"Das Wunder von Lengede" bewegt die Menschen noch nach 40 Jahren. Zwei Wochen nach einem Grubenunglück wurden elf tot geglaubte Bergleute in einer dramatischen Rettungsaktion aus 50 Meter Tiefe geborgen. Ganz Deutschland nahm am Schicksal der Männer Anteil. Erstmals in der Fernsehgeschichte wurde live über eine Katastrophe berichtet. "Wir waren keine Helden, Helden waren unsere Retter", erinnert sich Adolf Herbst. Der 60-Jährige gehört zu den Überlebenden jenes Unglücks in Niedersachsen, bei dem 29 Männer starben. Anfang November strahlt SAT.1 einen Zweiteiler über das Schicksal der Bergleute aus.
Eingeschlossen in einem etwa fünf Meter langen und drei Meter breiten Hohlraum eines stillgelegten Stollens erlebte er als 20- Jähriger Hunger, Dunkelheit und vor allem Ungewissheit. "Wir hatten ständige Todesangst, aber so lange man atmet, gibt es auch Hoffnung", erinnert sich der Monteur. Die 129 Bergleute wurden am 24. Oktober 1963 beim Bruch eines Klärteichs von 500 000 Kubikmetern Wasser und Schlamm im Schacht Mathilde überrascht. Noch am selben Tag konnten sich 79 Männer retten, sieben wurden am Folgetag geborgen. Nach acht Tagen wurden weitere drei Bergleute aus einer Luftblase aus 79 Meter Tiefe geborgen. Für die anderen schien jede Hoffnung verloren.
Der "Alte Mann" als Verhängnis
Herbst gehörte zu der Gruppe von 21 Männern, die sich in den stillgelegten Stollen namens "Alter Mann" flüchten konnten. "Ich war als einziger kein Bergmann, ich wusste nicht, wo ich war", sagt er. Eine Woche zuvor war er erstmals in seinem Leben eingefahren. Am Unglückstag schob er eine Doppelschicht, um am nächsten Tag seine Verlobung feiern zu können. Die anderen wussten, dass der "Alte Mann" kein sicherer Ort war. Die Stützbalken waren bereits entfernt, der Stollen sollte einstürzen. Das Gestein über den 21 Männern war ständig in Bewegung, die Geräusche verhießen nichts Gutes. Zehn Bergleuten wurde der "Alte Mann" zum Verhängnis, sie wurden von herabstürzenden Platten erschlagen. Ihre Leichen blieben unter Tage.
Die überlebenden Männer wussten, dass die Zeit drängt. Über Tage hatten die meisten längst alle Hoffnung aufgegeben. Auf der Totenliste für die am 4. November angesetzte Trauerfeier standen auch die Namen der elf eingeschlossenen Männer. "Wir konnten uns nicht vorstellen, dass dort unten noch jemand leben könnte", erinnert sich Kurt Schoenfeldt. Der Vermessungsingenieur legte damals die Stellen für die Suchbohrungen fest. Doch einige Bergleute hatten eine Spalte in Erinnerung, die zu einem Hohlraum führen könnte. Sie setzten eine letzte Suchbohrung durch. "Ich habe nicht geglaubt, jemanden zu finden", erinnert sich Schoenfeldt.
Am 3. November, zehn Tage nach dem Teichbruch, dann das Wunder: Klopfzeichen aus 50 Metern Tiefe waren zu hören. Durch das nur sechs Millimeter große Bohrloch ließen die Rettungskräfte an einem Bindfaden eine kleine Taschenlampe und einen Zettel in die Tiefe. Noch vier Tage mussten die elf überlebenden Männer im "Alten Mann" ausharren, bis sie nach zwei langen Wochen wieder ans Tageslicht geholt wurden. "Ich habe nie wieder unter Tage gearbeitet", sagt Herbst. Auch für Ingenieur Schoenfeldt waren die dramatischen Wochen prägend: "Man kann sich die seelische Belastung nicht vorstellen. Das ganze Dorf ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen."