Zypern und die Schuldenkrise Rettung, begrenztes Chaos oder Horror

  • von Thomas Schmoll
Wahrscheinlich einigen sich Zypern und die anderen Eurostaaten auf ein Rettungspaket für die Insel. Aber was, wenn nicht? Drei Szenarien: von "alles wird gut" bis zum absoluten Horror für Europa.

Erst verunsicherten die Euroretter die Sparer auf dem gesamten Kontinent, weil sie planten, sämtliche Bürger mit einem Konto auf Zypern zur Kasse zu bitten. Dann lehnte das Parlament in Nikosia die Vorschläge der Regierung des Inselstaates rundheraus ab, obwohl der Anti-Staatspleitenzuschlag erst ab 20.000 Euro fällig werden sollte. Die Politiker Zyperns legten einen Alternativplan vor, den wiederum die anderen Euroländer zurückwiesen. Nun hat Russland, das sich tagelang als Retter in der Not aufspielte, angekündigt, dem kleinen Inselstaat nicht zu helfen. Dahinter steckt vermutlich Taktik, um die Eurozone zu zwingen, eine Entscheidung zu treffen: Zypern in den Bankrott zu schicken oder ein verbessertes Angebot zu machen. Das Eiland braucht dringend 17 Milliarden Euro, um nicht pleitezugehen. Der Löwenanteil davon käme zwei maroden Großbanken zugute, der Rest dem unterfinanzierten Staatshaushalt.

Es folgen drei ungefähre Szenarien, wie es mit dem Land und der Währungsunion weitergehen könnte. Angesichts der unklaren Lage ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Denn selbst das Szenario einer raschen Einigung zur Rettung Zyperns enthält Risiken.

1. Zypern wird mit Milliardenkrediten gerettet

Nach außen hin scheinen die Fronten extrem verhärtet zu sein. Dennoch scheint eine Einigung zwischen Zypern und den Eurorettern das mit Abstand wahrscheinlichste Szenario zu sein. Allerdings muss das Land den geforderten Eigenanteil von 5,8 Milliarden Euro liefern - und zwar beleg- und belastbar. Nur dann werden die internationalen Geldgeber die übrigen zehn Milliarden Euro als Kredite herausrücken. Die Regierung in Nikosia hat bisher nur einen vagen "Plan B" vorgelegt. Bekannt sind grobe Züge. Die Hoffnung Zyperns, dass Russland durch Streckung alter Kredite oder der Vergabe neuer Darlehen hilft, ging vorerst nicht auf. Also muss der Inselstaat - selbst wenn Moskau später doch Geld herausrückt - die 5,8 Milliarden Euro allein auftreiben.

In Kreisen der anderen Eurostaaten wird Zypern vorgeworfen, nichts zu Wege zu bringen und sich wenig kooperativ zu verhalten. Das liegt vor allem daran, dass sich Zypern nicht von seinem Geschäftsmodell, ein Mix aus geringen Unternehmensteuern und laxer Finanzaufsicht - verabschieden will. Geplant ist die Einrichtung eines Fonds, der Staatsanleihen an zyprische Bürger und Institutionen wie die Kirche ausgibt. Der Erwerb der Papiere wäre ein solidarischer Akt, also keine Zwangsabgabe. Ob die Euroretter da mitspielen, hängt davon ab, wieviel Geld zu erwarten und wie seriös das Ganze ist. Wenn die Zyprioten ihrem eigenen Staat misstrauen, geht die Aktion nach hinten los. Die Kirche und die Klöster kündigten an, ihr gesamtes Vermögen einzubringen.

Wahrscheinlich sind ein stärkerer Verkauf von Staatseigentum, höhere Unternehmenssteuern und ein strafferer Sparkurs. Im Gespräch ist auch, staatliche Pensionsfonds anzuzapfen. Das aber ist riskant: Ist Zypern pleite, sind auch die Renten futsch. Möglich ist auch, dass Zypern die Zwangsabgabe auf Spareinlagen ab 100.000 Euro mit 9,9 bis 15 Prozent belastet. Auch wenn das langfristig dazu führen würde, dass die Insel wahrscheinlich für internationale Anleger an Attraktivität verlöre.

Die Wahrscheinlichkeit einer Einigung der zyprischen Politiker auf Einschnitte über 5,8 Milliarden Euro ist angesichts der russischen Haltung hoch. Dann würden die anderen Geldgeber die zehn Milliarden Euro Hilfskredite freigeben, das Land käme um die Staatspleite herum und zunächst zur Ruhe. Ob Zypern allerdings dafür sorgen kann, bald ein festes Fundament aufzubauen und wieder Darlehen am Kapitalmarkt aufzunehmen, ohne von der Zinslast erdrückt zu werden, ist dann immer noch fraglich. Die Wettbewerbsfähigkeit wird nicht höher. Allein vom Tourismus und der Ausbeutung der Gasvorkommen wird der Inselstaat nicht dauerhaft leben können. Aber er hätte nach seiner Rettung vor dem Bankrott die Chance für einen Neuanfang.

2. Das gemäßigte Horrorszenario

Für den Fall, dass das Rettungspaket scheitert, sind unterschiedliche Varianten möglich, wie es dann weitergehen könnte. Die damit verbundenen Risiken sind schwer einzuschätzen. Eine Option ist, den Staat zahlungsfähig zu halten, also mit frischen Krediten zu versorgen, aber die zwei angeschlagenen Großbanken in die Pleite zu entlassen. Dann wären die Einlagen der Sparer futsch. Denn Zypern - weder der Staat noch die anderen Banken - kann die EU-weit garantierten maximal 100.000 Euro pro Kunde vermutlich nicht zahlen. Hier müssten die Euroretter also einspringen. Die Variante wäre klar billiger als das bisher angedachte Rettungspaket oder gar ein Staatsbankrott. Auch die Verwerfungen im Rest der Eurozone dürften begrenzt sein. Die Zypern-Krise hat die Börsen weltweit nicht nachhaltig erschüttert. Allerdings sind die zwei betroffenen Banken in Griechenland engagiert. Dort hat sich die Situation gerade beruhigt. Hellas könnte also wieder stärker in Schieflage kommen. Angedacht ist auch, eine der Großbanken aufzuspalten in einen "gesunden" und einen "kranken" Teil (Bad Bank). Folge könnte jedoch sein, dass reiche Einleger weitaus mehr Geld verlieren als nach den gescheiterten Plänen, Sparer zur Kasse zu bitten.

Möglich ist aber auch eine Staatspleite mit fatalen Folgen für Zypern und seine Bewohner, die jedoch die Eurozone wirtschaftlich nicht in den Abgrund zieht. Der kleine Inselstaat hat für das Gebiet der Gemeinschaftswährung keine Bedeutung. Er bringt weniger als ein Prozent Wirtschaftsleistung in die Eurozone ein. Da die zyprischen Banken allein in Griechenland Filialen haben und sonst kaum in Europa vernetzt sind, würde eine Pleite vermutlich nicht zu gravienden Verwerfungen in der Eurozone führen oder gar die Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel ziehen. Das setzt jedoch voraus, dass die Lage in Griechenland sich nicht dramatisch verschärfen würde und es nicht zu einem Bank Run kommt, also Bürger in zig Staaten Europas ihre Konten leeren aus Sorge, ihr Vermögen zu verlieren (siehe "absolutes Horrorszenario"). Die Griechen treffen Gegenmaßnahmen. Die heimische Piraeus-Bank soll die griechischen Töchter der von der Pleite bedrohten Bank of Cyprus und der Cyprus Popular Bank übernehmen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Für die Zyprer wäre die Staatspleite auf alle Fälle schmerzlich. Das Land würde wochen- und vielleicht monatelang Chaos und Elend erleben. Die zwei angeschlagen Banken würden pleitegehen und die anderen Finanzinstitute der Insel in den Abgrund ziehen, die Sparguthaben wären dahin, die Unternehmen erhielten keine frischen Kredite und könnten nicht mehr investieren. Massenarbeitslosigkeit wäre die Folge. Zypern würde kein frisches Geld bekommen, weil die Staatsanleihen über lange Zeit nicht an den Investor zu bringen wären. Rentner und Staatsangestellte erhielten keine Pensionsgelder und Gehälter mehr. Dann müsste Zypern zur alten Währung zurückkehren, die nie und nimmer den Wert des Euro hätte. Das hieße, eine Rückzahlung der in Euro gemachten Kredite wäre unmöglich. Folge wäre ein Schuldenschnitt und ein Neuanfang.

Russland würde finanziell nicht helfen, weil das Land, das selbst einen wenig soliden Staatshaushalt aufweist, überfordert wäre. Die politischen Folgen eines Austritts Zyperns aus der Eurozone und dann wohl auch der Europäischen Union ist schwierig einzuschätzen. Russland würde dort wohl stark an Einfluss gewinnen, der Konflikt mit der Türkei bliebe auf Jahre ungelöst. Europa würde Zypern deshalb kaum völlig im Stich lassen, was wiederum viel Geld kosten dürfte.

3. Das absolute Horrorszenario

Das dramatischste Szenario ist zugleich das unwahrscheinlichste. Klar ist: Die Folgen eines Crashs kann niemand seriös einschätzen. Klar ist aber auch: Sollte das Horrorszenario eintreten, wären die Auswirkungen fatal. Europa bräuchte Jahre, sich davon zu erholen. Deutschland würde eine aberwitzige Summe an Geld verlieren.

Also angenommen, Zypern ist bankrott, verlässt die Währungsunion und reißt die gesamte Eurozone in den Abgrund. Theoretisch ist das möglich, wenn es tatsächlich zu einem Bank Run käme. Der liefe ungefähr so ab: Der Staatspleite folgt der Untergang der zyprischen Banken mit den in Szenario zwei beschriebenen Folgen für das Land. Die untergegangene Finanzwirtschaft Zyperns bringt auch die Banken Griechenlands an den Abgrund. Die gesamte griechische Wirtschaft würde einen Schock erleben, die Euroretter müssten wieder mit Milliarden einspringen, um dem Land zu helfen. Das Geld reicht nicht aus, weil die Griechen ihre Konten abräumen. Und dann wird es gefährlich.

Der Angst verbreitende Virus greift auf andere Eurostaaten über, vor allem auf die Länder, die selbst in akuter Finanznot sind. Millionen Europäer rennen zur Bank und heben ihr Geld ab. Das würde den Finanz- und dann den Wirtschaftskreislauf zum Erliegen bringen. Das Vertrauen in die Eurozone und deren Währung wäre endgültig dahin. Die Zinsen, die die Staaten an ihre Geldgeber zahlen müssen, würden exorbitante Höhen erreichen, weitere Länder stünden vor der Pleite. Der Eurorettungsschirm wäre zu klein, um zu helfen. Die Eurozone würde auseinanderbrechen in reiche und arme Länder oder völlig zerfallen. Nach und nach würden die Staaten wieder ihre alten Währungen einführen, nach Schuldenschnitten verlören Inhaber von Anleihen der betroffenen Länder viele Milliarden. Der Schock für die Weltwirtschaft wäre enorm. Tiefe Rezessionen, Chaos, soziale Verwerfungen und Unruhen als Folge von Massenarbeitslosigkeit, Inflation oder Deflation, politische Instabilität - theoretisch alles möglich.