Die Woche wird mit einem Paukenschlag im Silicon Valley eröffnet: Jan Koum, Gründer von Whatsapp, wirft das Handtuch und verlässt Facebook - jenen Konzern, der sich seine App einst für die Rekordsumme von 19 Milliarden US-Dollar einverleibte und ihn über Nacht zum Milliardär machte. Es war eine "fantastische Reise", doch nun sei es Zeit, "weiter zu ziehen", erklärte der 42-Jährige in einem Facebookbeitrag. Einer der ersten, der den Post geliket hat, ist Facebook-Chef Mark Zuckerberg.
Dabei dürfte der wenig zu lachen haben. Der Zeitpunkt für Koums Ausscheiden könnte kaum ungünstiger sein: Am Dienstag eröffnet Mark Zuckerberg im kalifornischen San José die alljährliche Entwicklerkonferenz F8, vermutlich im Schlabber-Shirt statt wie zuletzt vor Gericht im Maßanzug. Der Facebook-Chef, der zuletzt eine Krise nach der nächsten meistern musste, wird dann die zukünftige Marschroute des sozialen Netzwerks erläutern.
Im Zentrum steht die Frage, wie offen die Plattform für Entwickler und Kunden sein wird, nachdem wiederkehrende Berichte zu russischen Wahlmanipulationen, Fake News und Daten-Sicherheitslücken das Vertrauen zuletzt schwer belasteten. Um den Schlingerkurs zu beenden, muss Zuckerberg das Heft wieder in die Hand nehmen.
Zoff um Privatsphäre
Doch offenbar sind selbst intern die Fronten nicht geklärt. Die "Washington Post" berichtet einige Details zu Koums Ausscheiden. Und die lesen sich nicht so rosig, wie es der herzige Post des WhatsApp-Gründers vermuten lässt: Dem Bericht zufolge gab es unüberbrückbare Differenzen mit der Mutterfirma bezüglich des Geschäftsmodells und der Datenauswertung von Whatsapp.
Koum ist ein bekennender Verfechter der Privatsphäre, Facebook wollte dagegen die Verschlüsselung in Whatsapp aufweichen, um weitere Daten zu gewinnen. Facebook muss immer noch beweisen, dass die Übernahme wirtschaftlich sinnvoll war, denn bislang ist Whatsapp noch werbefrei. Die Unabhängigkeit und der Schutz der Nutzerdaten waren Jan Koum und Brian Acton, sein Mitgründer, eine Herzensangelegenheit, als der 19-Milliarden-Deal im Frühjahr 2014 eingetütet wurde. 2016 legten sie nach und führten eine tiefgreifende Verschlüsselung in die populäre Messenger-App ein, die es Dritten schwerer machte, die Chats auszuwerten.
Die WhatsApp-Gründer sind von Bord
Jan Koum war mehr als nur der Gründer von Whatsapp. Der 42-Jährige war der einzige Gründer eines von Facebook geschluckten Unternehmens, der zugleich Teil des Boards war, also an den wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens beteiligt war. Nur zwei andere Facebook-Führungspersonen - Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg - sind Mitglieder des Boards.
Wann Koum abtreten wird, ist nicht bekannt. Das Unternehmen wollte sich gegenüber Medienanfragen nicht äußern. Koum habe jedoch bereits die Führungsetage bei Facebook und WhatsApp über seine Pläne informiert, in den vergangenen Monaten sei er der "Washington Post" zufolge auch kaum noch in den Büros anwesend gewesen.
Brian Acton, der zweite Whatsapp-Gründer, verließ das Unternehmen im November. Anschließend kritisierte er Facebook scharf und verbreitete auf Twitter den Hashtag #DeleteFacebook, also #LöschtFacebook.
Die beeindruckende Geschichte von WhatsApp
Jan Koum veränderte mit Whatsapp die Welt, in dem er Kommunikation über Ländergrenzen hinweg einfacher machte. Mittlerweile hat der Dienst mehr als 1,5 Milliarden Nutzer. Die Geschichte von WhatsApp ist die eines modernen Märchens: Koum wuchs in ärmsten Verhältnissen in Kiew auf, als einziger Sohn einer Hausfrau und eines Konstrukteurs.
Anfang der Neunziger, kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wanderte er als Teenager gemeinsam mit seiner Mutter in die USA aus. Doch auch dort war das Leben hart: Um über die Runden zu kommen, jobbte seine Mutter als Babysitterin, sie schliefen in einem engen Zweibettzimmer und waren auf Lebensmittelmarken angewiesen. Als bei der Mutter Krebs diagnostiziert wurde, lebten sie fortan von ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit dem Vater, der in der Ukraine geblieben war, hatte Koum kaum noch Kontakt, weil Auslandsgespräche teuer waren - das wollte er später mit WhatsApp ändern. 1997 starb der Vater in der ehemaligen Heimat.
Auf der High School war Koum ein Störenfried, nach Schulschluss beschäftigte er sich mit Computernetzwerken und trat einer Hackergruppe bei. Nach der Schule wechselte er aufs College, doch wie viele Startup-Gründer schmiss auch er sein Studium. Als Sicherheitstester und später als Infrastruktur-Ingenieur arbeitete er bei Yahoo, dort traf er auf seinen Kollegen Brian Acton. 2000 starb Koums Mutter an den Krebsfolgen, Koum zog daraufhin zu Acton und sie wurden beste Freunde.
2007 verließen beide Yahoo, sie reisten durch Südamerika und spielten Frisbee. Als sie in die USA zurückkehrten, bewarben sich beide bei Twitter und Facebook, doch die Unternehmen lehnten ab. 2009 kaufte sie kaum ein iPhone, und Koum erkannte, dass der damals noch recht junge App Store die Grundlage für ein neues Geschäftsmodell sein konnte.
Alex Fishman, einem russischen Freund, erzählte Koum von seiner Idee: "Jan zeigte mir sein Adressbuch", sagte Fisherman vor ein paar Jahren dem Magazin "Forbes". "Er glaubte, es sei wirklich cool, Status-Texte neben den Namen der Leute zu haben." Damit könne man anzeigen, ob man gerade Lust auf ein Treffen habe, im Fitnessstudio sei oder man bereits schlafe, erklärte ihm Koum. Auch eine Idee für den Namen der App hatte er: "Whatsapp". Ihm gefiel der Name, er klang wie "Whats up" ("Was ist los?"). Nur eine Woche später, am 24. Februar 2009, gründete er die Firma Whatsapp Inc. Es war Koums 33. Geburtstag, und zugleich der Geburtstag einer weltweiten Kommunikationsrevolution.
Whatsapp war bei der Veröffentlichung direkt der Platzhirsch: Es gab Blackberrys Messenger, der nur auf Smartphones dieser Firma funktioniert, außerdem Googles gefloppten Dienst G-Talk und Skype. Als Whatsapp in der Version 2.0 veröffentlicht wurde, gab es bereits mehr als 250.000 Nutzer. Und die Nutzerkurve zog rasend schnell an.
Mit einer Unterschrift zum Milliardär
Koum ließ sich ein Leben lang von seinen Ideen leiten. Er blieb standhaft, wenn riesige Unternehmen anklopften und seine junge Firma übernehmen wollten. Ihm ging es nicht um den schnellen Reibach, sondern um seine Vision: Er habe den perfekten Messenger entwickeln wollen, der so simpel zu bedienen sei, dass ihn selbst eine 60-jährige Oma ohne jegliche Computer-Kenntnisse bedienen könne, sagte er bei einem seiner wenigen Auftritte. Koum war einer der ersten, der Mobile First ging, sich also voll und ganz auf Smartphones konzentrierte. Selbst Branchenschwergewichte wie Google oder Facebook verschliefen den Trend.
Letzterer kaufte im Februar 2014 für 19 Milliarden US-Dollar den Messenger. Laut „Forbes“ besaß Koum zum zeitpunkt des Deals mit 45 Prozent den Löwenanteil von Whatsapp. Er war über Nacht Milliardär. Der Vertrag wurde ein paar Blocks von ihrem Firmensitz unterzeichnet, in einem weißen Bürogebäude, das früher einmal das Sozialamt war, in dem Koum als Jugendlicher für Lebensmittelmarken angestanden hat.
In seiner Auszeit will sich Koum nun seinen Hobbys widmen, schreibt er auf Facebook. Er möchte seine Porschesammlung vergrößern und wieder Frisbee spielen. So wie damals im Jahr 2007, als Whatsapp noch nicht mehr als eine kühne Idee war.