Verteidigungsbündnis Eine Nato ohne die USA? So schlimm wird es, wenn Trump Ernst macht

Ein Crew Chief der U.S. Air Force der 158th Fighter Wing gibt einem F-35A Lightning II-Kampfflugzeug Zeichen
Nach Donald Trumps Ankündigung, "säumige"Nato-Mitgliedsstaaten im Falle eine Angriffs nicht verteidigen zu wollen, stellt sich die Frage, wie abhängig Europa von US-amerikanischen Sicherheitsgarantien ist
© Richard Mekkri/Us Air/Planet Pix / DPA
Ohne die USA sind die Europäer militärisch hilflos. Europa allein kann sich auf Jahre hinaus nicht verteidigen – zu groß wären die Lücken, die die USA hinterlassen.

Auf die europäischen Verbündeten war Donald Trump schon immer schlecht zu sprechen. "Alt-Europa" ist für ihn – wie ironischerweise auch für Peking und Moskau – ein Kontinent im Niedergang. Der von der einstigen Größe zehrt, die Zukunft aber nicht gestalten wird, denn die findet im indisch-pazifischen Raum statt. Für die USA ist die Auseinandersetzung mit China entscheidend. Die Frage, ob Peking Pazifikstaaten in sein Lager ziehen kann, ist für Washington weit bedrohlicher als das Schicksal des Donbass oder der baltischen Staaten.

Hinzu kommt, dass die Europäer sich beharrlich weigern, genug für ihre eigene Verteidigung zu tun. Die Mentalität lautete und lautet weiterhin: Wenn es hart auf hart kommt, müssen halt die Amerikaner ran. Darauf zielt das Trump-Mantra von Staaten, die ihre Rechnung nicht bezahlen. Dabei ist Trump kleinlich: Er schaut nicht nur auf den aktuellen Haushalt, er addiert die Versäumnisse der Vergangenheit. 

Im Blick hat er in erster Linie Deutschland. Trump dürfte ebenfalls nicht verborgen bleiben, dass viele europäische Staaten die Ukraine vor allem verbal unterstützen, es aber an Geld und Waffen fehlen lassen. Ob Donald Trump, sollte er erneut Präsident sein, nur mächtig Druck machen wird, oder ob er die Nato tatsächlich verlässt, kann niemand vorhersagen. Angesichts seines unberechenbaren Temperaments ist letzteres nicht ausgeschlossen. Vor allem, weil Trump ein Ass im Ärmel hat.

Was wären die Europäer ganz ohne US-Streitkräfte?

Die Frage lautet also: Was würde geschehen, wenn die USA das Bündnis verlassen und die Europäer damit ihrem Schicksal überlassen würden? Bei einem kurzfristigen und absoluten Ausstieg der USA wäre das Bündnis gelähmt. Man kann darüber diskutieren, ob und wann die Europäer die Lücke, die die USA hinterlassen, ersetzen können, doch kurzfristig geht es nicht.

Am offensichtlichsten wird das beim nuklearen "Gleichgewicht des Schreckens" – die Bestände an Atomwaffen von Großbritannien und Frankreich sind kein Gegengewicht zu Russlands Arsenal. Hier wären die Westeuropäer hoffnungslos unterlegen. Würde Putin Atomwaffen einsetzen, aber Ziele in Großbritannien und Frankreich aussparen, könnten deren Regierungen einen atomaren Gegenschlag nicht verantworten. Mit einem massiven Erstschlag könnte Russland auch versuchen, das europäische Atomarsenal auszuschalten.

Ohne die USA wäre Europa nicht kriegsfähig

Nicht kriegsfähig wären die Europäer in Sachen Aufklärung. Ohne die Militärsatelliten, Aufklärungsdrohnen und die Geheimdienste der USA wären sie weitgehend blind und taub. Im Kriegsfall soll die übermächtige US-Navy die Seewege und den Atlantik freihalten. Russische U-Boote wären eine Gefahr, aber sie könnten das Meer nicht dominieren. Die Europäer allein hätten große Mühe, den Atlantik freizuhalten. Es droht die Gefahr, dass ganz Europa vom Welthandel abgeschnitten wird. Auch, weil die europäischen Handelsflotten bei weitem nicht mehr so groß sind, wie im Zweiten Weltkrieg. Damals mussten die zivilen Matrosen die gefährliche Fahrt über den Atlantik antreten, das kann man Chinesen und Koreanern heute nicht einfach befehlen.

Bei den konventionellen Streitkräften zu Land und in der Luft machen die USA den Unterschied. Zusammenaddiert bieten die Europäer zwar eine durchaus eindrucksvolle Streitmacht auf. Sie ist allerdings zersplittert in viele Streitkräfte und unterschiedliche Strukturen. Die USA sind in vielen Kategorien so stark wie alle Europäer zusammen, und ihre Truppen sind in aller Regel besser ausgerüstet und ausgebildet. Beispiel Kampfpanzer, Main Battle Tanks. Die USA verfügen über 5500 Stück, Deutschland, UK, Frankreich und Italien kommen zusammen auf etwas über 900.

Natürlich kann man die Bestände von Türkei (2200) und Griechenland (1400) dazu addieren, aber das sind größtenteils hoffnungslos veraltete Modelle. Ähnlich sieht es bei fast jedem Großgerät aus. Bei kriegsentscheidenden Distanzwaffen wie Marschflugkörpern, Gleitbomben und ballistischen Raketen ist das Verhältnis noch ungleicher. Schon bei der Bombardierung Libyens ging den Europäern nach ein paar Tagen die Munition aus. Dazu kommt ein politischer Faktor. Sollte es zu einem Konflikt zwischen Russland und der Rest-Nato kommen, wäre es naiv zu glauben, dass alle Länder in diesem gefährlichen Kampf zusammenstehen. Die Gefahr besteht, dass das Bündnis zerbricht und Staaten nicht an Kampfhandlungen teilnehmen werden.

Aufrüstung erfordert sehr viel Geld

Nun ist es nicht so, dass Putins Militär in Topform ist. Ohne Unterstützung der USA wird Kiew den Krieg sicherlich verlieren, doch den Kampf und die Beute müsste der russische Bär erstmal verdauen. Die Europäer hätten also etwas Zeit, aufzurüsten und eine Streitmacht ohne US-Beteiligung aufzubauen. Doch das würde Jahre, teils Jahrzehnte dauern und sehr, sehr teuer werden.

Am derzeitigen Beitrag der USA hängt ein Preisschild, diese Summe muss man auf die Europäer verteilen. Dann redet man nicht von zwei Prozent BIP fürs Militär, sondern von vier bis fünf. In der Aufbauphase eher mehr. Vor dem Hintergrund einer nur verhalten wachsenden Wirtschaft wäre die Unterstützung der Bevölkerung alles andere als sicher. Schon Maßnahmen wie die Wiedereinführung der Wehrpflicht sind umstritten. Dazu müssten die Europäer alle globalen Ambitionen aufgeben. Die Aufgabe, das eigentliche Bündnisgebiet zu verteidigen, ist gewaltig, daneben wird man nicht noch Weltpolizei spielen können.

Ohne Nato, doch nicht ohne Europa

Doch ist das ganze Szenario "Europa ohne USA" unrealistisch. Sollte Trump die Nato verlassen, müsste und würde er nicht Europa verlassen. Auch wenn der alte Kontinent seine einstige Bedeutung verloren hat, werden die USA nicht zulassen, dass der westeuropäische Zipfel komplett unter chinesischen und russischen Einfluss gerät. Trump würde die Nato nicht nur verlassen, er würde sie gleichsam auf den Müllhaufen der Geschichte schicken. Allerdings – und das ist sein Ass im Ärmel: Neben die alte Nato würde Trump sofort ein neues Bündnis stellen und die Sicherheitsgarantien der USA für die Staaten in seinem neuen Club wiederholen. 

Alle Länder müssten sich dann überlegen, wer sie im Ernstfall wirklich schützt – Berlin oder Washington? In diesem Bündnis gelten dann neue Spielregeln. Die alten Zöpfe der Nachkriegszeit werden abgeschnitten. Die USA wären der uneingeschränkte Boss. In dem Trump-Bündnis wären die "treuen" und wehrwilligen Staaten willkommen. Etwa Polen, Finnland und die baltischen Staaten. Trump befiehlt, sie gehorchen. Aus Trumps Sicht, ein Super-Win: Die USA würden sich nicht mehr von Ländern wie Deutschland auf der Nase herumtanzen lassen, die überall mitreden wollen, stets Bedenken vortragen und gleichzeitig ihr Militär kaputtsparen. Die alte Nato wird dann sterben oder bedeutungslos weiter existieren, und die USA nehmen die europäischen Länder an die kurze Leine.

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