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Experte über Privatsphäre "Ich frage mich ständig, warum die Leute das alles noch mitmachen"

"Facebook hat Privatsphäre nie verstanden und versteht sie auch jetzt nicht“ - das urteil von Datenschutz-Experte Marc Al-Hames fällt deutlich aus
"Facebook hat Privatsphäre nie verstanden und versteht sie auch jetzt nicht“ - das urteil von Datenschutz-Experte Marc Al-Hames fällt deutlich aus
© JOEL SAGET / AFP/Cliqz
Marc Al-Hames kennt alle Tricks der Werbe-Industrie. Im Gespräch mit dem stern erklärt er, warum die plötzlichen Datenschutz-Bekenntnisse einiger Konzerne nicht ernstzunehmen sind und was der größte Unterschied zwischen Apple und Google in puncto Datenschutz ist.

Herr Al-Hames, im Silicon Valley scheint es nur noch ein Thema zu geben: Privatsphäre. 

Die Konzerne haben erkannt, dass sie dem Thema Datenschutz nicht mehr ausweichen können. Aber die meisten wurden eher in diese Richtung geschoben, als dass sie sich freiwillig dorthin bewegt hätten. Um es mal ganz klar zu sagen: Facebook und Google machen nur das, was absolut notwendig ist.

Es handelt sich also lediglich um Lippenbekenntnisse?

Böse Zungen würden sagen, die pinseln Lippenstift auf ein Schwein. Die Versprechen sollen gut klingen, aber sind nicht ernst zu nehmen: Sowohl Google als auch Facebook leben davon, so viele Daten der Nutzer wie möglich zu sammeln und diese zu verkaufen. Die machen sich nicht ihr eigenes Geschäft kaputt.

Wer hat die Konzerne denn geschoben - die Nutzer, die Politik?

Es gibt eine Gruppe von Nutzern, die seit Jahren auf das Thema Datenschutz aufmerksam macht. Aber auch die Politik in Europa hat das Thema erkannt und eine gute Regulierung aufgesetzt. Nun erlebt wir, wie Privatsphäre allmählich eine Massenbewegung wird. Ich würde trotzdem nicht so weit gehen, dass der Großteil der Nutzer das Geschäftsmodell von Facebook und Google grundsätzlich in Frage stellt.

Das ist nach Skandalen wie Cambridge Analytisch eigentlich überraschend.

Ich frage mich ständig, warum die Leute das alles noch mitmachen. Es ist allerdings auch ein sehr abstraktes Problem. Viele glauben, sie haben nichts zu verbergen - bis sie mal ihren eigenen Datensatz gesehen haben. Spätestens dann wird einem bewusst, dass wir über einen vollkommenen Mitschnitt unseres Lebens reden. Facebook zum Beispiel hat Privatsphäre nie verstanden und versteht sie auch jetzt nicht.

Wie sieht es bei Google aus?

Google hatte schon immer einen Kern, dem Privatsphäre wichtig ist. Im Laufe der Jahre hat aber die Business-Seite die Oberhand gewonnen. Deshalb halte ich auch hier die Versprechen für nicht glaubhaft. Es würde ein Milliarden-Geschäft wegbrechen. Google hat im Übrigen eine ungewöhnliche Definition von Privatsphäre. Der Konzern will sicherstellen, dass niemand deine Daten bekommt, außer natürlich Google selbst. Denn dort seien die Daten natürlich sehr gut aufgehoben. Das Unternehmen selbst sieht sich nicht als Verletzer der Privatsphäre. Das ist absurd.

Google sammelt Daten nicht nur mit Hilfe von Diensten wie Gmail, Youtube oder dem Play Store, sondern auch im Netz.

Google sieht 80 Prozent von allem, was Sie im Netz machen. Auch wenn Sie sich bewusst gegen Dienste des Konzerns entscheiden, also keinen Chrome-Browser nutzen, nie eine Google-Suche machen, kein Youtube-Video anschauen und keine Gmail-Adresse besitzen. Der Konzern ist der größte Werbe-Tracker im Internet!

Was wird erfasst, wenn ich mich durch verschiedene Webseiten klicke?

Google sieht, welche Webseiten ich besuche und weiß daher, ob ich mich zum Thema Hauskauf, Krankheiten oder über politische Parteien informiere. Einzeln betrachtet sagen diese Datenschnipsel nicht sehr viel aus. Aber das ändert sich, wenn intelligente Algorithmen die Daten sortieren und systematisch auswerten. Dann bekommen sie umfassende Profile über die Nutzer, die über mehrere Geräte hinweg gebildet werden.

Lesen Sie hier: "Was auf deinem iPhone passiert, bleibt auf deinem iPhone", verspricht Apple. Nur: Wie soll das gehen? Der stern besuchte die ringförmige Zentrale und konnte als erstes deutsches Medium einen Blick in zwei streng abgeschirmte Labore werfen.

Sie sprechen vom Fingerprinting.

Anhand eindeutiger Merkmale wie den Bildschirmauflösungen oder Browser-Versionen ist die Werbe-Industrie in der Lage, uns vom Smartphone über das Tablet bis zum Notebook zu verfolgen. Denen entgeht nichts.

Apple hat dieser Praxis im vergangenen Jahr den Kampf angesagt. Deren Safari-Browser hat allerdings einen verhältnismäßig kleinen Marktanteil.

Apples Marktanteil ist gar nicht so klein, wie man immer denkt. Der Browser ist ja auf jedem iPhone und iPad vorinstalliert. Unter den großen Playern ist Apple aber definitiv derjenige, der Privatsphäre am meisten erst nimmt.

Der Konzern hat ja auch ein völlig anderes Geschäftsmodell. 

Apple verdient mit dem Verkauf von Produkten und nicht mit dem Verwerten von Daten und Werbung. Perfekt sind die allerdings auch nicht. Der größte Kompromiss ist die auf jedem Apple-Gerät voreingestellte Google-Suche. Jeder Tastenschlag im Safari-Browser wird an Google übertragen. Tim Cook weiß, dass das eigentlich nicht in Ordnung ist. Aber die Leute wollen nun einmal die beste Suchmaschine, und die stammt von Google. Zur Wahrheit gehört aber auch: Google zahlt Apple viel Geld, dass sie auf jedem iPhone vorinstalliert sind. Die letzte Schätzung lag bei neun Milliarden US-Dollar - pro Jahr.

Sammelt Apple denn gar keine Daten?

Doch, natürlich. Ohne Daten geht es heutzutage nicht. Apple wählt aber einen anderen Ansatz: Daten werden nur zweckgebunden gesammelt, sie werden nicht weitergegeben und es werden keine Profile gebildet.

Was meinen Sie mit zweckgebundenen Daten? 

Nehmen wir die beiden Kartendienste der Smartphone-Betriebssysteme. Apple anonymisiert die Standortdaten der Nutzer und bereitet diese technisch so auf, dass sie für nichts anderes als zur Verbesserung des Kartendienstes genutzt werden können. Google dagegen nutzt die Standortdaten nicht nur zur Optimierung der Karte, sondern auch, um noch umfassendere Profile über die Nutzer zu bilden und passendere Werbung zu schalten.

Viele behaupten, Googles Dienste seien wegen der größeren Datenmenge denen von Apple überlegen.

Das ist totaler Quatsch. Technisch könnte Google ein ebenso gutes Produkt bauen und dabei die Privatsphäre achten. Datenschutz und Bequemlichkeit schließen sich nicht aus. Es würde nur länger dauern und wäre womöglich etwas teurer und aufwendiger. Aber dann könnte Google nicht mehr so genaue Profile an Werbekunden verkaufen und würde sein wichtigstes Geschäft gefährden.

Google hat nun angekündigt, in seinem Chrome-Browser ebenfalls die Fingerprinting-Praxis einzudämmen. Außerdem sollen Nutzerdaten eine Art Verfallsdatum bekommen. Wie passt das zusammen?

Das mag auf den ersten Blick abwegig klingen, aber dieser Strategiewechsel wird Googles Werbegeschäft stärken. Dazu kommen wir wieder auf Googles Definition von Privatsphäre zurück: Wir dürfen sammeln, aber andere nicht. Googles erfährt mit dem Chrome-Browser weiterhin jede Menge über seine Nutzer, aber alle anderen Werbe-Anbieter werden abgeblockt. Indem der Konzern definiert, welche Daten gesammelt werden dürfen und welche nicht, kann er sich unliebsame Wettbewerber sehr leicht vom Hals halten. Zum Thema Verfallsdatum: Ich sehe keinerlei Indizien dafür, dass Google Daten löscht, die für das Geschäft essenziell sind.

Google hat mit Android das populärste Smartphone-Betriebssystem der Welt, spielt im Smartphone-Sektor aber nur eine winzige Rolle. Samsung und Huawei sind die größten Geräte-Smartphone-Hersteller, aber auf Android angewiesen. Bei Apple kommt dagegen Hard- und Software aus einer Hand. Ist das aus Ihrer Sicht ein Vorteil? 

Ich halte die Software für wichtiger, denn mit ihr kann man heute fast alles kontrollieren. Aber durch die Optimierung von Hard- und Software kann Apple Dinge realisieren, die sich allein durch Software nur schwer umsetzen lassen. Es ist ein kleiner Wettbewerbsvorteil. Der Fall Huawei zeigt auch: Die Android-Smartphone-Hersteller müssen sich nicht nur Regeln unterwerfen, die Google selbst diktiert, sondern auch von staatlichen Regulierern, die Android als Instrument der Marktmacht sehr genau im Blick haben.

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass man um ein iPhone nicht herumkommt, wenn man auf seine Privatsphäre Wert legt?

Nein. Sie können genauso gut ein Android-Telefon kaufen. Sie müssen aber eine Stunde investieren, um die Google-Dienste zu deaktivieren und ein paar Tools nachzuinstallieren, die das Telefon sicherer machen. Beim iPhone sind viele Datenschutzfunktion jedoch bereits voreingestellt.

Sobald ich eine App öffne, sieht die Sache ohnehin anders aus. Jeder kennt die Popup-Fenster, in denen um den Zugriff auf die Kontakte, die Standortdaten oder das Mikrofon gefragt wird. Wie viel Kontrolle haben Google und Apple überhaupt?

Man sollte nur jene Apps installieren, denen man vertraut. Schauen Sie sich am besten immer das Geschäftsmodell an: Bezahlen Sie für die App oder ist diese kostenlos? Wenn sie gratis ist, sollte man sich fragen, wie die Anbieter Geld verdienen. Meist bezahlen Sie dann in Form Ihrer Daten. Da müssen die Plattform-Betreiber - das sind in diesem Fall Apple und Google - meiner Meinung nach transparenter warnen.

Viele Politiker fordern, dass die App Stores von den Unternehmen abgekapselt werden. Halten Sie das für eine gute Idee?

Es geht vor allem darum, Monopole abzuschaffen, indem etwa weitere App Stores zugelassen werden. Derzeit hat man pro Betriebssystem nur eine Plattform. Ich finde, es sollte mehr Wettbewerb geben.

Wozu brauchen wir alternative Softwareläden? In dem vorinstallierten gibt es doch bereits Millionen Apps. Und bei einem externen Anbieter besteht auch das Risiko, dass man sich potenziell schädliche Software herunterlädt.

Das stimmt. Aber dann habe ich als Nutzer trotzdem eine Wahl. Es gab schon den einen oder anderen Fall, in dem man darüber diskutieren könnte, ob es eine tatsächliche Gefährdung für die Nutzer gab oder eher eine Gefahr für das Geschäft der Stores. Meiner Meinung nach sollten die Anwender immer die Freiheit haben, sich Apps auf eigene Verantwortung zu installieren. Es besteht sonst die Gefahr von Zensur.

Sie glauben also nicht, dass die Leute aus Unwissenheit vor sich selbst geschützt werden sollten? Das ist derzeit ja die gängige Praxis, in dem Apple und Google jede App sehr streng kontrollieren.

Gerade weil die Nutzer keine Alternative haben, wird nichts hinterfragt. Gäbe es Alternativen, würde das anders aussehen: Verbannt Apple eine App aus Datenschutzgründen aus dem App Store, könnte man sie sich zwar woanders herunterladen. Aber jeder würde sich doch dreimal fragen, warum die überhaupt verboten wurde.

Sie sind sehr optimistisch. Umfragen zufolge liest der Großteil der Nutzer keine Geschäftsbedingungen und stimmt allen Anfragen zu.

Auf dem iPhone gibt es einen App Store und auf Android-Geräten einen anderen, das ist für 99 Prozent der Menschen die Realität. Die wissen nicht, wie dort Entscheidungen zustandekommen. Und deshalb drücken die auch bei allen Meldungen einfach den OK-Button, weil sie wissen, dass sie sowieso keine Alternative haben.

Es herrscht eine Ohnmacht bei den Nutzern?

Die meisten denken, ihre Daten seien sowieso schon überall. Am Ende ist es aber auch nicht die Aufgabe des Nutzers, die Praxis der Konzerne zu ändern. Hier ist die Politik gefragt. Es ist gesellschaftlich inakzeptabel, dass kommerzielle Firmen unser komplettes Leben ausspionieren und aufzeichnen - da müssen die Politiker einschreiten.

Wenn die massenhafte Verletzung von Privatsphäre gesetzlich gebremst würde, wäre Software wie Cliqz dann nicht überflüssig?

Wir verdienen unser Geld, indem wir den Leuten ihre Privatsphäre zurückzugeben. Aber ich glaube, auch in einer hochgradig regulierten Welt gibt es noch gute Geschäftsmodelle für sauber arbeitende Firmen. Dadurch, dass der Anschnallgurt im Auto verpflichtend wurde, ist ja auch nicht die Sicherheitsindustrie im Auto ausgestorben. Ganz im Gegenteil. 

Sie haben also keine Angst um ihren Job?

Ich glaube, in zwanzig Jahren wird die Welt komplett anders aussehen. Dann werden die Menschen auf die heutige Zeit zurückblicken und sich kaputtlachen, wie naiv wir alle waren. Allerdings glaube ich, es muss erst noch schlimmer werden, bevor es wieder besser wird. Für die nächsten drei bis fünf Jahre sehe ich keinen Wandel. Der Komfort, den die Leute haben, überwiegt bei Weitem noch das Schmerzempfinden.

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