Dass "sete a um", also "7 zu 1", im brasilianischen Sprachgebrauch zu einem festen Ausdruck für ein besonders schlimmes Missgeschick geworden ist, davon dürfte auch hierzulande inzwischen jeder gehört haben. Vier Jahre ist das nun schon her, dass die stolze Selecao gegen die deutsche Elf unterging wie nie zuvor. Das ist unvergessen im Land des "jogo bonito" (dt. "schönes Spiel"), wo man selbst mit dem verpassten Titel bei der Heim-WM 1950 noch hadert (damals unterlag Brasilien im Finale Uruguay mit 1:2). So mancher wird auf die Revanche bei der anstehenden WM hoffen. Und längst ist klar: Sollte es in Russland wieder zum Duell mit Deutschland kommen, dann wird Brasilien bereit sein.
Denn mit der verunsicherten Truppe von Belo Horizonte am 8. Juli 2014 hat diese Selecao kaum noch etwas gemein. "Brasilien hat eine Entwicklung genommen, die ihresgleichen sucht", urteilt Ilkay Gündogan, der heute Abend beim Test gegen die Brasilianer in Berlin (Anpfiff: 20.45 Uhr) in der Startformation stehen und dabei ein Wiedersehen mit einigen Kollegen von Manchester City feiern wird. In der Tat: Das brasilianische Team war das erste, das das Ticket nach Russland löste. Von 18 Spielen in der anspruchsvollen WM-Quali in Südamerika verloren Neymar und Co. nur eines. Zum Schluss hatte die Truppe von Trainer Tite satte zehn Punkte Vorsprung vor dem Zweiten Uruguay, gar 13 Punkte waren es vor dem Erzrivalen Argentinien.
Brasilien "zwei Klassen besser als 2014"
"Ich finde Brasilien heute zwei Klassen besser als 2014", sagt einer, der es beurteilen kann. Toni Kroos schoss selbst zwei Treffer beim legendären 7:1. Als Stammspieler von Real Madrid weiß er genau, wie stark seine Team-Kollegen Marcelo und Casemiro sind. Auch Paulinho und Coutinho vom FC Barcelona kennt er aus dem Alltag der Primera División. Nur vier Spieler eines mit hochtalentierten und erfahrenen Top-Stars gespickten Kaders, der im Juni und Juli ein echter Anwärter auf den Weltpokal sein sollte. Ein sechster WM-Titel würde sicherlich auch das "Gespenst", wie Selecao-Coach Tite die Demütigung von 2014 bezeichnet, vertreiben - zumal man Jogi Löw und der "Mannschaft" damit den Triumph einer Titelverteidigung verderben würde.
Und das sind die Spieler, die Brasilien zu einem Top-Favoriten auf den WM-Titel 2018 machen:
Im Tor ...
... ist Alisson von AS Rom die Stammbesetzung. Er gilt als sicherer Rückhalt und kassierte in der WM-Quali nur gut 0,5 Tore pro Partie. Als Backup steht mit Ederson von Manchester City ein nahezu gleichwertiger Keeper bereit.
In der Verteidigung ...
... hat Marcelo von Real Madrid als einziger die Schmach von Belo Horizonte überstanden. Am schnellen Linksverteidiger kam trotz des 1:7 niemand vorbei, obwohl mit Alex Sandro von Juventus Turin ein starker Mann nachdrängt. Auch auf rechts regiert mit Dani Alves von PSG unangefochten ein Routinier, obwohl es auch hier beispielsweise mit Danilo von ManCity namhafte Konkurrenz gibt. In der Innenverteidigung sind die "alten Kempen" Thiago Silva und David Luiz (beide PSG) dagegen nur noch zweite Wahl. Stattdessen sorgen Marquinhos (PSG) und Miranda (Inter Mailand) - unbelastet von 1:7-Erfahrungen - für Stabilität.
Im Mittelfeld ...
... sorgt der junge Casemiro von Real dafür, dass die Kollegen in der Abwehr weniger zu tun bekommen als dies noch 2014 der Fall war. Mit ihm verbinden sich viele brasilianische Hoffnungen, nach 16 Jahren mal wieder den Goldpokal zu holen. Als Backup für den 26-Jährigen steht zudem Fernandinho von ManCity bereit - ein "Luxusproblem" für Coach Tite. Etwas weiter vorne dürften Paulinho vom FC Barcelona und der Ex-Leverkusener Renato Augusto, der jetzt in China sein Geld verdient, für Druck aufs gegnerische Tor sorgen. Das erst 21-jährige Talent Arthur von Gremio Porto Alegre steht für die positive Entwicklung im brasilianischen Fußball. Von ihm erhofft man sich viel.
Im Sturm ...
... steht mit Gabriel Jesus jedoch ein noch größeres Talent. Der 21-jährige Goalgetter von ManCity, Goldmedaillengewinner bei Olympia in Rio, ist in der Lage Superstar Neymar von PSG, von dem lange Zeit Wohl und Wehe der Selecao abhing, wirklich zu entlasten. Was für ein Sturmduo, zu dem sich - je nach Bedarf - noch Barcelonas Paulinho, Chelseas Willian, Liverpools Firminho oder Ex-Bayer Douglas Costa, jetzt bei Juventus Turin, gesellen.
Löw: "Motiviation dürfte unglaublich hoch sein"
Allein die Aufzählung der Namen zeigt: Der Weg zum WM-Titel führt ganz sicher über den aktuellen Weltranglisten-Zweiten. Umso wertvoller dürfte der Test für die Auswahl des amtierenden Weltmeisters Deutschland sein - auch wenn nicht alle brasilianischen Topstars dabei sein werden (z.B. Neymar, der verletzt ist). "Die Motivation wird unglaublich hoch sein, das 1:7 irgendwie auszumerzen", glaubt DFB-Coach Jogi Löw. Auf die wahre Revanche für die Schmach von Belo Horizonte wird die Selecao aber mindestens bis zur WM im Sommer warten müssen.