Der schwarze Porsche schnurrt leise über die leere A 93, und irgendwo zwischen München und Regensburg, auf dem Rückweg von einem Champions-League-Spiel des FC Bayern, spricht Vedad Ibisevic über Angst. Er weiß, dass das ein großes Wort ist. Angst, dieses Gefühl, passt es überhaupt zum Fußball? "Eigentlich bin ich keiner, der gleich aus allem ein Drama macht", sagt Ibisevic in dieser Aprilnacht. "Aber die Angst kam sofort, und sie wurde immer größer."
Es war im Winter bei einem Testspiel in Südspanien, warme Abendsonne, 600 deutsche Rentner als Publikum, ein gewöhnlicher Zweikampf. Plötzlich spürte er diesen Schmerz im rechten Knie. "Meine erste Sorge war: Hoffentlich kann ich weiterspielen." Später, auf dem Weg ins Krankenhaus, bangte Ibisevic um das Trainingslager. Am nächsten Tag saß er im Flugzeug nach Deutschland. Sein Kreuzband war gerissen, die schlimmste Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Und eine märchenhafte Erfolgsgeschichte ging vorerst zu Ende.
Der neue Gerd Müller
Vedad Ibisevic, 24 Jahre alt, war die Entdeckung der zurückliegenden Bundesliga-Saison. Mit 18 Toren in 17 Spielen schoss er die TSG Hoffenheim aus der Anonymität und zur Herbstmeisterschaft. Ibisevic, der aus der zweiten Liga gekommen und dort nicht weiter aufgefallen war, galt schon als neuer Gerd Müller. Als Wunderstürmer.
Jetzt ist er zurück. Viele Wochen in Reha-Räumen liegen hinter Ibisevic, er hat hart für sein Comeback geschuftet. Am übernächsten Wochenende, wenn die neue Saison beginnt und Hoffenheim den FC Bayern empfängt, steht Ibisevic wieder auf dem Platz. Das Spiel wird das Comeback eines Mannes sein, der im Leben mehr als Rasen, Tore und Tribünen gesehen hat. Der Schlimmeres erlebt hat als einen Kreuzbandriss.
Tuzla, Bosnien, Frühjahr 2009. Der Stürmer ist für zwei Tage zurück in die Heimat gereist. Ibisevic stammt aus Bosnien-Herzegowina, während des Krieges war seine Familie nach Tuzla geflohen, die Stadt galt als multiethnisch, doch später griffen serbische Truppen sie an und schossen Raketen.
Erinnerungen
Nun steht er auf rissigem Asphalt in seinem ehemaligen Wohngebiet und starrt auf eine Pfütze. Ibisevic schüttelt den Kopf. Es ist der Fußballplatz, auf dem er jahrelang gekickt hat, und diese Stelle hier war schon damals nie trocken.
Er geht weiter, ein paar Meter, bis zu einem Stromhäuschen. Unter der Dachkante liest man ein Graffito: Friends forever 2000-2010. "Das war unser Ort", erklärt Ibisevic. "Wir waren noch nicht so alt, aber wir haben gespürt, dass etwas zu Ende geht." Einer hatte eine Sprühdose dabei. "Wir haben uns versprochen, dass wir uns an einem bestimmten Tag 2010 genau hier treffen werden. Wahnsinn, dass das hier noch steht."
Viele seiner Freunde verließen das zerstörte Land im Jahr 2000, auch Ibisevic. Wie oft er danach immer wieder neu anfangen musste, wie oft er versuchte, sich an einem fremden Ort zurechtzufinden und wohlzufühlen - das reicht für eine ganze Fußballmannschaft. Acht Monate verbrachte die Familie in der Schweiz, ohne sich ein neues Leben aufbauen zu können, zog dann weiter nach St. Louis, USA. Dort kickte Ibisevic für die Uni-Mannschaft. Seine Eltern drängten darauf, dass er einen ordentlichen Beruf erlerne, aber er wollte als Fußballer zurück nach Europa. Er ging nach Frankreich, zu Paris St. Germain. Doch der Klub brauchte ihn nicht, lieh ihn zuerst an den Zweitligisten Dijon aus und verkaufte ihn schließlich an Alemannia Aachen. Von da wechselte er zur TSG Hoffenheim.
"Es riecht genau wie früher"
An dem Stromhäuschen in Tuzla ist er nicht mehr gewesen, seit er seine Freunde das letzte Mal sah. Neun Jahre später ist alles noch da, die Bäume, die Hochhäuser dahinter, "vor allem der Geruch", sagt Ibisevic, "es riecht genau wie früher". Er macht Fotos für seine Homepage auf dieser Reise, steigt in die Ruinen zerbombter Häuser und auf einen der Hügel über Sarajewo, trifft bosnische Kinder, alte Männer, seinen Jugendtrainer. Fast überall begegnet man ihm mit Zuneigung und Wärme, da ist einer, der es geschafft hat und für den man sich freut.
Ibisevic streicht über den kalten Putz des Stromhäuschens. Zum vereinbarten Datum will er da sein.
Sinsheim, Kraichgau, Juli 2009. Vedad Ibisevic, Torjäger und Gesicht des Hoffenheimer Fußballwunders, trainiert wieder mit der Mannschaft. Schnell hatte das Interesse an ihm abgenommen nach dem Kreuzbandriss, das Fußballgeschäft suchte sich neue Stars. Die Helden der Rückrunde waren Grafite und Dzeko vom VfL Wolfsburg, Stürmer - wie Ibisevic.
Vorfreude
Er hat seinen Vertrag bis 2013 verlängert, hat im Juni Urlaub bei seinen Eltern und seiner Schwester in den USA gemacht und da schon wieder trainiert, hat Hoffenheims Trainingslager im Westerwald und in Österreich absolviert und in Testspielen reichlich Tore geschossen. "Bei den Zweikämpfen denke ich gar nicht mehr an mein Knie", sagt Ibisevic auf der Terrasse eines Cafés in der kleinen Sinsheimer Fußgängerzone. Er sitzt in seiner typischen Haltung, die Schultern hängen leicht nach vorn. Ab und zu schieben Eltern ihre Jungs vor, die dann schüchtern um ein Autogramm bitten. "Im Moment passt alles", sagt er. Wahrscheinlich freut er sich mehr als jeder andere Hoffenheimer Spieler auf die neue Saison.
Wahrscheinlich ist auch kein Spieler wichtiger für den Erfolg dieser noch immer jungen Mannschaft. Das ist das Verrückte an seinem Kreuzbandriss: Während Ibisevic außen vor war, stieg seine Bedeutung. Ohne ihn rutschte Hoffenheim von Platz eins auf Platz sieben, fiel bald nicht mehr als Fabrikant feinsten Angriffsfußballs auf, sondern als unbeherrschter Streitverein, der rote Karten sammelte und kaum noch gewann.
Es ist vor allem Ibisevic, der die Neuen integriert. Er weiß, wie es sich anfühlt, der Neue zu sein. Als der kleine 18-jährige Franco Zuculini mit seinen Eltern aus Argentinien zur Vertragsunterzeichnung nach Hoffenheim gekommen war, sprach er ihn gleich im Trainingszentrum an. Mit dem Kroaten Josip Simunic, 31, ging er abends essen. Er steht über allen Fraktionen, kann mit den Latinos und den Ex-Jugoslawen, den Deutschen und den Afrikanern, von Kollegen gemocht und auch ein bisschen bewundert.
Soziale Kompetenz
Er wird sich auch um Demba Ba kümmern, den Senegalesen, der sich in eine schwierige Lage gebracht hat, weil er unbedingt nach Stuttgart wollte und nun in Hoffenheim ausharren muss. Wenn Ibisevic wieder trifft, ist sein sportlicher Wert kaum zu überschätzen. Doch er ist auch einer, der Hoffenheims zerbrechliches Sozialgefüge festigt. Soft Skills nennt man so etwas in der Wirtschaft, soziale und kommunikative Kompetenz. Er selbst spricht darüber nur kurz, es ist eine Erfahrung: "Als Fremder freut man sich, wenn man angesprochen und einbezogen wird."
Vedad Ibisevic wirkt aufgeräumt. Druck, sagt er, verspüre er nicht. Doch sie sorgen sich schon um ihn - er könnte sich zu viel aufladen. "Vedad muss jetzt auf sich konzentriert sein und darf seine Energie nicht darauf verwenden, sich um all unsere Neuzugänge zu kümmern", sagt Hoffenheims Manager Jan Schindelmeiser. Dann schiebt er nach: "Auch wenn das nicht seinem Charakter entspricht."