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Justizkandal in Schleswig-Holstein Angeklagte Kieler Staatsanwältin: Ist der Skandal noch größer?

Hans Beil fordert vom Land Schleswig-Holstein eine Million Euro Schadenersatz
Pferdezüchter Hans Beil fordert vom Land Schleswig-Holstein eine Million Euro Schadenersatz.
© Philipp von Ditfurth / stern
Eine Kieler Staatsanwältin ist wegen Rechtsbeugung angeklagt. Sie soll beschlagnahmte Tiere zu Unrecht verkauft haben. Recherchen des stern zeigen, dass der Skandal größer sein könnte: So kaufte etwa ein Polizist  eines der Tiere, das er zuvor beschlagnahmt hatte. 

Es war eine anonyme Anzeige, die Willi P. und seinem Sohn Manuel letztendlich zum Verhängnis wurde. Im April 2013 beschlagnahmte die Kieler Staatsanwältin Doktor Maya S. elf Pferde auf ihrem Hof in der Nähe von Lütjenburg. Die 44-jährige Staatsanwältin ist inzwischen wegen Rechtsbeugung in zehn Fällen angeklagt und vom Dienst suspendiert. Sie soll Tiere - darunter die Pferde von Familie P. - verkauft haben, ohne den Haltern rechtliches Gehör zu gewähren. Das heißt, sie nahm ihnen laut Anklage die Chance, sich gegen den Verkauf zu wehren, was gesetzlich vorgeschrieben ist.

Der Fall von Willi und Manuel P. lässt erahnen, dass der Skandal sich ausweiten könnte: Ein Polizist, der bei der Beschlagnahmung der Pferde von Familie P. im Einsatz war, kaufte einen sichergestellten Wallach für 250 Euro. Ein Transporteur gerierte sich offenbar mit dem Segen der Staatsanwältin als eine Art Hilfspolizist. Und auch die Rolle der Amtsveterinärin wirft Fragen auf.

Es war der 20. März 2013, als Staatsanwältin Doktor S. einen Aktenvermerk schrieb. Sie habe einen anonymen Anruf bekommen. Die Pferde von Willi und Manuel P. seien abgemagert. Ein Tier habe unter Durchfall gelitten. Die Familie habe wohl zu wenig Geld, um die Pferde vernünftig zu versorgen. Doktor S. fragte beim Veterinäramt nach. Tatsächlich war die Familie dort schon seit drei Jahren bekannt. Seit 2010 hatte die Amtsveterinärin die Pferdehalter immer wieder ermahnt, ihre abgemagerten Pferde besser zu füttern und die Hufe zu pflegen. Die Tiere hatten nach Meinung der Amtsveterinärin außerdem zu wenig Platz und Auslauf, die Ställe waren dunkel. Die Weiden eingezäunt mit Stacheldraht, so dass die Pferde sich verletzen konnten. Immer wieder hatte die Amtsveterinärin den Haltern Fristen gesetzt und ihnen sogar Zwangsgeld angedroht. Tatsächlich bemühten Willi und Manuel P. sich, die Mängel abzustellen. Das geht aus Unterlagen hervor, die der stern einsehen konnte.

Als Mitarbeiter des Ordnungsamtes den Hof im Dezember 2012 unangemeldet kontrollierten, sah es dort schon viel besser aus. Nur noch zwei von neun Pferden waren mager, die Boxen vergrößert worden. Familie P. bot Pferde zum Verkauf an, um die Herde zu verkleinern. Die nächste Kontrolle war für Ende März 2013 anberaumt worden.

Tierarzt sieht keine schweren Verstöße

Am 20. März 2013 – kurz vor der vereinbarten Kontrolle – leitete Doktor S. nach dem anonymen Anruf ein Ermittlungsverfahren gegen Manuel P. ein und beantragte die Durchsuchung des Hofes. Schon zwei Tage später, am 22. März 2013, erließ das Amtsgericht Kiel den Beschluss. Am 8. April 2013 rückte Maya S. vormittags mit einer weiteren Staatsanwältin, einem Tierarzt und mehreren Polizisten auf den Hof von Familie P. an. "Wir waren völlig überrascht, weil wir doch immer gemacht hatten, was die Amtsveterinärin uns aufgetragen hatte", sagt Willi P. heute.

Rechtsanwalt Frank Knuth
Rechtsanwalt Frank Knuth (l.) hält das Vorgehen der Kieler Staatsanwälte für "Willkür".
© Philipp von Ditfurth / stern

Auf dem Polizeivideo, das der stern einsehen konnte, ist die Staatsanwältin bei der Durchsuchung zu sehen. Sie sprach ruhig und freundlich mit der Familie, fütterte die abgemagerten Pferde mit Stroh. Weil die Amtsveterinärin verhindert war, hatte sie einen selbstständigen Tierarzt mitgebracht. Einige Pferde waren mager, ihre Beckenknochen traten hervor. Ihr Fell war stumpf und dreckig. Die Pferde waren, so der Verdacht des Tierarztes, womöglich von Parasiten befallen.

Schlimme Verstöße, die nach dem Tierschutzgesetz mit Geldstrafe oder drei Jahren Haft bedroht sind, stellte der Tierarzt allerdings nicht fest. Das sagte der Veterinär auch Doktor S., wie auf dem Polizeivideo zu hören ist. Die Staatsanwältin beschlagnahmte die elf Pferde trotzdem. Als Beweismittel.

"Hilfspolizist" kontrolliert Tierhalter

Auf dem Polizeivideo ist zu sehen, wie Maya S. ihr Handy zückte und Olaf B. anrief. Der Unternehmer stand schon bereit, um die Pferde, darunter ein Fohlen und drei trächtige Stuten, abzutransportieren. Seine Rolle scheint ebenfalls fragwürdig. Der gelernte Maurer und Gutsverwalter transportierte gemeinsam mit seiner Frau, einer Pferdewirtin,  oft Tiere für die Staatsanwaltschaft und kümmerte sich um deren Unterbringung. Auch kaufte er beschlagnahmte Pferde. Bald gerierte sich Olaf B. offenbar mit dem Segen von Maya S. wie eine Art Hilfspolizist. Die Staatsanwältin soll Olaf B. schon mal gebeten haben, sich unauffällig bei verdächtigen Tierhaltern umzusehen. Das behaupten jedenfalls Ermittler gegenüber dem stern. Es gebe E-Mail-Verkehr, der das belegen würde. Olaf B. kontrollierte offenbar auch neue Halter, die beschlagnahmte Tiere gekauft hatten. Solche Kontrollen sind allerdings hoheitliche Aufgabe, dürfen im Auftrag der Staatsanwaltschaft von einem sachverständigen Tierarzt, vom Veterinäramt oder der Polizei übernommen werden. Olaf B. bestreitet solche Einsätze nicht. Er sei eine Art "Außendienstmitarbeiter" der Staatsanwaltschaft gewesen, sagt er zum stern. Seine Arbeit habe er der Staatsanwaltschaft in Rechnung gestellt. 

Die beschlagnahmten Pferde von Familie P. brachte Olaf B. damals auf verschiedenen Gutshöfen unter. Monatelang blieben sie dort. Die Kosten für den Steuerzahler waren bald fünfstellig und überstiegen den Wert der Herde, den ein Gutachter auf etwa 3000 Euro taxiert hatte, bei weitem. Eine Stute verlor ihr Fohlen. Unterdessen versuchte Familie P. wenigstens vier Pferde, an denen sie besonders hing, zurückzubekommen. Vergeblich. Amts- und Landgericht bestätigen die Beschlagnahmungen. "Ich war so verzweifelt, dass ich an Selbstmord gedacht habe", erinnert sich Willi P. "Sie haben unseren 'Siegott' mitgenommen. Er war das Hochzeitsgeschenk für mich und meine Frau. Das andere Pferd gehörte meiner Tochter. Sie war damals 15 und sehr traurig."

Polizist kauft beschlagnahmtes Pferd

Ab Juli, also drei Monate nach der Beschlagnahmung, ließ Maya S. die Tiere verkaufen - offenbar obwohl das  Beschwerdeverfahren, das Familie P. angestrengt hatte, noch nicht abgeschlossen war. Die Pferde gingen für 200 bis 700 Euro weg. Das deckte nicht einmal annähernd die Unterbringungskosten, die inzwischen entstanden waren. Lars M. - der als Polizeibeamter mitgeholfen hatte, die Pferde zu beschlagnahmen – kaufte einen Wallach für 250 Euro. Er vermittelte ein weiteres Pferd an einen Bekannten.

Kurz darauf, im August, lag auch das Gutachten der Amtsveterinärin vor, um das Doktor S. gebeten hatte. Sie listete nun schwere Tierrechtsverstöße der Familie P. auf, bewertete die Beschlagnahmung als richtig und notwendig. Warum? Die Amtsveterinärin hatte doch drei Jahre lang davon abgesehen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten, weil Familie P. sich bemüht hatte, die Mängel abzustellen. Auch ihr Kollege hatte selbst bei der Durchsuchung keine schweren Verstöße festgestellt. Die Amtsveterinärin will sich nicht äußern, verweist an den Pressesprecher des Landkreises. Der bittet um Verständnis, dass er zu laufenden Verfahren nichts sagen könne.

Im Februar 2015 erhob Birgit Heß, heute Leiterin der Staatsanwaltschaft Kiel, Anklage gegen Willi und Manuel P. Sie war die vierte Staatsanwältin, die mit dem Fall befasst war. Und verließ sich auf die Arbeit von Maya S. "Da es sich bei ihr um eine Dezernentin mit mehrjähriger Berufserfahrung handelte, konnten ihre damaligen Vorgesetzten und ihre Kollegen davon ausgehen, dass sie grundsätzlich ihren staatsanwaltschaftlichen Pflichten ordnungsgemäß nachkommt", heißt es in einer Stellungnahme der Ermittlungsbehörde an den stern.

Seit über vier Jahren warten Willi und Manuel P. nun auf ihren Prozess. Sie seien sich keiner Schuld bewusst, sagt Willi P. "Die Pferde waren mager, weil sie alt waren."

Hatte Maya S. Mitleid mit den armen Kreaturen, wie engagierte Tierschützer ihr Vorgehen noch heute verteidigen? Hat sie deshalb so hart durchgegriffen? Verkaufte sie die Tiere schnell an neue Halter, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen? Maya S. will sich gegenüber der Presse nicht äußern.

Schweine an Schlachthof verkauft

Hans und Alexandra Beil glauben nicht, dass Maya S. ein Herz für Tiere hatte. Zwei Tage dauerte es, bis die Staatsanwältin ihren Hof im November 2011 leer geräumt hatte: 88 Pferde, 66 Schweine, eine Kuh mit ihrem Kalb und sechs Kaninchen.

Staatsanwaltschaft Kiel weist den Vorwurf des Versagens zurück
Staatsanwaltschaft Kiel weist den Vorwurf des Versagens zurück.
© Philipp von Ditfurth / stern

Für die Schweine fand Maya S. keinen Stall. Deshalb verkaufte sie die Tiere an einen Schlachthof. Sie wurden sofort getötet. "Ich schrecke oft nachts aus Alpträumen hoch", sagt Hans Beil. Auch er hatte Maya S. angezeigt. Das Verfahren wurde vorläufig eingestellt – weil schon in anderen Fällen Anklage erhoben worden war.

"Das hat ein Geschmäckle"

Im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen Maya S. stieß die Staatsanwaltschaft Itzehoe auch auf den Polizisten, der das beschlagnahmte Pferd gekauft hat. Ein Korruptionsverfahren gegen Doktor S. leiteten die Ermittler nicht ein. Grund: Es gab keine "Unrechtsvereinbarung" zwischen ihr und dem Polizeibeamten, wie es juristisch heißt. Oder einfacher ausgedrückt: Der Vorteil, also das billige Pferd, war nicht daran geknüpft, dass der Polizist der Staatsanwältin dienstlich einen Gefallen tun musste. Auch der Polizist hat vermutlich nichts zu befürchten. Er will sich nicht gegenüber dem stern äußern. Die Pressestelle der Polizeidirektion Kiel, wo der Beamte arbeitet, hält das Ganze für eine Privatsache. "Fragen, die das Privatleben eines Mitarbeiters betreffen, werden von unserer Seite grundsätzlich nicht beantwortet", schreibt ein Sprecher. Eine Vorteilsannahme im Amt sei "nicht im Ansatz erkennbar". Das Innenministerium Schleswig-Holsteins, das erst durch die stern-Anfrage von der Sache erfahren hat, will den Fall nun allerdings dienstrechtlich prüfen.

Hans-Werner Rogge, Anti-Korruptionsbeauftragter des Landes-Schleswig Holstein, will den Deal juristisch nicht bewerten, hat allerdings ein "ungutes Gefühl". Er sagt: "Ich hätte das nicht gemacht, allein schon, um den Anschein einer Vorteilsannahme zu vermeiden."  Das sieht auch Tobias Singelnstein so. Der Jurist und Kriminologe, der sich an der Ruhr-Universität Bochum unter anderem mit der sozialen Kontrolle von Polizei und Justiz befasst, sagt: "Das Ganze hat natürlich ein Geschmäckle."

Im September soll Doktor S. voraussichtlich der Prozess gemacht werden.

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