Die Gebäude der verbotenen Stadt sind in unscheinbarem Grau gestrichen. Drumherum Mauern, Zäune, Sicherheitsschleusen: Nichts soll Interesse wecken, nichts nach draußen dringen. Doch im vergangenen Sommer gerät die Fabrik des taiwanischen Elektronikkonzerns Foxconn in der chinesischen Stadt Shenzhen trotz aller Vorsicht in die Schlagzeilen. "Ich bin in Schwierigkeiten", tippt da der 25-jährige Angestellte Sun Dayong in sein Mobiltelefon. "Sag nichts meiner Familie. Kontaktiere mich nicht." Der Schlusssatz der Kurznachricht an seine Freundin: "Es tut mir leid!" Es ist Suns letztes Lebenszeichen. Wenig später springt der Nachwuchsmanager vom Dach seines zwölfstöckigen Wohnhauses in den Tod.
Der Selbstmord hätte wohl kaum solche Wellen geschlagen, wenn er nicht mit dem Namen des besten Foxconn-Kunden verknüpft wäre: Apple . Sun sollte Prototypen von Apples iPhone in die Entwicklungsabteilung des Werks transportieren. Doch eines der 16 Geräte kommt dort nie an. Der Sicherheitsdienst von Foxconn durchwühlt daraufhin Suns Apartment. Der 25-Jährige wird im Werk verhört - mit äußerst fragwürdigen Methoden. Bis zuletzt bestreitet er jeden Vorwurf, sieht sich aber so bedroht, dass er seinem Leben ein Ende setzt.
Alles, was angesagt ist
Der unrühmliche Vorfall bringt ein Unternehmen in die Öffentlichkeit, das bisher recht unbehelligt vor sich hinwerkeln konnte. Dabei produzieren die Taiwaner so ziemlich alles, was angesagt ist in der Elektronik: iPhones, iPods, Nintendos Videospielkonsole Wii, Smartphones von Nokia , Samsung und Motorola , Amazons elektronisches Lesegerät Kindle, Mac-Computer, Notebooks von HP, Flachbildfernseher von Sony , Intel -Prozessorkarten. Und bald, heißt es in asiatischen Wirtschaftsmedien, wohl auch das nächste Kultprodukt Apples: den Tablet-PC. Einen extrem leichten und flachen Designcomputer aus gehärtetem Glas, der sich per Fingerbewegung steuern lassen soll und die Mediennutzung so revolutionieren soll wie der iPod das Musikgeschäft. Apple-Chef Steve Jobs will das Gerät angeblich am 27. Januar in San Francisco vorstellen.
In aller Stille hat Terry Gou, der Gründer und Chef des Foxconn-Mutterkonzerns Hon Hai Precision Industry, in den vergangenen Jahren einen Giganten der Elektronikindustrie geschaffen. 2008 setzte sein Unternehmen 62 Millarden Dollar um und beschäftigt 486.000 Mitarbeiter. Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" führt Gou in der Liste der reichsten Menschen der Erde auf Platz 334 - mit einem Privatvermögen von 2 Millarden Dollar. Auf der Liste der weltgrößten Unternehmen des US-Wirtschaftsmagazins "Fortune" landete die Aktiengesellschaft auf Rang 109. Doch die Methoden des Konzerns sind umstritten.
Meister des Schweigens
Wie Jobs startet auch Gou seine Karriere in einer Garage. 1974 fängt er an. Mit 7500 Dollar Startkapital baut er eine Produktion von Plastiksteckverbindungen für Fernseher auf. Anders als der Apple-Chef hat er aber seine Produkte nie marktschreierisch angepriesen. Im Gegenteil. Gou ist Meister des Schweigens. Wären die Umstände des Todes Sun Dayongs nicht polizeilich untersucht worden, gäbe es bis heute keine offizielle Bestätigung dafür, dass Foxconn das iPhone baut. "Wir können über unsere Kunden nichts sagen, sonst verletzen wir unsere Geheimhaltungspflichten", erklärt ein Mitglied der PR-Abteilung Hon Hais - um sofort hinzuzufügen, dass er auch damit nicht zitiert werden will.
Die Geheimniskrämerei ist aber nur ein Teil des Erfolgs von Hon Hai. Gou reagiert schnell und geschmeidig auf Veränderungen in Wirtschaft und Politik. Anfang der 80er-Jahre verteilt Taiwans Regierung Subventionen an Familienbetriebe, die neben der Auftragsfertigung von Fernsehern und Taschenrechnern auch ins PC-Geschäft einsteigen. Gou ist dabei. Erst werden wieder Plastikteile, diesmal für Computer, produziert, dann kommen elektronische Bauteile hinzu. Die US-Computerkonzerne kaufen gern bei den Billigzulieferern ein. Die wiederum sammeln schnell Wissen an. Bald sind sie in der Lage, komplette Rechner zu bauen.
Wie Foxconn die Welt erobert
Hon Hai, aber auch die Konkurrenten Quanta, Compal, Acer , Asustek und HTC sowie die singapurische Flextronics setzen zum Höhenflug an. Den Durchbruch verdanken die Kapitalisten aus Taiwan ausgerechnet den Kommunisten in Peking. Die Volksrepublik öffnet in den 80er-Jahren die Sonderwirtschaftszone Shenzhen, wo ein Millionenheer extrem billiger Arbeitskräfte auf Jobs wartet. "Da Kultur und Sprache weitgehend dieselbe sind, die Produktionskosten aber deutlich geringer, können Taiwans Unternehmer die Volksrepublik China als Produktionsstandort geschickt nutzen", sagt Alan Tsao von der IT-Beratung IDC in Taipeh.
Keiner hat diesen Standortvorteil so ausgenutzt wie Terry Gou. Foxconn hat in Shenzhen die wohl größte Fabrik der Welt errichtet: Rund eine viertel Million Menschen arbeiten auf dem Campus. Die meisten Arbeiter verlassen das Werksgelände nie: Sie schrauben Handys und Computer zusammen, sechs Tage die Woche, oft zehn Stunden täglich. Und erhalten dafür selten mehr als 200 Euro Monatslohn. "Es gibt ein richtiges kleines Stadtzentrum mit Lebensmittelgeschäften, einer Post, sogar ein japanisches Restaurant und einen Coffee-Shop", erzählt ein Techniker, der aus Angst vor Repressionen seinen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte. Sportplatz, Swimmingpool und Kantine komplettieren das Angebot.
Etagenbetten für die Arbeiter
Direkt neben den unzähligen Produktionsgebäuden stehen die Wohnheime der Arbeiter. Augenzeugen berichten von Schlafsälen, in denen 30, 100 oder noch mehr Menschen in Etagenbetten schlafen. Was wie moderne Sklaverei klingt, empfinden die Betroffenen oft als Glück: Die Wanderarbeiter wollen schnell Geld für ihre Familien im armen Zentral- und Westchina verdienen - und es nicht in Shenzhen ausgeben.
Die Größe, die kurzen Zulieferketten und die Konzentration an Produktions-Know-how haben aus dem Foxconn-Werk das Herz des weltgrößten Industriestandorts Shenzhen gemacht - und aus Terry Gou so etwas wie einen Alfred Krupp der Neuzeit. Der öffentlichkeitsscheue Hon-Hai-Chef steuert längst neue Ziele an: In Shenzhen sollen bald nur noch 100.000 Hochschulabsolventen Hard- und Software entwickeln. Die Produktion will Hon Hai hingegen an Standorte mit noch niedrigeren Arbeitskosten in Vietnam sowie in Zentralchina verlagern.
Anders als viele Konkurrenten hat Gou der Versuchung widerstanden, Produkte unter eigener Marke herauszubringen. "Hon Hai sollte sich auf Basistechnologien fixieren", sagte er im Mai in einem seiner seltenen Interviews. Es gehe darum, "Weizen anzubauen und Mehl zu produzieren" und nicht wie die Konkurrenz "heute Brötchen und morgen Hefeklöße zu machen".
Dieser Haltung verdankt Gou Kunden wie Palm. Die Amerikaner staunten nicht schlecht, als ihr Auftragsfertiger HTC ein Handy herausbrachte, das dem eigenen Smartphone auffallend ähnlich war - Palms neues Gerät Pre wird nun von Hon Hai produziert.
Glänzende Zeiten
Marktbeobachter sagen Gou glänzende Zeiten voraus: Die Elektronikhersteller stünden unter wachsendem Druck, ihre Kosten zu senken, erklären CK Lu und Jamie Wang vom Beraterhaus Gartner in Taipeh. "Outsourcing zu Auftragsfertigern wird weiter wachsen." Überall auf der Welt: In Russland baut Hon Hai mit HP eine Computerfabrik, in Polen haben die Taiwaner ein Werk Dells übernommen, in Mexiko eines von Motorola; in Tschechien sind sie nach der VW-Tochter Skoda das zweitgrößte Exportunternehmen des Landes.
Mit der Metro-Tochter Media-Saturn hat Gou zudem den Aufbau einer Elektronikmarktkette in China verabredet: Der erste mit deutschem Know-how geführte Elektrosupermarkt soll in Schanghai zur Weltausstellung im April eröffnen.
Gou investiert zudem im Energiesektor. So nutzt Hon Hai eines seiner Computerchipwerke, um die Produktion von Solarzellen hochzufahren. In Indonesien wiederum will Hon Hai Kohle fördern, um daraus Benzin zu destillieren.
Einen prestigeträchtigen Auftrag hat Gou jedoch verloren: Die vierte Generation des iPhones soll angeblich von der Asustek-Tochter Pegatron hergestellt werden. Der Tod Sun Dayongs war aber, glaubt man Berichten in Fachdiensten, dafür nicht ausschlaggebend. Vielmehr wolle Apple verhindern, "abhängig von einem einzigen Auftragsfertiger" zu sein, heißt es. Ein größeres Kompliment kann Terry Gou kaum gemacht werden.