Die Ukraine wird 31 M1 Abrams Panzer aus den USA erhalten – in einer ersten Charge, darf man wohl hinzufügen. Der Westen verfügt über vier Typen schwerer Kampfpanzer. Der Challenger 2 aus Großbritannien und der Leclerc aus Frankeich wurden in geringen Mengen hergestellt und so wird die Ukraine auch nur wenige von ihnen erhalten können. Vom Leopard 2 wurden über 3000 gebaut, vom Abrams über 9000 – sollte der Krieg weiter gehen und Kiew mehr als die 300 Panzer benötigen, die jetzt im Gespräch sind, kann dieser Bedarf nur mit Leopard 2 und M1 Abrams gedeckt werden.
Namensgeber aus dem Zweiten Weltkrieg
Häufig wird der US-Panzer in Deutschland als "Abraham" verballhornt, vermutlich weil die Sprecher an den Präsidenten Abraham Lincoln denken und ihnen der eigentliche Namensgeber Creighton Abrams nichts sagt. Der General war Anfang der 1970er Generalsstabschef der US Army. Die Ehre, dem Kampfpanzer seinen Namen zu geben, verdiente er als junger Mann. Im Zweiten Weltkrieg diente Abrams in der 4th Armored Division. Seine Einheit war der Rammbock der Dritten US-Armee. Abrams galt als kühnster und aggressivster Kommandeur der US-Streitkräfte. Unter anderem brach seine Einheit den deutschen Ring um das belagerte Bastogne während der Ardennenoffensive auf.
US Kampfpanzer M1 Abrams - der leise Tod

Nach ihm also wurde der M1 Abrams benannt. Vom Konzept her ist der Abrams so ziemlich das Gegenteil der Shermans, die Creighton Abrams im Zweiten Weltkrieg zur Verfügung standen. Wie auch der Leopard 2 ist der Abrams noch ein Kind des Kalten Krieges, er sollte den veralteten M60 ablösen. Mit den Modellen, die ab 1980 ausgeliefert wurden, haben die aktuellen Panzer der US-Armee wenig gemein.
Der M1 Abrams wurde mehrfach umfassend modernisiert. Selbst die Hauptwaffe wurde ausgetauscht. Die alte 105-mm-Kanone wurde durch einen Lizenznachbau der 120-mm-Glattrohrkanone von Rheinmetall ersetzt, die auch im Leopard 2 verbaut wurde. Als Besonderheit wurde für den Panzer die Kartäschengranate M1028 entwickelt, die gegen Infanterie eingesetzt wird. Sie entfesselt eine Art von riesigem Schrotschuss mit über 1000 Wolframkugeln. Als Sekundärbewaffnung verfügt der M1 neben einem koaxialen leichten MG über ein schweres MG für den Kommandanten und ein weiteres leichtes für den Schützen.
Der Überlebens-Tank
Die eigentliche Stärke des M1 ist der Schutz der Besatzung. Ihr soll bei Treffern das Überleben gesichert werden. Der M1 ist ein Panzer, der vor allem einstecken kann. Geschützt wird er durch eine Kompositpanzerung, die Munition wird getrennt von der Besatzung aufbewahrt. Ein automatisches Schott trennt das Magazin ab. Bei der Konstruktion wurden Sollbruchstellen eingeplant, damit die Wucht von Explosionen im Innenraum von der Besatzung abgelenkt wird. Ihr Kampfraum ist mit Kevlar verkleidet, das Splitter im Inneren auffangen soll. Die neuesten Generationen sollen mit einer Dorchester-Panzerung mit Bestandteilen aus Urandioxid ausgerüstet sein. Diese Panzerung soll allerdings nicht in die Ukraine geliefert werden.
Dazu verfügt der M1 über Reaktivpanzerung und ein Softkill-System, um Lenkwaffen in die Irre zu führen. Es ist zweifelhaft, dass Panzer mit dem israelischen Trophy-System in die Ukraine geliefert werden.
Der Schutz kommt zu einem Preis: Der M1 ist deutlich über 60 Tonnen schwer, so wie alle modernen West-Panzer. Die Sowjetmodelle stellten stets die Mobilität über die Panzerung. Der Schutz der Besatzung galt wenig, das änderte sich erst in den neuesten Modernierungswellen der T-Modelle.
Umstrittenen Turbinenantrieb
Die größte Besonderheit des M1 ist sein Antrieb. Er besitzt keinen Dieselmotor wie (fast) alle anderen Panzer nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern eine Gasturbine. Ihr Vorteil: Sie kann verschiedene Kraftstoffe verbrennen, ist sehr viel leichter als ein Dieselaggregat und stellt schon im Standgas viel Leistung und Drehmoment zur Verfügung. So weit so gut, doch der Verbrauch ist enorm. Bei einer Erprobung in Schweden schluckte die Turbine 1480 Liter auf 100 Kilometer im Gelände. Dieser Wert ist den spezifischen Bedingungen des Einsatzes geschuldet, aber auch unter anderen Bedingungen ist der Abrams extrem durstig. Die Turbine lässt sich noch relativ einfach ausbauen und austauschen. Arbeiten am Triebwerk selbst, sollen jedoch sehr anspruchsvoll sein. Zusammen mit dem Gewicht wird es immer eine Herausforderung sein, den M1 einsatzbereit zu halten.
Die Hauptwaffe, der Schutz der Besatzung und das Feuerleitsystem sind State-Of-The-Art und den russischen Panzern in der Ukraine, vor allem den T72, weit überlegen. Insbesondere die Erfassung von Zielen, der Datenaustausch zwischen Kommandanten und Schützen und zwischen mehreren Panzern markieren das heute mögliche.
Bei Mobilität, Wartung und Nachschubbedarf sieht die Leistungsbilanz des M1 anders aus. Fakt ist: In den Schlachten des Irakkrieges waren die damaligen T-72 und T-64 gegenüber dem M1 weitgehend hilflos. Während des ganzen Krieges verloren die USA kaum einen Panzer durch direkte Feindeinwirkung.
Ukraine nicht mit Irak vergleichbar
In den bisherigen Einsätzen hat sich der M1 stets bewährt, allerdings traf er auch stets auf Gegner, die technologisch und in Sachen Ausbildung weit unterlegen waren. Die irakischen Truppen kämpften ohne Koordination, Kommunikation und vereinzelt auf sich gestellt. In den späteren Straßenkämpfen im Irak wurde der M1 hauptsächlich von MGs, alten RPGs und Mörsergranaten attackiert. Während die Russen ihn mit ebenbürtigen Kanonen, modernen Lenkwaffen und Artillerie bekämpfen können, die teils von Drohnen gelenkt werden. Schwere Kettenfahrzeuge treffen im Ukraine Krieg auf eine neue, herausfordernde Situation. Ein Problem ist dabei, dass ein Panzer beim ersten Treffer nicht zerstört werden muss. In aller Regel reicht es aus, ihn bewegungsunfähig zu machen und den lahmen Koloss danach mit Drohnen und Artillerieschlägen zu zerstören.
Beachtliche Schlagkraft ist möglich
Fakt ist auch, dass man sich von 31 Abrams Panzern und einigen Leopard 2 keine Wunder erwarten darf. Wenn aber mehr Verbündete Kampfpanzer liefern, könnte die Ukraine im Frühjahr doch auf 200 bis 300 neue Kampfpanzer kommen und so eine Dimension erreichen, mit der größere Offensiven möglich wären. Kampfpanzer allein bewirken jedoch gar nichts. Um sie einzusetzen sind entsprechende Mengen Schützenpanzer und Artillerie notwendig und all die Dienste, die benötigt werden, um diese gepanzerten Truppen im Feld einsatzfähig zu halten.
Im Blick der Öffentlichkeit stehen die spektakulären Großsysteme, doch genauso entscheidend sind Schleppfahrzeuge, Transporter und Tankwagen. Bisher konnten Kiews Truppen bei ihren begrenzten Offensiven das Gefecht verbundener Waffen weit besser meistern als ihre russischen Kontrahenten. Gelingt es Kiew, diesen Vorsprung in der Ausbildung beizubehalten, und kommen tatsächlich 200 bis 300 westliche Kampfpanzer plus das notwendige Unterstützungsgerät in die Ukraine, muss sich Putin im Frühjahr beziehungsweise Frühsommer auf einen energischen Kampf einstellen.