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"maischberger. die woche" Nach sechs Wochen Krieg: Vor der Giftschlange Putin wirkt die Scholz-Regierung wie ein Kaninchen

Strack-Zimmermann und Gysi bei Maischberger
Deutschlands zurückhaltende Rolle im Ukraine-Krieg: Engagierte Diskussion zwischen Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Gregor Gysi (Linke) und Gastgeberin Sandra Maischberger (v.li.)
© Oliver Ziebe / WDR
Die Bilder aus dem ukrainischen Butscha lassen erahnen, was russische Truppen der Zivilbevölkerung antun. Doch bei Maischberger wird klar: Die Bundesregierung agiert wie ein verschrecktes Kaninchen vor einer Giftschlange. 

Nach dem Rückzug der russischen Truppen gingen die Fotos der ukrainischen Kleinstadt Butscha um die Welt: Zahlreiche Leichen waren auf den verlassenen Straßen zu sehen, die meisten von ihnen gefesselt, unbekleidet oder verbrannt. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen geht bei den Getöteten von Zivilisten und Zivilistinnen aus, die UN will zur Sammlung von Beweisen ein Gremium nach Butscha schicken. Und Deutschland? Eiert wie immer rum. 

Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Berlin, wirft Deutschland durch jahrelange Untätigkeit eine Mitschuld an der heutigen Situation vor. Deutschland müsse seine außenpolitischen Fehler der letzten Jahrzehnte aufarbeiten, sagt er am Mittwochabend im Talk bei Sandra Maischberger. Es diskutieren: 

  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses
  • Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Linken
  • Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland
  • Ulrich Wickert, Journalist und Autor
  • Anna Sauerbrey, Journalistin ("Die Zeit")
  • Gabor Steingart, Journalist und Medienunternehmer ("The Pioneer")

So langsam wacht man in Deutschland auf: Anfang der Woche hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmaier (SPD) schwere Fehler und Irrtümer in seiner Russlandpolitik eingeräumt. Für Melnyk, der die Versäumnisse der Regierung gegenüber Wladimir Putin scharf kritisiert hatte, ein Schritt in die richtige Richtung. "Das ist ein guter Anfang", kommentiert er die Entschuldigung bei Maischberger. Angesichts der Entdeckungen in Butscha und der nach wie vor besetzten Städte fordert der ukrainische Botschafter allerdings konkretere Handlungen von der Bundesregierung. 

Wie das aussehen soll, erklärt Melnyk so: Er will ein Energieembargo und damit den sofortigen Stopp von Gaslieferungen aus Russland. Die Politik gebe sich einer Salamitaktik hin, agiere viel zu zaghaft und schüchtern, so der Botschafter: "Was soll nach Butscha denn noch passieren?"

Linken-Politiker Gysi distanziert sich: "Bin mit Putin fertig”

Doch auch der Kritisierende selbst muss sich bei Maischberger am Mittwoch Kritik stellen: "Alle Russen sind gerade unsere Feinde", hatte der Botschafter gegenüber der "FAZ" gesagt. Auf seinem Twitter-Account hatte er kurz vor der Sendung nochmal nachgelegt: "Klingt hart. Isso aber". Auf seine Polemik angesprochen, erklärt er bei Maischberger fast kleinlaut: "Wir befinden uns jetzt leider in einer Ausnahmesituation, und deswegen sind die Emotionen so, wie sie sind."

Emotionen scheinen die Bilder aus Butscha immerhin auch im Bundestag hervorgerufen zu haben. "Ich bin mit Putin und der russischen Führung fertig", verkündet Linken-Politiker Gregor Gysi mit einer energischen Handbewegung. Besonders in seiner Partei hatten Mitglieder wie Sahra Wagenknecht dem russischen Präsidenten noch lange Verständnis entgegengebracht. Gysi dagegen scheint nun klar auf der ukrainischen Seite zu stehen: "Ich glaube, dass wir auf dem Weg zum Völkermord sind", erklärt er. 

Doch wie klingt das, wenn den Worten Taten folgen sollen?

Energieembargo und Sanktionen, aber wie? 

Gleich mehrmals fragt Maischberger ihre Gäste, ob die Bilder aus Butscha einen politischen Umbruch bedeuten würden. Dabei wird schnell klar: Butscha ist nur ein Symptom eines viel größeren Problems. Die Besänftigungspolitik mit autoritären Ländern sei gescheitert, stellt FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann fest: "Wir können uns nicht mehr raushalten." Nur: Selbst in ihrer eigenen Fraktion sei derzeit noch nicht klar, wie man sich im Falle Russlands genau einmischen soll. 

Natürlich ist die Ukraine-Krise komplex – immerhin könnte der Krieg schwere wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen und bei einem falschen Schritt des Auslands in den dritten Weltkrieg münden. Allein Gysi und Strack-Zimmermann lassen am Mittwoch durchscheinen, dass die Bundesregierung bei der Formulierung konkreter Sanktionen auch nach mehr als einem Monat Angriffskrieg keine klare Linie hat. Vor der Giftschlange Putin wirkt sie fast wie ein schreckhaftes Kaninchen. 

Besonders Gysi lehnt Sanktionen ab, die in erster Linie die russische Bevölkerung treffen. Das beträfe die meisten Wirtschaftssanktionen. "Wer sagt denn, dass Putin das beeindruckt, wenn es seine Bevölkerung trifft?", fragt er. Der Einwurf ist durchaus berechtigt. Dann aber verliert sich der Linken-Politiker in hypothetischen Konstrukten: Russland und die Ukraine lieferten ein Drittel der weltweiten Getreideproduktion. Wenn Putin in die Ecke gedrängt werde, könne er die Versorgung einstellen, sorgt sich Gysi: "Dann werden Millionen weltweit sterben." 

Für Strack-Zimmermann scheinen solche Szenarien angesichts der aktuellen Geschehnisse zeitverschwenderisch: "Natürlich gehört Putin in die Ecke gedrängt – da, wo er hingehört", ruft sie. "Und am besten noch nach Den Haag." Sie meint damit den Weltstrafgerichtshof, wo unter anderem Kriegsverbrecher verurteilt werden. 

FDP-Politikerin will schwere Waffen in die Ukraine liefern 

Dann findet die FDP-Politikerin doch noch deutliche Worte. "Wir müssen Waffen liefern, wir können auch schwerere Waffen liefern", erklärt sie. Auf Waffenlieferungen zu verzichten, um den Krieg zu stoppen, sei angesichts des Überfalls auf die Ukraine zynisch. Ein Seitenhieb in Richtung Gysi, der in einem weiteren Gedankenspiel erklärt hatte, Deutschland könne durch seine eigene Geschichte nicht zwei ehemalige Sowjet-Staaten gegeneinander aufbringen. Hitler hatte 1941 eine Blitzkrieg-Offensive gegen die Sowjetunion gestartet, wodurch insgesamt rund 27 Millionen Menschen starben.

Dass Strack-Zimmermann mehr Waffen in die Ukraine liefern will, dürfte auch Botschafter Melnyk gefallen. Der kritisiert, die Kommunikation zwischen der Ukraine und dem Verteidigungsministerium laufe auch nach 42 Tagen Krieg schleppend: Eine Aussage der Ministerin Christine Lambrecht (SPD), wonach die Ukraine explizit um Geheimhaltung bei der genauen Zusammensetzung der bisherigen Waffenlieferungen gebeten habe, sei zudem unwahr. Eine solche Absprache habe es nicht gegeben. Da zieht selbst Maischberger irritiert die Augenbrauen hoch. 

Strack-Zimmermann, die immerhin Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist, gibt sich diplomatisch: Sie sei nicht im Bilde und könne Melnyks Aussage weder bestätigen noch dementieren. Nur soviel: "Ich habe mich auch schon mit Herrn Melnyk gezofft." Die Emotionen sind dieser Tage eben bei allen hoch.

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