EM 2012 DFB-Team - Gewinner und Verlierer

Das Ende einer Dienstfahrt sollte nicht mit der verlorenen Ehre des Joachim Löw enden. Aber auch für die Spieler hoffen wir, dass sich Shakespeares Zitat nicht bewahrheitet und nicht nur das Übel in Erinnerung bleibt. Wir haben die Gewinner und Verlierer der EM. 

Das Ende einer Dienstfahrt sollte nicht mit der verlorenen Ehre des Joachim Löw enden. Die Italiener spielten mit dem jungen deutschen Team Billard um halb zehn und einige Spieler mussten Lehrgeld zahlen. Wir wagen eine persönliche Turnierbilanz und versuchen durch die Betrachtung der Einzelleistungen ein Gruppenbild ohne Dame zu erstellen, anstatt uns im gesammelten Schweigen zu grämen. Wer spielte bei der EM den besten Fußball. Hier, die Ansichten eines Clowns.

Manuel Neuer
(sportal-Noten: 2,5/2,5/3,5/3,5/3,5 - Schnitt: 3,1)

Manuel Neuer ist dafür bekannt, viel Risiko in seinem Torwartspiel einzugehen. So wirken manche Aktionen des mitspielenden Torwarts geradezu clownesk. Die rote Nase hat Neuer vor dem Turnier aber abgelegt. Kurz gesagt; an der Leistung von Manuel Neuer bei dieser EM gibt es absolut nichts zu mäkeln. Der Keeper kassierte sechs Gegentore. Keinen Gegentreffer kann man ihm ankreiden. Neuer zeigte sich fußballerisch stark, antizipierte viele Bälle gut – auch in der Schlussphase des Halbfinales riskierte er alles, ohne zu patzen. Mit dem 26-Jährigen hat Deutschland einen der besten Keeper der Welt und somit auf dieser Position in den nächsten Jahren Ruhe.

Philipp Lahm (4/3/3/2/4 - 3,2)

Der Kapitän der DFB-Elf kam etwas ausgelaugt ins Turnier. Im ersten Spiel gegen Portugal tat er nur das Nötigste, war er in der Offensive gar nicht vorhanden und hatte durchaus das eine oder andere Problem mit Gegenspieler Nani. Lahm steigerte sich allerdings, so machte er gegen Griechenland den wichtigen Führungstreffer. Im Halbfinale war er zunächst sehr präsent im Aufbauspiel, aber sein Fehler vor dem 0:2 war mitentscheidend für das Turnieraus. Lahm ist im DFB-Team konkurrenzlos und mit 28 Jahren kann er noch mindestens zwei Turniere spielen.

Mats Hummels (2/2/2,5/2/4,5 - 2,6)

Der gut aussehende Abwehrspieler des Meisters und Pokalsiegers eroberte bei dieser EM die Herzen der Mädchen und die der Fußballfans. Er präsentierte sich sehr stark im Antizipieren, er gehört zu den zweikampfstärksten Spielern des Turniers, spielte gute Bälle im Spielaufbau und war zudem in Angriffe involviert. Leider gelang ihm gegen Holland nicht das erlösende 3:0, auch gegen Italien hätte er zwei Tore machen können. Jetzt kommt das große Aber: Naiv und folgenschwer war sein Verhalten vor dem 1:0 der Italiener im Halbfinale.

Er muss seinen Gegenspieler Cassano eigentlich nur stellen, doch Hummels geht drauf, lässt sich wie ein Jugendspieler düpieren und ist somit Hauptverursacher des Rückstands. Das erinnerte an den Mats Hummels, den wir aus der Champions League kennen. Der zentrale Verteidiger sollte diesen Fehler als Erfahrungswert mitnehmen, denn er ist unglaublich präsent, spiel- und kopfballstark und wird eine große Zukunft in der deutschen Nationalmannschaft haben.

Holger Badstuber (1,5/2,5/3/2,5/4 - 2,7)

„Tja, Badstuber, was ist das nur mit Ihnen? In allen Fächern sind sie gut oder besser, nur im Kopfballspiel, da sind sie mangelhaft.“ Die Antwort: „Kopfballspiel liegt mir nicht!“ Ob der Schnauz, oder besser Professor Crey aus der Feuerzangenbowle nun recht hat, oder nicht. Badstuber agierte gut, oder sogar besser, nur die Kopfballchance gegen die Niederlande und das Gegentor zum 0:1 gegen Italien belasten seine Bilanz. Vielleicht sollte er einfach fünf Stunden am Tag ans Kopfballpendel, bis die Birne brummt. „Medizin muss bitter schmecken, sonst nützt sie nichts.“ Natürlich haben wir schon betont, dass die Hauptschuld an Balotellis Kopfballtreffer auf Hummels Konto geht, deshalb kann man nur wenig an Badstubers EM-Leistung kritisieren.

Sami Khedira (2/2/2,5/1,5/3 - 2,2)

Ehre, wem Ehre gebührt! Der notenbeste deutsche Spieler präsentierte sich über die gesamte EM laufstark, dynamisch und immer anspielbar. Khedira war das Schwungrad im deutschen Spiel und der erste Verteidiger. Er ist bei Real Madrid zu einem Spieler herangewachsen, der auf ganz hohem Niveau mithalten kann. Der 25-Jährige ist der Gewinner der EM.

Bastian Schweinsteiger (4/1,5/3/3/4 - 3,1)

„Der Krieg wird niemals zu Ende sein, solange noch eine Wunde blutet, die er geschlagen hat“, so der Schriftsteller Heinrich Böll. Weniger dramatisch, aber nicht weniger zutreffend, kann man die Analogie zu Bastian Schweinsteiger knüpfen. Der heimliche Kapitän des Teams lag noch immer im Krieg mit der letzten Saison. Sein Knöchel war die „blutende Wunde“, auch seelisch wirkte er angeschlagen. Löws emotionaler Leader machte auf und abseits des Platzes einen so gar nicht kämpferischen Eindruck, die emotionalsten Schweinsteiger-Momente waren seine Zweifel an der eigenen Gesundheit.

Unterschlagen wir aber dennoch nicht das tolle Spiel gegen die Niederlande, wo er mit zwei Torvorlagen den Sieg einleitete und den Platz, den Khedira und Özil für ihn schafften, gut nutzte. In den restlichen Partien hatte er oft die Rolle des Liberos vor der Abwehr, der selten vor oder in des Gegners Strafraum auftaucht, inne. Da fällt es natürlich schwer zu glänzen, aber die vielen Fehlpässe und der fehlende Kampfgeist lassen keinen anderen Schluss zu, als den; Schweini war zumindest körperlich nicht im besten Zustand. Der 27-Jährige steht zwar nicht zur Diskussion, aber er ist auch kein Gewinner der EM - geschweige denn der Saison.

Thomas Müller (3,5/3/3/3,5 - 3,25)

Müllers Leistung im Spiel gegen Dänemark spricht Bände über seine derzeitige Lage. Er ist nicht mehr der Thomas Müller, den wir von der WM 2010 kennen. Zwar bereitete er den Führungstreffer gegen die Dänen vor, dennoch vergab er auch eine Großchance fahrlässig. In der Defensive arbeitete er gut mit, seine intelligenten Laufwege kann die DFB-Elf ebenfalls gebrauchen. Vielleicht hätte er auf der rechten offensiven Seite gegen Italien beginnen sollen, doch Hätte, Wenn und Aber nützen Müller nichts. Es war nicht das Turnier des 22-Jährigen.

Mesut Özil (3,5/3/3/1,5/3,5 - 2,9)

Ein Tor und drei Torvorlagen stehen für Mesut Özil zu Buche. Dabei war Özils EM oft eine Berg- und Talfahrt. „Ach, der Tugend schöne Werke, gerne möchte ich sie erwischen; doch ich merke, doch ich merke, immer kommt mir was dazwischen“, hätte wohl Wilhelm Busch anstelle Özils gesagt. Gegen Portugal sah er sich eng gedeckt, gegen die Niederlande erfüllte er taktisch die Marschroute und öffnete mit klugen Laufwegen das Mittelfeld für Schweinsteiger und Khedira. Gegen die Dänen wurde er erneut an die Kette gelegt, leitete aber schließlich den Siegtreffer ein. Im Viertelfinale brillierte Özil beim 4:2-Sieg gegen die Griechen. Am Ende standen 146 Ballkontakte auf dem Statistikbogen (Opta/Sky.de).

Özil werde noch explodieren, hatte der Bundestrainer zuvor versprochen, doch eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein herausragendes Spiel gegen Griechenland noch keinen EM-Star. Beim Halbfinal-Aus begann Özil gut, litt aber darunter, dass Toni Kroos ebenfalls in der Mitte agierte, die Ausflüge auf die rechte Seite waren zu selten zu sehen, in der Defensivarbeit leistete er sich zudem Schwächen. Die Perspektiven bleiben aber rosig. Der erst 23-Jährige ist technisch enorm veranlagt und wird auch in Zukunft für Tugend und Schönheit im Spiel der deutschen Nationalmannschaft sorgen. Wir pflichten Jogi Löw also bei, Özil wird noch explodieren, nur nicht mehr bei dieser EM.

Marco Reus (2,5/3,5 - 3)

Reus ist ein Versprechen. Er braucht gar nicht zu spielen und in unseren Köpfen wachsen Hoffnungen und Träume um attraktiven Kombinationsfußball. Das Reus die großen Erwartungen nicht wirklich erfüllen konnte, liegt zum einen in der Natur großer Erwartungen, zum anderen in der Tatsache, dass er nur wenig Spielzeit bekam. Er lieferte ein gutes Spiel gegen Griechenland und eine ordentliche Halbzeit gegen Italien ab. Er hätte früher kommen müssen, er hätte öfter spielen müssen - das ist die einhellige Meinung der Fans. Wie heißt es im Volksmund: „Die beste Kapitäne stehen am Ufer“ und „Nachher ist man immer schlauer“. In Zukunft dürfen wir auf jeden Fall wieder alle Hoffnungen und Träume mit dem Namen des 23-Jährigen verbinden.

Mario Gomez (3/1,5/4/4,5 - 3,25)

Mario Gomez ist der Meister der Gleichzeitigkeit. Er ist gleichzeitig beweglich (wie bei seinem Führungstreffer gegen die Niederländer), als auch statisch (in der ersten Halbzeit gegen Italien). Er ist gleichzeitig torgefährlich (Portugal, Niederlande), wie harmlos (gegen Dänemark und Italien). Denken Sie dichotom? Vereinfacht gefragt: Denken Sie in Schwarz-Weiß-Kategorien? Mario Gomez ist ein Opfer des dichotomen Denkens. Er ist entweder einer der besten Stürmer Europas, oder eine total überschätzte Blinze. Dabei ist er nicht entweder oder, Mario Gomez ist alles, und zwar gleichzeitig. Da der 26-Jährige auf seiner Position bis auf den 34-jährigen Miro Klose keine Konkurrenz fürchten muss, dürfen die Fans sich über weitere Jahre mit Gomez in Schwarz-Weiß freuen. Fassen wir es dichotom zusammen; seinen Feinden droht ein Augenleiden, seinen Freunden ein Augenschmaus.

Miro Klose (2,5/4 - 3,25)

Angeschlagen und mit wenig Spielpraxis ausgestattet musste Klose zunächst auf der Bank Platz nehmen. Gomez machte seine Sache gut, doch der gemeine Fan wollte die DFB-Elf nicht nur gewinnen sehen, er wollte sie brillieren sehen. Klose steht für einen Kombinationsfußball, den Deutschland zum Beispiel beim 3:0-Testspielsieg gegen die Niederlande zeigte, wo er und Özil die Defensive des Gegners in Playstation-Manier auseinanderschraubten. Bei diesem Turnier zeigte Klose, dass er mehr Defensivarbeit verrichtet und besser mitspielt, als Mario Gomez, aber nicht, dass er besser trifft. Ob der 34-Jährige auch bei der WM 2014 in Brasilien noch Teil der deutschen Nationalelf ist? Wir wagen das zu bezweifeln und somit ist Klose wohl ohne viel Dazutun ein Verlierer der Europameisterschaft.

Lukas Podolski (4/4/3/4,5 - 3,875)

Lukas Podolski spielte eine enttäuschende EM und die Kritik prasselte nur so auf ihn ein. "Was Menschen Übles tun, das überlebt sie. Das Gute wird mit ihnen oft begraben“, heißt es bei Shakespeare. Wir widersprechen Mark Anton und sagen: Podolski ist ein ehrenwerter Mann! Denn der Neu-Gunner arbeitete sehr diszipliniert mit nach hinten und wer hätte gedacht, dass man das einmal über ihn schreiben wird. Seine gute Defensivarbeit in allen Ehren, durch seine fehlende Durchschlagskraft in der Offensive war Prinz Poldi ein König ohne Krone.

Noch ein Ehrenrettungsversuch für Podolski: Jogi Löw richtete die Taktik in der Gruppenphase auf das Überladen der rechten Angriffsseite aus. Deshalb hatte man den Eindruck, Podolski sei physisch oft gar nicht anwesend. Mit einem Notenschnitt von 3,875 muss man allerdings festhalten: Podolski muss sich steigern, um auch in den kommenden Jahren eine entscheidende Rolle im Nationaldress zu spielen. Die Konkurrenz mit Marco Reus, Andre Schürrle und Mario Götze ist groß. Es bleibt festzuhalten; Podolski gehört zu den Verlierern der EM 2012, doch sollte nicht nur das Üble seiner Leistung in Erinnerung bleiben.

Lars Bender (2,5)/Andre Schürrle (3,5/3,5)/Toni Kroos (4)

Lars Bender krönte seine gute Leistung im Spiel gegen Dänemark mit einem Tor. Er ist eine echte Alternative als rechter Abwehrspieler. Andre Schürrle hat als Podolski-Ersatz nur bedingt Tauglichkeit bewiesen. In seinen offensiven Aktionen ist er ebenso eindimensional wie Podolski. Während Prinz Poldi den Abschluss mit dem linken Fuß sucht, gibt Schürrle den seitenverkehrten Robben, zieht immer von links in die Mitte und will zum Abschluss kommen. Dazu gesellten sich Defensivschwächen und Fehlpässe - so war Schürrle zum Beispiel Verursacher des Ausgleichs der Griechen im Viertelfinale.

Toni Kroos ist ein technisch versierter Spieler, aber er macht das Spiel langsam. Wenn man Ballsicherheit will, dann muss man Kroos aufstellen, wenn man direktes schnelles Kombinationsspiel will, dann sollte man Reus und Özil spielen lassen. Kroos ist nach dieser Definition ein perfekter Sechser oder Achter - er hätte vielleicht Bastian Schweinsteiger ersetzen sollen, aber ein emotionaler Leader, ist der blasse 22-Jährige nun wirklich nicht. Dann war es vielleicht doch besser, den angeschlagenen Krieger aus dem Tal des Selbstmitleides spielen zu lassen? Entscheiden Sie selbst, denn sind wir nicht alle die besseren Bundestrainer?

Michel Massing 

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