Seit knapp zwei Jahren sammeln sich fast jeden Montagabend ein paar Tausend Pegida-Anhänger in Dresden, um das Abendland zu verteidigen: gegen den Euro, gegen Brüssel, gegen Flüchtlinge, den Islam, gegen die ganze "links-grün-versiffte" Republik, die "Lügenpresse" und vor allem gegen Merkel. Dem Pegida-Schlachtruf "Merkel muss weg" folgt auch die AfD mit Leidenschaft. Aber anders als die so genannte "Alternative für Deutschland" fristet Pegida ein trübes Dasein in der Aufmerksamkeits-Ökonomie. Keine Einladungen in Talkshows, keine landesweiten Interviews, nicht einmal überregionale Meldungen - es sei denn, Pegida-Chef Lutz Bachmann migriert unter Ausschöpfung der EU-Freizügigkeitsregelung nach Teneriffa oder hat sich mit seiner Konkurrentin Tatjana Festerling mal wieder in der Wolle. Ansonsten aber findet die montägliche "Volksverräter"-Versammlung ihr Echo nur an den Fassaden der Dresdner Häuser.
"Haut ab", "Volksverräter" und persönliche Beleidigungen
Die Bundeskanzlerin am Tag der Deutschen Einheit endlich einmal in Rufweite zu erwischen, war deshalb so etwas wie der Höhepunkt im Leben eines Pegidisten, der sich unter seinesgleichen am Rande der Gesellschaft wähnt, und zwar unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Der Frust musste raus: "Haut ab", "Volksverräter", gemischt mit Trillerpfeifen und ein paar persönlichen Beleidigungen - so klang in etwa das wenig anspruchsvolle Konzert, mit dem Merkel, Bundespräsident Gauck und die übrige Politprominenz in der Elbe-Stadt empfangen wurde. Man kann sich ausmalen, wie die Pegida-Organisatoren am Tag danach ihre Pöbeleien feierten nach dem Motto: Denen haben wir es aber gezeigt. Ändern im Sinne der Bachmann-Jünger wird sich freilich nichts. Die deutsche Grenze ist immer noch nicht abgeriegelt, nach wie vor betreten Flüchtlinge das Bundesgebiet, der Euro bleibt auch in Dresden Zahlungsmittel, die EU gibt es immer noch und Merkel auch. Und so werden die Dresdner Wutbürger weiter wütend sein. Und seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik dürfen sie das ja auch unbehelligt im Sinne der freien Meinungsäußerung ausleben.
Aber diese Hasstiraden, dieses offene Bekenntnis zur verbalen Brutalität, hält die deutsche Nachkriegsdemokratie locker aus. Und ja, wer der Meinung ist, dass die Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre kulturelle Identität mit Blick auf die Zuwanderung auch einer Entscheidung des Gemeinwesens bedürfe, ist deshalb noch kein Rechtsradikaler. Das Problem ist nur: Man kann sich offenbar nicht mehr darauf verständigen, die politischen Differenzen mit dem Stimmzettel auszutragen. Die Gewalt von Rechtsnationalisten - auch von linken Chaoten - nimmt zu, brennende Autos, Anschläge auf Flüchtlingsheime und Moscheen, bis hin zu körperlichen Angriffen. Hier franst die Gesellschaft an den Rändern bedrohlich aus. Pegida-Sympathisanten und manche AfD-Vertreter sind nämlich der Meinung, Demokratie findet nur dann statt, wenn geschieht, was sie wollen. Diesen Anspruch legitimieren sie mit der Anmaßung "Wir sind das Volk". Und was nicht in Ihrem Sinne entschieden wird, das ist Diktatur. Diese Selbstermächtigung, die vor allem von der AfD bei jeder Gelegenheit propagiert wird, wirkt in den Köpfen wie ein antidemokratisches Gift.

"Pegida ist nicht rechts!"
Was das mit manchen Menschen macht, verdeutlicht eine kurze Video-Szene, die der "Welt"-Journalist Martin Heller am Montag in Dresden festgehalten hat. "Du lügst," fährt ihn eine kurzhaarige Demonstrantin an. "Pegida ist nicht rechts!" Der Journalist fragt nach, wo sie denn Pegida im Parteienspektrum einordnen würde? Antwort: "Wir sind das Volk! Wir wollen, dass sich hier was ändert, du Blödmann!"
Man hätte von der Frau gerne noch gewusst, in welcher Welt sie denn gerne leben würde? Aber in die abgeschottete Parallel-Realität von Pegida und AfD einzudringen, ist so gut wie unmöglich. Die Verbreitung ihrer paranoiden Untergangsszenarien ("Umvolkung") sind nichts weiter als eine perfide Form des Machtmissbrauchs, um die eigenen Anhänger erfolgreich zu manipulieren. Dagegen an zu argumentieren ist meist sinnlos. Mit Fakten lassen sich keine Brücken mehr bauen, denn die sind ja "gelogen und gefälscht", so lange sie nicht der eigenen Auffassung entsprechen. Man kann nur hoffen, dass die wirkliche Wirklichkeit die "Realität der anderen" irgendwann entblößt.