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EM 2012 Fünf Lehren aus dem Testspiel in Polen

Mit einem 2:2 gegen Polen eröffnete Deutschland das neue EM-Stadion von Danzig. Neben der Tatsache, dass der Gegner schon Sterne auf dem Trikot tragen muss, damit deutsche Nationalspieler in Freundschaftsspielen zur Bestform auflaufen, sind uns noch andere Dinge aufgefallen. 

In der Luxusposition, satte acht Länderspiele zum Testen seines schon für die EM 2012 qualifizierten Kaders nutzen zu können, reiste Joachim Löw mit der deutschen Nationalelf nach Danzig, wo EM-Gastgeber Polen im neuen Stadion als Gegner fungierte. In einem nicht hochklassigen, aber insgesamt unterhaltsamen Spiel gab es am Ende ein 2:2, wobei Deutschland zweimal die Führung der Gastgeber ausgleichen konnte.

Nach einer überlegenen ersten halben Stunde wurde Polen immer sicherer und ging nach 55 Minuten nicht ganz unverdient durch Robert Lewandowski in Führung. Nachdem Toni Kroos einen vom eingewechselten Thomas Müller herausgeholten Foulelfmeter zum Ausgleich verwandelt hatte und Arkadiusz Glowacki kurz vor Schluss Gelb-Rot gesehen hatte, überschlugen sich in der Nachspielzeit noch einmal die Ereignisse.

Tim Wiese verschuldete nach einem Fehler von Marcel Schmelzer einen Foulelfmeter an Pawel Brozek, den Jakub Blaszczykowski verwandelte. Doch nach guter Vorarbeit von Müller traf Cacau aus kurzer Distanz zum erneuten Ausgleich.

1.) Rechts hinten gibt es noch keine Idealbesetzung

Christian Träsch spielte in Danzig, wie schon in Stuttgart gegen Brasilien, als Rechtsverteidiger. Gegen Österreich am Freitag hatte Benedikt Höwedes die erste Halbzeit, Jerome Boateng die zweite Hälfte hier gespielt. Träsch konnte nach vorne kaum Akzente setzen - wenn es über rechts mal gefährlich wurde (was wesentlich seltener war als über links, wo Lukas Podolski und Philipp Lahm sehr gut harmonierten), dann, weil Mario Götze sich nach außen orientierte und mit André Schürrle kombinierte.

Nach hinten war Träsch, der in Wolfsburg ja hauptsächlich im defensiven Mittelfeld zum Einsatz kommt, gleich dreimal nicht auf dem Posten, als Gegenspieler Slawomir Peszko zum Abschluss kam. Zu Träschs Glück war der Kölner nicht der Kaltblütigste an diesem Abend. Zu allem Überfluss war es auch noch Träschs harmlose Flanke in die Arme von Wojciech Szczesny, die den Konter einleitete, der zum polnischen 1:0 führte.

Die Alternativen erscheinen allerdings nicht viel besser geeignet, sind doch weder Höwedes noch Boateng gelernte Außenverteidiger. Vielleicht wäre es eine Option, dem jüngst in den sportal.de-Kader berufenen Gonzalo Castro hier eine Chance zu geben.

2.) Alle wollen Götze und Özil sehen. Aber es gibt noch keine Taktik, in der das dauerhaft funktionieren kann

Anders als Österreich am Freitag ließ Polen nicht viel Platz zwischen Mittelfeld und Abwehr. Während vor allem Mesut Özil sich in Gelsenkirchen immer wieder nach Belieben in diese Zone orientierte, von dort Soli startete oder perfekte Pässe spielte, bot sich der deutschen Elf in Danzig im zentralen Mittelfeld viel weniger Platz, und sofort litt die Frequenz herauskombinierter Torchancen.

Mario Götze gelang es zudem nicht oft, sich entscheidend einzubringen. Sinnbildlich dafür eine Szene aus der ersten Halbzeit, als der Dortmunder viel zu lange wartete, um seinen vermeintlich tödlichen Pass durch die Schnittstelle zu spielen. Als der Ball dann endlich kam, stand Podolski schon zwei Meter im Abseits. Die im August auch von uns diskutierte Frage, ob Özil und Götze zusammenspielen können, sollte zumindest nicht so gelöst werden, dass Götze statt Özil spielt.

Schon ein Gegner vom Kaliber Polens (in der FIFA-Weltrangliste zwischen Libyen und Gabun angesiedelt) ließ das neue 4-1-4-1-System nicht als ideal erscheinen. Mit Simon Rolfes als einzigem Sechser und Toni Kroos und Mario Götze davor lief es jedenfalls nicht rund, und selbst Bastian Schweinsteiger möchte man gegen Topgegner gerne einen zweiten Sechser zur Seite stellen.

3.) Mats Hummels kann ruhig schlafen, und Arsène Wenger hat wohl keinen deutschen Stammspieler gekauft

Per Mertesacker wirkte in seinem ersten Länderspiel seit seinem Wechsel von Bremen zu Arsenal nicht wie ein integraler Bestandteil der deutschen Viererkette. Das Zusammenspiel mit Boateng war ausbaufähig, oft fehlte es dem Neu-Gunner an Antritts- oder Reaktionsschnelligkeit. Angesichts der Tatsache, dass nur Philipp Lahm als erste Wahl in der Abwehr auflief, und auch er nur eine Halbzeit spielte, ist das vielleicht kein Wunder. Aber zahlreiche gleichwertige Alternativen gibt es in diesem Mannschaftsteil für Deutschland jedenfalls nicht. An Mats Hummels führt kein Weg vorbei.

4.) Polen ist bei der EM nicht chancenlos, aber die individuelle Klasse in der Defensive lässt zu wünschen übrig

Der Albtraum eines jeden EM-Gastgebers - in der Vorrunde auszuscheiden - wurde für Belgien 2000 sowie für Österreich und die Schweiz 2008 wahr. Den Polen droht das gleiche Schicksal nicht unbedingt. Von der taktischen Grundordnung her kam die Mannschaft von Franciszek Smuda im Laufe des Spiels gegen die Weltklassemannschaft Deutschland immer besser ins Spiel. Und Robert Lewandowski machte ein richtig gutes Spiel.

Problematisch waren vor allem in der ersten Spielhälfte die zahlreichen individuellen Schnitzer der Viererkette,  in der sich besonders Jakub Wawrzyniak und Arkadiusz Glowacki negativ hervortaten. Aber auch Marcin Wasilewski auf der rechten Seite hatte, weil von Kuba nicht immer unterstützt, einige Probleme mit Podolski und Lahm. Kein Wunder, dass man Damien Perquis vom FC Sochaux noch schnell eingebürgert hat.

5.) Freundschaftsspiele werden von deutschen Nationalspielern nur ernst genommen, wenn es gegen die ganz Großen geht

Zu sagen, in Testspielen könnte die DFB-Auswahl unter Joachim Löw ihre Bestleistung nicht abrufen, wäre nicht fair. Zu stark war die deutsche Leistung im August gegen Brasilien, aber auch im Februar gegen Italien. Der zweifache Weltmeister Uruguay wurde im Frühjahr auch besiegt.

Aber gegen alle Mannschaften, die noch nie Weltmeister waren, ist Deutschland seit der WM 2010 in Testspielen sieglos. Dänemark (U), Schweden (U), Australien (N), Polen (U) waren zu stark (oder zu schwach?) für die DFB-Auswahl. Bedenkt man, dass die verbleibenden Spiele bis zur EM-Endrunde praktisch alle Testspiele sind, muss da in Sachen Motivation vielleicht noch etwas passieren.

Als Fazit bleibt aber nach einer makellosen Qualifikation für die Europameisterschaft festzuhalten, dass man es mit dem Jammern auf höchstem Niveau auch übertreiben kann, wenn man ein 2:2 in Polen als großes Krisenphänomen verhandelt.

Daniel Raecke

sportal.de sportal

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