Wer in den 70er Jahren aus dem Westen in die DDR reiste, wurde an der Grenze gefilzt. Mürrische Grenzer kassierten Zeitungen, Zeitschriften und sogar Comics. Ähnlich funktionierte bis gestern die Zensur der chinesischen Google-Version: Wer in Peking oder Shanghai googelte, bekam andere Ergebnisse angezeigt als Nutzer in Berlin oder San Francisco. Hat Google mit dem Abschalten der zensierten Fassung seiner Suchmaschine das kommunistische Regime in Beijing wirklich ausgetrickst? Nein. Aber Google hat sich als politischer Player profiliert. Wirtschaftliche Interessen treten hinter moralischen Prinzipien zurück.
Bislang setzte Google auf das Prinzip Hoffnung, den Wandel durch Annäherung - Entspannungspolitik wie im Kalten Krieg zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Irgendwann werden die Machthaber schon mürbe. Information will frei sein. Die Kraft des Internets werde die Zensur aushöhlen. Diese Hoffnungen wurden aber enttäuscht. Die ausgeklügelten Hack-Attacken auf Google und zwei Dutzend andere ausländische Firmen haben eher den Verdacht erhärtet, dass die Chinesen den autoritären Kurs noch verschärfen wollen.
Ein guter Kompromiss?
Ein smartes Manöver ist die Umleitung der Google-Anfragen aus China in die Enklave Hongkong trotzdem. Ähnlich wie West-Berlin vor dem Bau der Mauer eine Insel der Freiheit war, herrscht auch in Hongkong Meinungsfreiheit ähnlich dem Verständnis europäischer Staaten oder der USA. Google betont zudem den gesetzeskonformen Charakter der Hongkong-Connection. Äußerungen von Googles Chefjurist David Drummond und Mitgründer Sergey Brin drücken die Hoffnung aus, einen guten Kompromiss gefunden zu haben.
Erste Reaktionen aus Beijing lassen noch keinen klaren Kurs erkennen: Einerseits wird Google mit viel Propagandadonner vorgeworfen, gegen bestehende schriftliche Vereinbarungen zu verstoßen. Andererseits verkündet die chinesische Führung, dass die ohnehin angespannten Beziehungen zu den USA durch Googles Schachzug nicht beschädigt worden seien.
Die Machthaber in Peking haben alles in der Hand. Sie lassen sich schon aus Tradition nichts von einem westlichen Unternehmen vorschreiben oder provozieren. Google ist auf ihr Entgegenkommen angewiesen. Die große chinesische Firewall ist noch immer in Betrieb: Wer von China aus die Hongkong-Seite von Google anklickt, erhält zensierte Resultate.
Historischer Moment - auch im negativen Sinn
Wird Google langfristig trotzdem zur demokratischen Öffnung in China beitragen können? Das ist heute nicht abzusehen. Immerhin: Der fast vier Jahre währende faule Kompromiss mit einem unfreien System ist beendet. Google hatte selbst den nach Staatsvorgaben gefilterten Suchindex gepflegt. Jetzt ist es wieder die staatliche Zensurtechnik, die die Suchergebnisse von Google einschränkt. Das Unternehmen bleibt so seinem oft als zynisch belächelten Firmenmotto "Tue nichts Böses" zunächst treu. Das Abschalten der zensierten Google-Version ist aber auch ein historischer Moment im negativen Sinn: Im ersten Anlauf ist die Entspannungspolitik klar gescheitert.
Ob die chinesische Zensurmauer so lange stehen wird wie die Berliner, entscheidet natürlich die Regierung in Peking und nicht eine Internetfirma aus dem Silicon Valley. Vielleicht wirkt der Wandel durch Annäherung auf Dauer ja doch. Die Hoffnung stirbt zuletzt.