Am Anfang hatte der Kandidat Anlaufschwierigkeiten: "Ihr müsst lauter klatschen", dröhnte es beim Auftritt von Frank-Walter Steinmeier auf dem Münchner Bundeskongress der Jusos aus den Lautsprechern. Und als der Parteinachwuchs noch immer nicht genug jubelte, legte ein Präsidiumsmitglied nach: "Ein bisschen lauter geht es noch!" Dann endlich redete Steinmeier - und sagte den 300 Delegierten, was sie hören wollten: Mehr Bafög, keine Steuersenkungen, kein Marktradikalismus, Abschaffung der Studiengebühren. Der Nachwuchs dankte mit tosendem Applaus und Fangesängen: "So sehen Kanzler aus, schah-lallala", und dann nochmal, "so sehen Kanzler aus, schah-lalalalla!"
Wie geht das? Hatte Steinmeier nicht die Agenda 2010 erfunden? Hatte seine Partei nicht gerade ein erbärmliches Ergebnis bei der Europawahl eingefahren? Viele Jusos trugen T-Shirts mit der Aufschrift "Die Revolution hat bei uns längst begonnen." Aber das hatte offenkundig nichts zu bedeuten. Symptomatischer war der Tagungsort. Direkt unter der Versammlungshalle, im Erdgeschoss des Münchner Messehauses, lief eine Show namens "Cosmetic Beauty". Kosmetik hier, Kosmetik da. Linke Kosmetik.
"Wir tun alles für Dich"
Steinmeier hatte in seiner Rede alle Register gezogen. Besonders intensiv ging er auf das Thema Bildung ein, das unter Jusos naturgemäß populär ist. "Ich will, dass die SPD ein Angebot macht: Erstens, Abschaffung der Studiengebühren. Zweitens, wir halten das Bafög stark. Und drittens, aus Steuersenkungen kommt das Geld für Bildung nicht her." Sich selbst charakterisierte Steinmeier, in der Tonlage wieder merklich schrödernd, als Jungen aus einfachen Verhältnissen: "Bildung und Macht nur für wenige - das mag das Denken von anderen sein. Gott sei Dank haben Sozialdemokraten dieses Denken immer bekämpft, sonst stände ich heute nicht hier." Später wiederholte er eine Redepassage, die ihm schon auf dem Berliner Parteitag viel Beifall gebracht hatte: "Schwarz-Gelb darf keine Mehrheit bekommen. Es kann doch nicht sein, dass uns die Ideologie, die uns in diese Krise hinein geführt hat, gleichzeitig die Antwort auf diese Krise sein wird."
Franziska Drohsel, alte und neue Bundesvorsitzende der Jusos, die auf dem Berliner Parteitag noch vergeblich für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer gekämpft hatte, gab sich diesmal handzahm. "Wir werden alles dafür tun, dass wir mit Dir einen Bundeskanzler haben werden", warf sie Steinmeier zu. "Wir unterstützen das Wahlprogramm in seinen zentralen Aussagen. Wir finden es richtig, dass die SPD Vermögende wieder stärker zur Finanzierung des Sozialwesens heran zieht [gemeint war die geplante Reichensteuer, Red]." Wer Frechheiten und Kritik aus den Reihen des Nachwuchses erwartet hatte, wurde an diesem Freitagabend schwer enttäuscht. Dass Drohsel beiläufig von einer "Glaubwürdigkeitskrise der SPD" sprach und Karl Marx zitierte, ging in der Steinmeier-Show beinahe unter. "Lasst uns weiter dafür kämpfen, die SPD von links anzutreiben", rief Drohsel. Das war das unwillkürliche Eingeständnis, dass dies bisher noch nicht gelungen ist.
CSU und Altkommunisten
Andererseits: Es ist auch nicht leicht für den SPD-Nachwuchs, links zu sein in dieser Zeit. Schon gar nicht in Bayern. Selbst die CSU hat die Qualitäten der Planwirtschaft entdeckt und bürgt als Regierungspartei mittlerweile sogar für den Druck von Quelle-Katalogen. Sozialministerin Christine Haderthauer nahm am Donnerstag im bayerischen Landtag das Wort "Patchwork-Familien" in den Mund ohne rot zu werden. Dass ihr Ministerpräsident Horst Seehofer auch eine sehr vielseitige Vorstellung von Ehe und Familie hat, ist allgemein bekannt.
Die "Franzi", wie sie von den Juso-Delegierten liebevoll genannt wird, konnte diesem Zeitgeist keine scharfen Visionen entgegen setzen. Ihre Rede verharrte im sozialistischen Ungefähren: "Kapitalismuskritik bleibt so wichtig wie notwendig", sagte Drohsel, "wir kämpfen für unsere Vision des demokratischen Sozialismus. Links sein heißt, die Auswüchse des Kapitalismus nicht zu akzeptieren." Die Menschen müssten wieder über die Arbeitsverhältnisse mitbestimmen dürfen, Sexismus sei schlecht, Internationalismus gut, eine gerechtere Verteilung des Vermögens notwendig. Auf Parteitagen der Linkspartei geht es härter zur Sache. Dort gibt es wenigstens noch ein paar Altkommunisten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Kritik ausgebuht
Kritik an Drohsel und der Arbeit des Juso-Vorstandes konnte sich auf diesem Bundeskongress nicht entfalten. Einige Delegierte beklagten, dass die Jusos kaum Einfluss auf die Bundespartei hätten. Andere kritisierten, dass sich die SPD-Jugend seit Jahrzehnten inhaltlich nicht fortbewege. Den traditionell eher konservativen Landesverbänden in Hamburg und Bayern war Drohsels Wortwolke ein bisschen zu sozialistisch. Aber kaum äußerte einer seine Bedenken am Rednerpult, erschallten auch schon Buhrufe.
Was die Enkel Willy Brandts viel mehr zu interessieren schien als ihr Einfluss in der Bundespartei waren die Aktivitäten des Bundesvorstandes in den sozialen Netzwerken des Internets. Drohsel verkündete stolz: "Wir haben einen Juso-Blog, auf dem der Bundesvorstand täglich bloggt. Es vergeht kein Tag, wo auf Facebook, Twitter oder StudiVZ nicht irgendetwas Aktuelles von uns erscheint." Dieses Fazit, politisch eher unbedeutend, wurde vom SPD-Nachwuchs mit frenetischem Applaus gefeiert. "Wir müssen rein in die sozialen Netzwerke, und nicht irgendwelche Agenturen, nur so sind wir in der Internet-Community überzeugend", pflichtete ein Delegierter am Rednerpult bei.
Franziska widerspricht - gelegentlich
Bei der Wahl des Juso-Vorsitzenden war Drohsel die einzige Kandidatin. Sie bekam 69 Prozent, sieben Prozent weniger als vor zwei Jahren - ein Denkzettel, aber kein Drama. "Danke, Franziska", hatte ihr Frank-Walter Steinmeier zuvor schon gesagt. "Nicht etwa, weil Du verschiedentlich mit dem einverstanden bist, was die Parteispitze tut". Sondern weil sie "gelegentlich widerspricht, anders denkt, neu denkt".
Es klang so, als würde sich Papi bei seiner Tochter bedanken. Dafür dass sie kess ist, aber nicht aufmüpfig.