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Verena Pausder Start-up-Gründerin über Spiele-Apps: "Kleine Kinder sollten nicht angefixt werden"

Verena Pausder vom Berliner Startup "Fox and Sheep" gewann 2016 den scoop Award.
Verena Pausder vom Berliner Startup "Fox and Sheep" gewann 2016 den scoop Award.
© Christian Charisius/picture alliance / dpa / Picture Alliance
Verena Pausder ist eine der erfolgreichsten deutschen Tech-Gründerinnen. Mit Kinder-Apps eroberte sie die Welt. Im stern-Gespräch erklärt sie, worauf es bei der Entwicklung von Apps ankommt und warum es hierzulande immer noch so wenige Frauen unter Entwicklern gibt.

Der App Store feiert in diesen Tagen seinen zehnten Geburtstag. Als Apple am 10. Juli 2008 den Startschuss gab, waren gerade einmal 500 Apps verfügbar. Mittlerweile sind es mehr als zwei Millionen. Vor allem Spiele erfreuen sich großer Beliebtheit. Nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder. Was viele nicht wissen: Einige international erfolgreiche Kinder-Apps kommen aus Deutschland. Verena Pausder, 39, verkauft mit ihrer Firma "Fox & Sheep" ihre Kinder-Apps in den USA, Russland, China und Großbritannien. Mit dem stern sprach sie über das Geschäft mit den bunten Kacheln.

Frau Pausder, wie kamen Sie auf die Idee für "Fox & Sheep"?

Los ging es 2011. Das iPad war gerade auf dem Markt und es zeichnete sich ab, dass das eine Produktkategorie war, die gut für Kinder geeignet war. Aber es fehlten die passenden Inhalte. Deswegen wollten wir auf Basis unseres deutschen Wertesystems Apps entwickeln, die einen qualitativen Anspruch haben. Mittlerweile vermarkten wir sie weltweit in 16 Sprachen. Deshalb wählten wir auch den englischen Titel "Fox & Sheep" und nicht "Fuchs und Schaf". Die iPad-Plattform war neu und wir wollten auf der internationalen Bühne mitspielen.

Was genau meinen Sie mit deutschem Wertesystem?

Deutschen Eltern ist es ein großes Bedürfnis, dass ihre Kinder behutsam an die digitale Welt herangeführt werden. Grafiken sollen nicht zu schrill sein und nicht zu viele leuchtende Farben haben. Der Schnitt darf nicht zu schnell sein. Die Apps lassen sich leicht konsumieren und sind auf wenige Minuten angelegt. Die Kinder werden also nicht angeheizt, noch ein Level und dann noch eins zu konsumieren. Wir liefern eine schöne, kleine abgeschlossene Welt ohne Werbung.

Verena Pausder: Start-up-Gründerin über Spiele-Apps: "Kleine Kinder sollten nicht angefixt werden"

Der Ansatz ist ganz anders als bei Facebook & Co, wo man die App gar nicht mehr verlassen soll.

Kleine Kinder sollten nicht angefixt werden. Wenn die Eltern mit ihren Kindern auf diesen Geräten spielen, sollen sie kein schlechtes Gefühl haben. Deshalb verzichten wir auch auf Werbung.

Haben sich die Ansichten der Eltern in den vergangenen Jahren verändert?

Das hat sich total verändert. Das Tablet ist massentauglich geworden. 2011 konnten sich die Leute kaum etwas unter Apps für Kinder vorstellen. Das ist heute anders: Die generelle Akzeptanz der Geräte ist gestiegen. Das sieht man ja allein daran, wie viele Apps mittlerweile im App Store angeboten werden und wie groß das Geschäft geworden ist. Nichtsdestotrotz bleibt eine gesunde Skepsis, gerade bei kleinen Kindern. Viele meinen, Kinder müssen sich irgendwann sowieso mit dieser Welt auseinandersetzen. Muss es deshalb wirklich so früh sein? Uns geht es deshalb gar nicht darum, zu missionieren. Wir konzentrieren uns auf die Inhalte.

Wann ist ein gutes Alter, mit Tablet-Spielen loszulegen?

Das lässt sich schwer verallgemeinern, da jede Familie anders ist. Das frühkindliche Spielen sollte man am besten mit drei, vier Jahren probieren. Kleine Kinder machen noch nicht viel mehr als kleine Filmchen anzuschauen oder ein Minispiel spielen. Dinge wie Programmieren oder das Drehen von Animationsfilmen stehen da noch nicht im Vordergrund. Das kommt erst später.

Welchen Vorteil bieten Ihre Apps im Vergleich zum klassischen Kinderbuch?

Sie haben keinen Vorteil. Unsere Zielsetzung ist eine andere: Wir wollen mit den Apps etwas ermöglichen, was mit einem Buch nicht geht. Entweder liest man seinem Kind ein Buch vor. Oder man spielt etwa ein virtuelles Sandmännchen, das interaktiver als auf dem Fernseher ist. Wir konkurrieren nicht mit dem Buch, sondern eher mit dem Fernseher.

Ihre Spiele erscheinen in 16 Sprachen. Ist Deutschland der Hauptmarkt?

Nein, Deutschland ist nur das siebtgrößte Land. Die größeren Märkte sind USA, China, Japan, Russland, Frankreich und Großbritannien.

Und die Inhalte sind in jedem Land gleich?

Die Tiere auf einem Bauernhof sind tatsächlich in den unterschiedlichen Ländern gleich. In anderen Apps sehen aber Polizisten oder Feuerwehrleute aus wie in ihrem jeweiligen Land. Da steht natürlich nicht weltweit das deutsche Polizeiauto.

Sie müssen die Apps also an jedes Land anpassen.
Das Geschäft funktioniert nur international. Wer in nur einem Land bleibt, kommt nicht aus der Nische heraus. Denn die Kosten einer App sind hoch: Animationen und Illustrationen kosten viel Geld. Würden wir nur deutsche Apps anbieten, gäbe es uns nicht mehr.

Was kostet die Entwicklung einer App?

In der Programmierung kostet eine App ungefähr 150.000 Euro. Kosten für Support, Updates und so weiter sind da noch nicht enthalten, das kommt noch einmal drauf.

Sie bieten ihre Apps für iOS und Android an.

Kinder-Apps für iOS sind wesentlich relevanter als für Android, weil Kinder-Apps in erster Linie Geld kosten. Apple-Nutzer sind eher bereit, für eine App Geld auszugeben, weil es nicht so viele Geräte gibt und man deswegen sicher sein kann, dass sie für das eigene Gerät optimiert ist. Apple achtet da in seinem Review-Prozess sehr genau drauf. Bei Android gibt es Tausende Geräte. Deshalb kann man nie sicher sein, ob die App auch perfekt läuft, wenn man 3,49 Euro ausgibt. Bei Android ist das Geschäftsmodell deshalb ein anderes, der Markt funktioniert eher mit kostenlosen Apps, in denen man weitere Funktionen gegen Gebühr freischalten kann (In-App-Käufe). Deshalb ist iOS für uns der relevantere Markt.

Kommen bald weitere Gerätekategorien?

Wir schauen immer, wie sich der Markt entwickelt. Momentan ist Augmented Reality sehr spannend. Wir haben bereits eine erste App herausgebracht, mit der man virtuelle Puppen in sein natürliches Lebensumfeld bringen kann. Die tanzen dann etwa auf dem eigenen Bett oder Schreibtisch.

Was muss eine Kinder-App der Zukunft können?

Sie muss Kinder nicht zu Konsumenten erziehen, sondern zum Gestalter machen. Mit einem virtuellen Kasperletheater kann man etwa eigene Charaktere auf die Bühne stellen, eigene Dialoge einsprechen und sich eine Geschichte ausdenken. In Zukunft reicht es nicht mehr, dem Kind ein Spiel vorzusetzen, was es nur nachspielen kann. Es geht darum, die Kreativität der Kinder zu fördern und ihnen zum Beispiel kleine Programmiereinheiten beizubringen.

Sie setzen sich sehr für die Förderung von Frauen in der Techbranche ein. Diese sind unter Entwicklern immer noch eine Minderheit. Wie nehmen Sie die Branche wahr?

Es gibt viel zu wenige Frauen. Die Ursache ist meiner Meinung nach, dass Mädchen nicht an das Thema herangeführt werden. Außer dem Girls Day gibt es in Deutschland keine Initiative in den Schulen, die sich wirklich darauf fokussiert, Mädchen an die Themen IT und Coding heranzuführen.

Die eine oder andere schafft es trotzdem. 

Klar, ab und zu gibt es eine, die etwas nerdig ist und das gut findet. Aber es ist ein Gesellschaftsproblem: Jungs schenken wir natürlich Lego Mindstorms, bei zehnjährigen Mädchen kommen nur wenige auf diese Idee. Das Problem fängt zu früh an. Und in der Universität geht es weiter. Es gibt kaum passende Stipendien für technische Hochschulen. Oder Mindestquoten. Die Frauen, die dann trotzdem die entsprechenden Fächer studieren, kommen in ein soziales Umfeld, das weit weg ist von dem einer jungen Frau.

Was vermissen die Studentinnen?

Es gibt kaum Teamarbeit. Man redet wenig miteinander. Jeder hockt vor seinem Rechner. Es ist das Gegenteil von dem, wie Frauen bevorzugt lernen. Wir müssen in der Nachwuchsförderung viel stärker werden. Und wir müssen in den Universität Umfelder schaffen, in denen nicht nach einem Jahr die weiblichen Programmierer aussortiert werden, weil sie nicht so gut waren wie die männlichen, nur weil wir uns gar nicht auf sie eingestellt haben.

Wen meinen Sie mit "wir" - die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft?

In erster Linie die Gesellschaft. Die Voraussetzung ist, dass wir überhaupt Lust auf diese digitale Welt haben. Denn Tatsache ist, dass wir auch nicht genug Männer ausbilden. Natürlich ist die Gesellschaft in der Pflicht, das Ganze mit Leben zu füllen. Aber die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen: Sie muss das Mindset in den Schulen verankern. Es fehlen jedoch die Umfelder und Lehrpläne.

Das Problem löst sich also nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren.

Ganz im Gegenteil. Leider wacht gerade keiner morgens auf und merkt, dass wir das Thema gerade richtig verschlafen. Das sieht man etwa an dem Milliarden-Bildungspakt, der eigentlich für solche Themen vorgesehen ist. Der war schon in der letzten Legislaturperiode inhaltslos. Jetzt ist er im Haushalt, aber es ist immer noch völlig unklar, wie man ihn als Schule abrufen kann. Und wir sind uns noch nicht einmal über das Ziel dieses Paktes einig - ob es darum geht, digitale Fähigkeiten zu vermitteln oder ob es darum geht, anhand von Technik Inklusion und individuelles Lernen einfacher zu machen. Bis das ausdiskutiert ist, ist die nächste Regierung an der Reihe. Da passiert gar nichts. Die Politik verschläft das Problem.

Fehlt es an weiblichen Role Models in den großen Konzernen?

Es gibt schon einige. Sheryl Sandberg (Facebook) zum Beispiel hat eine unglaubliche Strahlkraft in dieser Branche. Oder Gillian Tans von booking.com. Angela Ahrendts (Apple). Marissa Mayer (Ex-Yahoo). Sheryl Sandberg macht den besten Job: Sie hat sich das Thema klar auf die Fahnen geschrieben. Sie redet immer wieder darüber. Und das verändert was: Wenn man sieht, dass da eine Frau ist, die Kinder hat und trotzdem einen Software-Konzern führt, eröffnet das erst den Glauben daran, dass man das auch kann.

Wenn jetzt auf einen Schlag in jeder Konzernspitze eine Frau sitzen würde …

… würde das natürlich helfen. Aber das Problem wäre noch nicht gelöst. Denn die Nachwuchsförderung ist der Schlüssel zum Erfolg. Und die sollte in der Grundschule anfangen, gerade wenn es um das Thema Programmieren und digitale Fähigkeiten geht.

Sind wir denn auf einem guten Weg?

Geht so. In Deutschland habe ich nicht den Eindruck, dass wir für diese neue Welt gut ausbilden. Da sind wir definitiv auf keinem guten Weg. Wenn es dagegen um das Anerkennen geht, dass es mehr Frauen auf solchen Positionen geben sollte, dann sind wir schon gut dabei. Bedenkt man aber, dass das Thema in jeder Zeitung steht und in jedem Gespräch stattfindet, passiert zu wenig.

Sind die Amerikaner weiter?
Nein, das würde ich nicht sagen. Die haben auch nur um die zehn bis 15 Prozent Frauen in den Techunternehmen. Die haben ein ähnliches Problem. Bei der Ausbildung für die neue Welt sind sie uns aber viele Schritte voraus.

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