagabend saß Blinken nach seinem Abstecher nach Ägypten in Tel Aviv wieder mit Netanjahu zusammen. Dann heulten die Sirenen, Raketenalarm, die beiden mussten in den Bunker. Auch Scholz erlebte am Mittwochabend in der deutschen Botschaft einen solchen Schreckmoment. "Move, move, move", ruft ein Soldat, ab in den Schutzraum. So berichtet es ein deutscher Journalist, der dabei war. Für Scholz blieb es nicht dabei.

Der Kanzler und seine Delegation hatten bereits im Regierungsflieger Platz genommen, als am Flughafen Ben Gurion erneut Raketenalarm einsetzte. Alle mussten die Maschine verlassen. Scholz wurde mit einem Auto in ein Gebäude gefahren, die mitreisenden Journalistinnen und Journalisten mussten sich auf dem Flugfeld auf den Boden legen. Dann ein Knall. Wie ein Sprecher mitteilte, habe Scholz zwei Raketen gesehen, die vom Abwehrsystem zerstört wurden. Erst mit Verspätung konnte der Kanzler nach Kairo weiterreisen.

Ausländische Politiker erleben in Israel gerade unmittelbar, warum Solidarität mit ein paar mitfühlenden Worte allein nicht erledigt ist. Wer jetzt hinfliegt, spürt sehr direkt, was es bedeutet, im Herbst 2023 Israel zu leben. In einem Land im Krieg.

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Was hingegen die Situation im Gazastreifen betrifft, müssen sich Israels Partner auf Bilder und Berichte verlassen. Blinkens Bemühungen konzentrieren sich vor allem darauf, möglichst schnell humanitäre Hilfe für die Menschen in dem dicht besiedelten und abgesperrten Gebiet zu organisieren. Strom, Wasser, Lebensmittel. Insbesondere die Lage in den Krankenhäusern gilt als katastrophal, als kurz vor dem Kollaps. Inzwischen sollen sich die USA und Israel auf einen Hilfsplan geeinigt haben. Details wurden aber noch nicht bekannt.

In Rafah, im Süden von Gaza, sammeln sich unterdessen immer mehr Menschen vor dem Grenzübergang nach Ägypten. Sie hoffen, dass sie rauskönnen. Bislang aber bleibt das Tor geschlossen. Erste Andeutungen von US-Vertretern, dass es eventuell eine Einigung mit Ägypten geben könnte, die Grenze zu öffnen, bestätigten sich bisher nicht. Man darf davon ausgehen, dass auch Kanzler Scholz das Thema bei seinem Besuch in Kairo ansprechen wird.

Eine einfache Lösung? Nicht in Sicht. Ägypten und auch Jordanien haben mehrfach deutlich gemacht, die Palästinenser nicht aufnehmen zu wollen. 

Aber genau das ist eine der zentralen Fragen, um die es bei der Neuauflage der Pendeldiplomatie im Nahen Osten geht: Wie verhindert man zivile Opfer bei einer möglichen israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen? Wo sollen all die Menschen hin? Dabei fällt auf, dass die USA, Deutschland und auch andere westliche Staaten in der öffentlichen Ansprache eine Strategie nachdrücklicher Beratung verfolgen, immer bemüht, nicht die eigenen Solidaritätsbekundungen zu konterkarieren. Man will Israel unterstützend zur Seite stehen, nicht belehrend.

Einfach, das ist ihnen allen bewusst, wird das auf gar keinen Fall. 

US-Präsident Biden musste noch vor seinem Abflug aus Washington einen Rückschlag hinnehmen. Jordanien sagte ein für Mittwoch geplantes Treffen zwischen König Abdullah II. und Biden ab. Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi sollten an dem Gespräch in Amman teilnehmen. Es wäre die vermutlich beste Chance für Biden gewesen, in vertraulicher Atmosphäre Überzeugungsarbeit zu leisten.

Hintergrund der Absage ist wohl der Raketeneinschlag in einem Krankenhaus im Gazastreifen, bei dem am Dienstagabend viele Menschen getötet oder verletzt worden sind. Die israelische Armee gibt der militanten Palästinenserorganisation "Islamischer Dschihad" die Schuld und verweist auf entsprechende Videoaufnahmen. Die von der islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde macht die israelische Armee verantwortlich. Unabhängig sind diese Informationen aktuell nur schwer zu überprüfen.

Baerbock und Scholz sprachen mit Angehörigen der Geiseln

Baerbock hat bei ihrem Israel-Besuch auch Angehörige von Vermissten getroffen. Sie sprach unter anderem mit der Familie der mutmaßlich nach Gaza entführten Shani Louk. "Annalena Baerbock hat mit uns gesprochen, das war gut. Das ersetzt aber keine Taten. Wir brauchen jetzt sofort ein medizinisches Team, das zu den Geiseln gelassen wird, um sie zu versorgen", sagte Tom Weintraub-Louk, die Cousine, anschließend dem stern.

Auch Scholz traf am Dienstag Angehörige. Der Kanzler gab sich nur vorsichtig optimistisch. Die Familien der Geiseln setzen große Hoffnungen in ihn. "Er ist der Mann der Stunde. Wir glauben an seine Fähigkeit, allen Einfluss Deutschlands zu nutzen, um die Geiseln von der Hamas zu befreien", sagte Gili Romann, Bruder der verschleppten Yardan Romann, bei einer anschließenden Pressekonferenz. Er fühle sich durch den Besuch des Kanzlers sehr gestärkt: .

Bislang aber blieben alle Bemühungen ohne Erfolg. Die Bundesregierung hat weiterhin keinen Kontakt zu den deutschen Geiseln, die von Terroristen der Hamas in den Gazastreifen verschleppt wurden. Nun hofft man, dass Katar und die Türkei vermitteln könnten.

Man hofft. Und pendelt weiter.