Zweiter Weltkrieg "Brennt Paris, brennt Paris?"

Die Champs-Elysees versanken im Freudentaumel, als Paris, das wie Warschau in Schutt und Asche gelegt werden sollte, am 25. August 1944 von der Nazi-Herrschaft befreit wurde. Im Herzen Frankreichs tobte der Krieg weiter.

"Brennt Paris, brennt Paris?" rief Adolf Hitler hysterisch ins Telefon. Der "Führer" des nationalsozialistischen Deutschland hatte befohlen, die aufständische Seine-Metropole wie Warschau in Schutt und Asche zu legen. Immer wieder bedrängte er den Pariser Stadtkommandanten General Dietrich von Choltitz, mit dem Vernichtungswerk zu beginnen. Doch der Kunstliebhaber sabotierte die Befehle. Am 25. August 1944 unterzeichnete er die Kapitulation. Paris war frei.

Für General Charles de Gaulle kam dieser Aufstand zu früh. Noch am 16. August 1944, als die Pariser Polizei schon begann, den Deutschen den Befehl zu verweigern, untersagte der Kopf des freien Frankreich die Erhebung. Denn die in Nord- und Südfrankreich vorrückenden Alliierten wollten Paris auf ihrem Vormarsch nach Deutschland einfach umgehen. Jetzt eine Schlacht um Paris zu beginnen, war so unnötig wie gefährlich.

Doch die Kommunisten im Widerstand wollten eine "revolutionäre Lage" ausnutzen und ihre Position für die Zeit nach dem Sieg der Alliierten stärken. Am 18. August proklamierte der Spanienkrieg-Veteran Henri "Rol" Tanguy, der in Paris die Partisanen der Forces Françaises de l’Intérieur (FFI) befehligte, die allgemeine Mobilmachung. Tags darauf riefen auch de Gaulles Leute zu den Waffen.

"Sägt an ihren Beinen, nagt sie überall an"

Während in der Normandie der Kessel von Falaise zur tödlichen Falle für die deutschen Truppen wurde, begann mit einem Generalstreik am 19. August die Erhebung der Hauptstadt. "Sägt an ihren Beinen, nagt sie überall an", lautete die Parole. Die Partisanen, die über eine geheime Telefonzentrale verfügten, nutzten die Kanalisation, um sich schnell unerkannt zu bewegen. Bald engten 600 Barrikaden die Bewegung der Besatzer ein, Schüsse aus dem Hinterhalt setzten ihnen zu. Deutsche Widerständler wie der heute in Frankfurt lebende Peter Gingold untergruben mit Aufrufen die Moral der Wehrmachtsoldaten.

Von Choltitz, der Eroberer der Festung Sewastopol 1942, hatte erst am 9. August die Kommandantur von Groß-Paris übernommen. Er wusste, dass er mit seinen 16 000 Mann und 80 Panzern die Stadt nicht halten konnte. Schnell handelte er über den schwedischen Generalkonsul Raoul Nordling eine Waffenruhe aus, die aber nach nur 24 Stunden von den FFI aufgekündigt wurde. Hitlers Befehle zur Verminung aller Brücken ignorierte er.

Am 22. August gab von Choltitz Nordling grünes Licht für eine Botschaft an US-General Dwight Eisenhower: Paris wird brennen, wenn die Alliierten nicht eingreifen. Auch von den Franzosen stark bedrängt, gab Eisenhower dem französischen General "Leclerc" (Philippe Marie De Hauteclocque) den Befehl zum Marsch auf Paris. Leclerc hatte lange um diesen Befehl gerungen. Er wollte, dass Paris von Franzosen und nicht von Amerikanern befreit werde. Der General befehligte zwar eine Truppe mit 4200 Fahrzeugen und 16 000 Mann aus Nordafrika, dem Tschad und Syrien, doch seine 2. Gepanzerte Division war den US-Streitkräften unterstellt.

De Gaulles Einzug unter dem Jubel der Bevölkerung

Während in einigen Vororten gekämpft wurde, drang eine Vorhut Leclercs am 24. August 1944 bis zum Pariser Rathaus vor. Am nächsten Morgen rückten seine Sherman-Panzer von drei Seiten in die Kapitale ein.

Am Nachmittag unterzeichneten Leclerc und von Choltitz im Beisein Tanguys die Kapitulation des Stadtkommandanten. Eine Stunde später zog de Gaulle unter dem Jubel der Bevölkerung in der Hauptstadt ein. Der Blutzoll für die Befreiung von Paris war relativ gering: 130 Soldaten Leclercs, 500 (nach anderen Quellen 1000) Widerstandskämpfer und 400 bis 600 Zivilisten verloren ihr Leben - gegen 200 000 Opfer im kleineren Warschau.

Vom einen Ende der Stadt zum anderen erinnern heute Gedenksteine an die Opfer: Männer, Frauen, Jugendliche. An der Place de la Concorde wachsen Blumen unter zehn Marmorplatten, die in die alte Steinwand eingelassen sind. Die erste erinnert an Marcel Bizien, einen Panzerkommandeur der zweiten Division. Er lieferte sich am 25. August zur Mittagszeit mit einem deutschen Panzer ein Duell auf den Champs-Elysees. Der deutsche Tiger wurde mit einem direkten Treffer zerstört. Bizien fiel bei einem anschließenden Gefecht.

Jacques Fouet beobachte das Panzergefecht einerseits mit Stolz auf das auferstandene Frankreich, andererseits mit Hass auf die Nazis, die so viel Leid und Schmerz verursachten. Der 81-Jährige sagt, heute sei er glücklich über jede neue Verbindung zwischen den alten Rivalen. "Ich habe schon immer gesagt: Von dem Tag an, an dem Deutschland und Frankreich zu einer Verständigung kommen, wird es keinen Krieg mehr in Europa geben."

Diejenigen, die sich noch an den 25. August 1944 erinnern, feiern heute mit bitter-süßen Gefühlen. Für viele endeten die Demütigung und der Horror der Besatzung und des Krieges erst Jahre, wenn nicht Jahrzehnte später. "Als der Kampf vorbei war, hatten wir erst wichtigeres zu tun, als das Geschehene zu reflektieren", sagt Resistance-Kämpfer Delarue.

Tiefer Riss in der französischen Gesellschaft

Der Zweite Weltkrieg brachte nicht nur Frankreich gegen den Nachbarn und früheren Verbündeten Deutschland auf, sondern führte auch zu einem tiefen Riss in der französischen Gesellschaft. Während sich etliche dem Widerstand anschlossen, arbeiteten andere mit den Nazis zusammen. Jacques Delarue merkte in seiner Gefängniszelle in Limoges in Vichy-Frankreich nichts vom Jubel in der Hauptstadt. "Wir dachten, der Krieg sei nach der Entscheidung in Paris vorbei", erinnert sich der 85-Jährige. "Aber es führte nur zu einer weiteren Verbitterung zwischen den Kollaborateuren und den echten Franzosen."

Als die Alliierten nach Paris marschierten, musste Delarue erleben, wie französische Milizionäre, die noch loyal gegenüber Berlin waren, mit drei Resistance-Kämpfern kurzen Prozess machten. "Ich hörte es aus meiner Zelle. Die drei wurden angehört, verurteilt, an die Wand gestellt, erschossen. Das dauerte nicht länger als eine Stunde." Heute ist er wie Dutzende weitere Veteranen zur Versöhnung bereit. "Wir müssen diese alte Rivalitäten beenden", sagt er.

"Das ist der Triumph des 21. Jahrhunderts", sagt Jean-Marie Delabre, 81 Jahre alt. "Frieden heißt, mit anderen zusammenzuleben und nationale Unterschiede in etwas stärkeres zu verwandeln." Er selbst habe lange für diese Einsicht gebraucht. Als Paris feierte, kämpfte er mit der Resistance bei Dijon. Delabre wurde gefangen genommen, kam in ein deutsches Lager und wurde erst nach Kriegsende im Mai 1945 freigelassen.

Heute, 60 Jahre danach, gehören die Leidtragenden von damals zu den stärksten Verfechtern eines neuen, vereinten Europa.

Hans-Hermann Nikolei/DPA DPA

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