Michael Schumacher "Michael war unglaublich selbstkritisch und konnte nie gut verlieren" – wie TV-Reporter Kai Ebel den Weltmeister erlebte

Kai Ebel Michael Schumacher
Kai Ebel begleitete die Karriere von Michael Schumacher seit 1992.
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Kai Ebel berichtete viele Jahre für RTL von der Formel 1. Dabei verfolgte er die Karriere von Michael Schumacher hautnah. Der stern sprach mit ihm darüber, wie es war, den siebenmaligen Weltmeister durch Höhen und Tiefen zu begleiten.

Der tragische Skiunfall von Michael Schumacher jährt sich am 29. Dezember 2023 zum zehnten Mal. Der Sportjournalist Kai Ebel war bei mehr als 500 Formel-1-Rennen dabei und kannte Schumacher gut.

Herr Ebel, wann haben Sie Michael Schumacher zum letzten Mal getroffen?
Das war einige Tage vor dem Unfall, weil wir uns in Nürnberg auf einer Veranstaltung getroffen haben und ich mit ihm dort auf der Bühne sprechen sollte.

Also waren Sie der letzte Journalist, der mit ihm reden konnte?
Das stimmt, ja. Natürlich hätten wir das nie gedacht. Im Gegenteil: Als Tage später die Meldung kam, dass Michael verunglückt sei, habe ich die Berichte erst mal nicht für voll genommen.

Kai Ebel Michael Schumacher
Nur wenige Tage vor Schumachers Unfall sprach Kai Ebel mit ihm auf einer Veranstaltung. Es sollte bis heute das letzte Interview mit der Formel-1-Legende werden.
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Wann hat es gedämmert?
Wohl als die Berichte immer mehr wurden und mein Telefon nicht mehr stillstand. Plötzlich wollten alle von mir etwas wissen, was ich zu dem Zeitpunkt selbst nicht beantworten konnte. Ich habe das auch alles erst aus den Medien erfahren. Gewissheit habe ich mir dann aus dem Umfeld von Michael geholt, das mir die Nachrichten bestätigt hat.

Wann haben Sie Michael Schumacher zum ersten Mal getroffen?
In der Formel 1. Das war bei meinem ersten Rennen im Mai 1992 in Barcelona. Da ist Michael bereits ein Jahr in dieser Rennklasse unterwegs gewesen.

Wie kam es zu Ihrem Engagement in der Formel 1? Das war ja vor Schumacher eine Randsportart in Deutschland.
Das war eher Zufall. RTL hatte damals die Fußballrechte verloren, und ich hatte mich aufs Boxen konzentriert. Dann kam mein damaliger Chef auf mich zu und erzählte mir, dass er die Formel 1 aus der Autoredaktion in den Sport holen wolle – und so bin ich dort gelandet.

Wie kam der Kontakt zu Schumacher so schnell zustande?
Michael und sein Manager Willi Weber hatten sehr früh verstanden, was für eine erfolgreiche Karriere wichtig ist. Also hat Michael den Kontakt zu führenden Medien gesucht. Das waren die "Bild" als Nummer eins auf dem Zeitungsmarkt und RTL, weil wir die Exklusivrechte am Bild hatten. Medien waren für Michael immer entscheidend, weil eine große Aufmerksamkeit die Suche nach Sponsoren natürlich erleichtert. Und wenn man auf dieser Ebene ständig miteinander spricht, lernt man sich natürlich besser kennen.

Können Sie uns den Menschen Michael Schumacher beschreiben?
Michael war immer sehr gradlinig und offen. Ein freundlicher, klassischer Rheinländer eben. Den typischen Singsang aus der Gegend hier hat man bei ihm ja auch noch lange gehört. Finde ich auch total okay. Warum sollte man seine Wurzeln verleugnen?

Würden Sie Ihre Beziehung zu Schumacher als Freundschaft bezeichnen?
So vermessen würde ich nicht sein, nein. Er wusste, wer ich bin, und wir haben uns gegenseitig für unsere Arbeit ehrlich respektiert. Wir haben uns auch gesagt, wenn mal was nicht gepasst hat. Das war ein sehr gutes Verhältnis, aber Freunde sind für mich Menschen, die ich seit der Jugend kenne oder mit denen ich besonders eng zu tun hatte. Das war Michael aber nicht.

Kai Ebel Michael Schumacher
1995 interviewte Kai Ebel noch mit (normalem) Hemd und Krawatte – später machte er extravagante Kleidung zu seinem Markenzeichen.
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Sie haben sich also gesagt, wenn mal was nicht gepasst hat. Was denn zum Beispiel?
Das kam nicht oft vor, aber es ist passiert. Ich kann mich an ein Interview mit ihm nach dem Rennen erinnern, wo mir vorher jemand mitgeteilt hatte, dass der Wagen von Michael Probleme gemacht habe. Das habe ich ungeprüft mitgenommen und ihn gefragt, was da los war. Da sagte er mir nur, da müsse ich wohl nicht richtig hingeschaut haben. Nach dem Interview wurde er noch etwas direkter und wollte wissen, ob ich schlecht geschlafen hätte, weil ich so eine Frage gestellt habe. Ich klärte ihn über die redaktionelle Info auf und bekam nur zurück: "Du musst doch nicht alles glauben, was man dir erzählt."

Kritik mochte Michael Schumacher offenbar nicht?
Das kommt drauf an, woran. So richtig mies drauf war Michael, wenn er selbst einen Fehler gemacht hatte. Dann war er immer so wütend, dass er gar nicht reden wollte. Ging es um die Technik oder sein Team, hat er sich jederzeit vor die Mannschaft gestellt und die Fragen routiniert beantwortet. Er war unglaublich selbstkritisch und konnte nie gut verlieren.

Wohin das führte, konnte man ja anhand seiner zahllosen Siege sehen.
Na klar. Anders kommst du in einem Leistungssport auch nicht weiter. Michael hat den Erfolg nie dem Zufall überlassen. Er hat sich bewusst entschieden, das Ding zu gewinnen, und dann nur noch überlegt, wie.

An welche Anekdoten erinnern Sie sich besonders?
Da fallen mir gleich zwei Ereignisse ein. Bei der Weltmeisterschaft in Japan sollte ich einen Aufsager für die Nachrichten machen und Michael kam dazu, spritzte mich mit Bier voll und belustigte sich vor laufender Kamera darüber, dass das gerade live ist. 

Das ist ja nett.
Bei den Zuschauern kam das natürlich super an. Was ich ihm auch nie vergessen werde, ist eine unglaubliche Geste in Monza.

War es da Champagner statt Bier?
Nein, etwas ganz anderes. Nach dem Interview über das Rennen hatte mich Michael damals angetippt und mir so ganz nebenbei verraten, dass er und Corinna Nachwuchs erwarten. Das war 1996, es ging um Gina Maria. Das war ein richtiger Hammer, denn damals gab es in Deutschland keinen größeren Promi und wir hatten diese Wahnsinnsmeldung weltexklusiv. Das war schon echt eine schöne Nummer, weil ich ja genau wusste, dass er entschieden hatte, dass er damit zu mir kommt, obwohl sämtliche Medien die News mit Kusshand genommen hätten.

Sind Sie eigentlich jemals mit Michael Schumacher mitgefahren?
Ja – und da hatte er einen amtlichen Kater. Das war im Rahmen einer Veranstaltung von Ferrari, die ich noch immer einmal im Jahr moderiere. Da hatten wir die Idee, dass Michael mich in einem Ferrari mitnimmt und ich das Ganze so ein bisschen kommentiere. Nur hatte Michael am Abend vorher wild gefeiert und war sichtlich angeschlagen. Trotzdem schaltete er alle Fahrhilfen aus und legte los. Plötzlich macht er so eine 360-Grad-Drehung und ich dachte, das sei Show. Michael schaute rüber und meinte dann nur: "Da habe ich wohl die Kontrolle verloren." 

Kai Ebel Michael Schumacher Ferrari
Kai Ebel durfte schon mit Michael Schumacher im Auto sitzen – auch wenn der Weltmeister dabei nicht immer in bester Verfassung war.
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Der Magen hat es überstanden?
Hat er. Aber das vergisst man nicht, wenn der beste Rennfahrer der Welt dich mitnimmt und dann erst mal einen astreinen Fahrfehler hinlegt.

Empfinden Sie es als großes Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, um die Karrieren von Henry Maske und von Michael Schumacher begleiten zu können?
Das muss ich zurückweisen. Das war kein Glück, das war Leistung. Wir hatten den Plan, Formel 1 und Boxen möglichst spannend im Fernsehprogramm abzubilden. Dazu gehört es auch, die jeweils wichtigsten Talente früh genug zu identifizieren. Das ist gelungen, stimmt. Aber das war geplant – und kein Zufall.

Welchen Einfluss hatte Schumacher auf seinen Sport?
Enormen Einfluss. Nur wenige Fahrer haben den Sport so sehr verändert wie Michael. Und nur wenige konnten das – denn du brauchst schon ein gewisses Standing und großes Selbstbewusstsein, um dort mitreden zu können. Eigentlich war die Formel 1 immer Teameigner, Chefs und Ecclestone. Fahrer waren halt einfach da, weil man sie brauchte. Persönlichkeiten stachen selten hervor. Michael hatte da als deutscher Erfolgsfahrer aber einen sehr guten Hebel.

Wie das?
Der deutsche Markt war vor Michael eigentlich tot. So ein Land braucht ein eigenes Toptalent, damit sich die Masse für den Sport interessiert. Tennis, Formel 1 – das hängt an Personen. Die einzige Ausnahme ist vielleicht Italien mit Ferrari – da ist es eigentlich fast egal, wer die Autos fährt. Hauptsache, das Pferd ist vorne drauf. 

Wieso war Deutschland so wichtig?
Deutschland war und ist Autoland. Sponsorengelder, Entwicklung – alles geriet hierzulande plötzlich in Bewegung. Ecclestone war Schumacher immer dankbar, dass er die Nation für seinen Sport wachgeküsst hatte.

Wie hat sich der Sport nach Schumacher verändert?
Natürlich ist die Aufmerksamkeit weniger geworden. Auf einen Superstar wie Michael folgt in jedem Sport erst mal ein Abschwung. Zum Glück hatten wir aber schnell die Erben Schumachers: Timo Glock, Sebastian Vettel, Nick Heidfeld, vermutlich auch Nico Rosberg – die sind doch alle wegen Michael überhaupt zum Rennsport gekommen und haben früh mit dem Kartsport begonnen. Und wenn du dann, wie bei Vettel, noch jemanden hast, der mehrere Weltmeistertitel holt, ist das natürlich super. Aber, so ehrlich muss man sein – eine Formel-1-Manie wie unter Schumacher gab es nicht mehr.

Bald fuhr auch Mick Schumacher in der Formel 1. Glauben Sie, dass es seiner Karriere geschadet hat, der Sohn von Michael Schumacher zu sein?
Sicherlich nicht, auch wenn es natürlich für Mick sehr schade ist, dass der Formel-1-Erfolg ausblieb. Dem Namen hat es nicht geschadet. Ist aber auch klar: Nur weil jemand Beckenbauer heißt, wird er nicht sofort der neue Fußballkaiser. Das ist eine unfaire Erwartung und wird den Jungen auch nicht gerecht. Ich finde es super, dass Mick jetzt andere Rennklassen fährt und somit ein bisschen aus dem Fokus ist.

Einen zweiten Schumi gibt es also nicht? Max Verstappen wäre wohl ein Kandidat, aber den empfinden manche als zu minimalistisch für einen Weltstar.
Da muss ich widersprechen. Max spielt in meinen Augen in exakt dieser Liga, aber gibt sich halt auch nicht als Star. Max ist unglaublich authentisch, damit muss man umgehen können. Der ist so furzehrlich, dass es wirklich wehtun kann. Ich erinnere mich da an so manche Interviewfrage, bei der niemand mit der Antwort gerechnet hätte. 

Zum Beispiel?
Jemand hat Max mal gefragt, wen er sich als Teamkameraden wünschen würde. Da kam nur "Ist mir egal, den schlag ich eh" zurück. Oder die Frage, warum er Ocon geschubst hat. Nur ein Verstappen würde den anderen Fahrer nach einer Handgreiflichkeit auch noch öffentlich als "Pussy" betiteln – und es auch so meinen. Max ist unglaublich ehrlich und kurz angebunden. Ein Star ist er trotzdem.

Wissen Sie, wie es Michael Schumacher heute geht?
Nein, ich nehme mir nicht das Recht raus, danach zu fragen. Für mich ist klar: Wenn sich etwas ändert, wird man es erfahren. Das ist reine Privatsache der Schumachers, und sie sollen selbst entscheiden, wann und ob der Zeitpunkt gekommen ist, der Welt mitzuteilen, wie es ihm heute geht. 

Das heißt, Sie haben ihn auch nie wieder gesehen nach dem Unfall?
Natürlich hätte ich ihn gern besucht. Immerhin kennen wir uns schon so lange. Aber ich glaube, selbst das wäre nicht gut. Denn wenn dann doch irgendwann irgendwas durchsickert, schaut man sofort auf den Journalisten, der ihn besucht hat. Da möchte ich niemals in den Verdacht geraten. Ich wünsche ihm natürlich nur das Beste.

RTL hat sich die Formel 1 zurückgeholt und überträgt ab März einzelne Rennen. Bedeutet das ein Comeback von Kai Ebel beim Sender?
Ich habe leider keine Glaskugel zu Hause.