Web verschmilzt mit TV Glotze 2.0 will ins Wohnzimmer

  • von Karsten Lemm
Das Internet soll das Wohnzimmer erobern, immer mehr Filme und TV-Sendungen kommen künftig aus dem Netz. Hat das Fernsehen, wie wir es kennen, bald Sendeschluss?

Früher, als die Ifa noch jung und das Fernsehbild schwarzweiß war, sah die Welt rund um die Funktürme der Republik ganz einfach aus: Es gab drei Kanäle; wenn man an der Grenze zur DDR lebte, vielleicht vier. ARD, ZDF und ihre dritten Programme konnten senden, was sie wollten - hohe Einschaltquoten waren ihnen sicher. "Das war spitze!", rief Hänschen Rosenthal mit Luftsprung, und halb Deutschland freute sich mit ihm. Heute spielen mündige Zuschauer Konsument und Programmdirektor in Personalunion. Ihre größte Aufgabe ist es, ein Unterhaltungsangebot, das für Jahre reichen würde, in kleine Scheibchen zu schneiden, um es an Abende zu verfüttern, die immer viel zu kurz sind.

So überkreuzt sich, was bisher weitgehend nebeneinander her lebte: das Internet, spezialisiert auf Mitmachen und Maßschneidern nach persönlichen Wünschen, und das Unterhaltungsprogramm in der guten Stube. Längst sitzen Millionen auf dem Sofa im Wohnzimmer und schauen Videos aus dem Internet - bei YouTube genau wie auf den Webseiten der TV-Sender selbst. Doch bisher geschieht das meist per Laptop und im Internetbrowser, während der Fernseher nebenher flimmert und anderes zeigt.

Neuer Anlauf mit "Streaming"

Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft nimmt die Industrie nun einen Anlauf, um diese Barriere zwischen Alt und Neu niederzureißen. Nicht zum ersten Mal, aber entschlossener als früher. Geräte, die leichter zu bedienen sind, sollen ebenso Kunden locken wie deutlich bessere Video-Angebote aus dem Internet. Zunehmend ersetzt "Streaming" dabei das Einkaufen und Herunterladen: Schnellere Verbindungen machen es möglich, Filme und Fernsehprogramme live zu übertragen. Die Dateien werden gar nicht mehr komplett übermittelt, sondern bleiben auf den Großrechnern der Internetanbieter gespeichert und werden auf Abruf serviert, Häppchen für Häppchen. Das macht Streaming, ganz nebenbei, zum besten Kopierschutz, den Hollywood sich wünschen kann.

Anders als bei manchen früheren Versuchen, die Online-Welt ins Wohnzimmer zu bringen, dreht sich diesmal alles um Kurzweil und Vergnügen. "Die Industrie hat begriffen, dass Internet-Inhalte auf dem Großbildfernseher vor allem dann Sinn machen, wenn es um Unterhaltung geht", sagt Tim Bajarin, Präsident der Unternehmensberatung Creative Strategies. Das Surfen im Netz sei nun einmal keine Stärke des Fernsehers, argumentiert der Analyst, und auch die Nutzer hätten bisher wenig Interesse daran gezeigt, auf dem TV-Display nach Kochrezepten oder Nachrichten zu suchen. Als Quelle für Filme und Videos dagegen wird das Datennetz immer attraktiver, sagt Bajarin: "Im Internet finden sich mittlerweile genügend Sendungen in hoher Bildqualität, die Menschen gern auf ihren Flachbild-Fernsehern anschauen würden."

Im Dickicht der Standards

Die europäischen Sender und Geräte-Hersteller haben sich extra einen neuen Standard für das Zusammenspiel von Internet und Fernsehprogramm einfallen lassen: HbbTV - das Kürzel steht für "Hybrid-TV" - soll nahtlos Sendungen, die über Antenne oder Satellit ins Haus schneien, verbinden mit Angeboten aus der Online-Welt. In Amerika versuchen derweil einzelne Unternehmen, eigene Standards zu setzen, indem sie Marktanteile erobern - allen voran Google und Apple. Der Suchmaschinenriese möchte mit "Google TV" einen Platz im Wohnzimmer seiner Nutzer finden: Die Geräte, produziert von Partner wie Logitech und Sony, nutzen "Android", das Betriebssystem, das Google ursprünglich für Mobiltelefone entwickelt hat. Als Mutter von YouTube kann Google nur davon profitieren, wenn auf dem Fernseher zunehmend auch Internet-Videos zu sehen sind.

Apple geht derweil - wie üblich - eigene Wege und setzt nun konsequent auf Streaming: Vor wenigen Tagen stellten die Kalifornier die Neuauflage ihrer Apple TV-Box vor.

Statt wie bisher Filme und Fernsehsendungen auf einer eingebauten Festplatte zu speichern, um sie an den Flachbildschirm im Wohnzimmer weiterzureichen, spielt das Gerät künftig nur noch Verteiler: Es holt die Programme drahtlos über Wlan beim PC oder direkt bei iTunes im Internet ab und zeigt sie auf dem Bildschirm an. So kann die Box kleiner und mit 129 Euro deutlich billiger werden. Zugleich stellt Apple das Angebot in seinem iTunes-Laden von Kaufen auf Ausleihen um, wenn auch zunächst nur in den USA: Dort kosten TV-Shows wie "Lost" und "24" nun 99 US-Cent als Leihvideo in HD-Qualität.

Apple macht es einfacher

Das Zusammenspiel von Software und Hardware aus dem eigenen Haus gibt Apple einen Vorsprung vor seinen Wettbewerbern, glaubt Tim Bajarin: "Apple achtet auf einfache Bedienung und kann zusätzlich die eigenen Läden dazu nutzen, Apple TV möglichen Kunden zu erklären", sagt der Analyst. Allerdings gibt es noch deutliche Lücken im Sortiment. Viele US-Sender zögern, bei Apples neuem Verleih-Angebot mitzumachen - vorerst hat die iTunes-Videothek nur Shows von ABC und Fox sowie BBC America im Programm. Und die Konkurrenz steht nicht still: Amazon konterte Apples Kurswechsel umgehend mit Schnäppchenpreisen; plötzlich kosten TV-Sendungen, die iTunes zum Ausleihen anbietet, auch bei Amazon lediglich 99 US-Cent - allerdings zum Herunterladen und Behalten (und aus Copyright-Gründen nur in Amerika). Obendrein arbeitet der Onlinehändler nach Informationen des Wall Street Journal ebenfalls an einer Videothek mit Streaming-Angeboten.

Auch Sony steht bereit, mit einem eigenen Internetdienst im Wohnzimmer mitzumischen: Auf der Ifa enthüllte der Unterhaltungselektronik-Gigant seinen "Qriocity"-Service für die PlayStation und Sony-Fernseher mit Internet-Zugang. Der Name, der sich wie das englische Wort "curiosity" (Neugierde) ausspricht, ist eine Anspielung darauf, dass Kunden mit dem Dienst vom Sofa aus bequem Neues entdecken können - Lieder ebenso wie Filme. Als Abo-Service soll Qriocity gegen eine monatliche Gebühr Musik ohne Grenzen bieten und Videos "on demand", also einzeln auf Abruf. Sony verspricht "Hunderte von Kinohits", wenn der Dienst im Herbst in England, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien an den Start geht, hält sich allerdings bei Preisangaben noch bedeckt.

Am Ende entscheidet Hollywood

Generell haben solche Dienste gute Chancen, Kunden zu finden, glaubt Mike McGuire, Branchen-Experte beim Marktforscher Gartner Group. "Verbraucher verlangen immer stärker nach Unterhaltungsangeboten, die auf ihre Wünsche und Vorlieben genau ausgerichtet sind", erklärt der Analyst. Welcher Hersteller allerdings den Sprung vom PC zum TV am besten schaffe, sei fürs Erste völlig offen. "Alles, was wir sehen, sind ganz frühe Schritte", sagt McGuire - und jeder Anbieter kann stolpern, wenn Hollywood sich querlegt, denn jede Digital-Videothek ist nur so gut wie ihre Auswahl an Filmen und Fernseh-Sendungen.

Die Produzenten haben gute Gründe, sich zurückzuhalten: Zum einen wollen sie nicht ähnlich abhängig werden von einem einzelnen Partner, wie es der Musikindustrie mit Apple ergangen ist - in den USA stammen 70 Prozent aller Lieder, die im Internet eingekauft werden, aus dem iTunes-Laden. Zum anderen steht ein enormes Geschäft auf dem Spiel, zumindest im größten Fernsehmarkt der Welt: Zwischen New York und Los Angeles fließen jährlich etwa 30 Milliarden Dollar (derzeit gut 23 Milliarden Euro) aus den Kassen der Kabelnetzbetreiber in Richtung Hollywood - das ist der Anteil, den die Rechte-Inhaber als ihren Anteil an den monatlichen Servicekosten ausgehandelt haben.

Denn während die meisten Deutschen ohne Abokosten in die TV-Röhre schauen, weil sich ihr Fernsehprogramm aus Werbung und Gema-Gebühren finanziert, zahlen Amerikaner oft 100 Dollar und mehr im Monat für ihren Kabel- oder Satellitenanschluss. Diverse Kanäle werden dabei zu unterschiedlichen Paketen gebündelt und gestaffelt verkauft. Dieses Geschäft will sich keiner der Beteiligten verderben. "Die Studios sind bereit, ein wenig zu experimentieren", erklärt Gartner-Analyst Mike McGuire, "aber sie werden darauf achten, dass ihre Zuschauer-Zahl bei iTunes und anderen nicht größer wird als im Kabelnetz, denn dort verdienen sie den Löwenanteil ihres Geldes."

Die grobe Richtung allerdings scheint klar: So oder so - das Fernsehen bekommt eine digitale Zukunft. Drei Kanäle und nachts das Testbild, das war einmal.

Mitarbeit: Gerd Blank, Berlin

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