Das war ein historischer Moment. 74,27 Prozent. Das ist, Entschuldigung für die Wortwahl: ein beschissenes Ergebnis für einen Parteivorsitzenden. Zumal für einen, der aller Wahrscheinlichkeit 2017 als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen muss, weil es keine Alternative zu ihm gibt. So einer braucht Rückhalt, Stärkung, Motivation, damit er an sich und einen Wahlsieg glaubt. Aber was machen die Sozialdemokraten mit Sigmar Gabriel? Sie demontieren ihn, wählen ihn kaputt. Der schärfste Gegner der SPD bleibt die SPD. Angela Merkel kann sich beruhigt zurücklehnen.
Und Gabriel? Tappt nicht wie ein begossener Pudel zum Mikrophon. Er baut sich in ganzer Körperfülle am Rednerpult auf. Und sagt, dass er seinem Laden jetzt mal erklären werde, wie das Ergebnis zu sehen ist. "In den Zeitungen wird stehen: Gabriel abgestraft. Und das ist ja auch so." Außerdem werde zu lesen sein, dass eine Partei, die sich so unsicher über ihren Vorsitzenden ist, kaum an einen Wahlsieg glauben könne. Auch daran sei etwas dran. Aber: "So ist Läbbe in einer Demokratie". Das Ergebnis sei ein Resultat seiner Ehrlichkeit.
Gabriels Bekenntnis
Dann legt Gabriel - trotzig, aber auch befreit, klar und scharf wie nie - ein Bekenntnis ab. Ein Bekenntnis zur konservativen Linie der Sozialdemokratie.
Ja, er sei der Meinung, dass die Partei einen Kurs auf die arbeitende Mitte nehmen müsse.
Ja, er gebe zu, er sei für Innere Sicherheit, auch für die Vorratsdatenspeicherung.
Ja, er sei der Überzeugung, dass Deutschland den Freihandel, sprich: TTIP, brauche.
Ja, die Geschwindigkeit der Zuwanderung müsse reduziert werden
Und mit der Vermögenssteuer, dem Lieblingsinstrument linker Umverteiler, sei die SPD in drei Wahlkämpfen gescheitert. Weil diese schon auf konzeptioneller Ebene nie funktioniert habe. Also - und das sagte er nicht so, meinte es aber: - weg damit.

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Das 25-Prozent-Ghetto
Weg damit. Weg mit Linkskurs, den er noch zu Oppositionszeiten verfolgte, um seine Partei zu befrieden. Gabriel ist jetzt nicht mehr Oppositionspolitiker, sondern Wirtschaftsminister, Vizekanzler und bald vielleicht schon Kandidat. Er muss eine Antwort darauf formulieren, wie die SPD das Kanzleramt erobern kann, wie sie raus kommt aus dem 25-Prozent-Ghetto. Seine Antwort ist nicht eine rot-rot-grüne Option, die die Parteilinke ersehnt. Seine Antwort ist der Weg in die Mitte. Dorthin, wo die CDU schon ist. Gabriel nimmt den Kampf mit Merkel auf, er schleicht nicht mehr drum herum, auch so lässt sich sein Bekenntnis lesen.
Wahl der Parteivize
Wie ein Hohn auf die Vorsitzenden wirkt auch die Wahl seiner Stellvertreter. Alle schnitten besser ab als Gabriel, insbesondere Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, flogen die Sympathien zu. Sie bleibt die Vorsitzende der Herzen, auch wenn (oder vielleicht gerade weil) sie aus Düsseldorf nicht weg will. Die Ergebnisse im Einzelnen: Hannelore Kraft 85,7 Prozent, Aydan Özuguz 83,6 Prozent, Thorsten Schäfer-Gümbel 81 Prozent, Olaf Scholz 80,2 Prozent, Manuela Schwesig 92,2 Prozent, Ralf Stegner 77,3 Prozent.
Die Kosten, die er zu verbuchen hat: Die Linke fühlt sich unbehaust. Sie hat ihrem Vorsitzenden einen mitgegeben, und zwar kräftig, voll auf Zwölf. Und damit eine klare Botschaft gesendet: Gabriel mag regieren wollen. Aber Regieren ist nicht so wichtig. Die Pflege des eigenen politischen Setzkastens ist auch ganz schön.
Gabrieles Kampfansage
Der neue, alte Vorsitzende schickte Letzteren eine Kampfansage zu. Er sei mit drei Vierteln der Stimmen gewählt. Er nehme die Wahl an. Und nun werde es so gemacht, wie er es gesagt habe.
Die Wähler würden es ihm vielleicht danken. Wenn sie den Eindruck hätten: Da steht auch eine Partei dahinter.