Pressekonferenzen in der Downing Street Nummer 10 sind normalerweise heiß umkämpfte Termine im politischen Leben Londons. Normalerweise muss unter den Korrespondenten gelost werden, wer hinein darf in die dunkle Tür mit der berühmten Nummer und von dort durch ziemlich verwinkelte und seltsam heruntergekommene Gänge hinaufgeführt wird in den holzgetäfelten Pressekonferenz-Raum.
Doch für das gemeinsame Auftreten des afghanischen Präsidenten mit dem britischen Premier war das Interesse auffallend gering ausgefallen. Nur zwei Kameras standen hinter den Gittern der Downing Street, um Karzai und Brown auf dem roten Teppich gemeinsam beim Händeschütteln und Karzai allein bei der Abfahrt im schwarzen BMW mit Motorrad-Entourage zu filmen. Und die Stuhlreihen im Konferenz-Raum waren auffallend leer, so leer, dass die Sprecher des britischen Premierministers aufgeregt hin und her liefen, um sicher zu stellen, dass in der sonst stets zu knapp bemessenen Viertelstunde genug Fragen gestellt würden.
Brown inenenpolitisch unter Druck
Karzai trug, wie stets, seinen eleganten, grün-blauen traditionellen Umhang. Brown hatte eine strahlend rote Krawatte zum dunklen Anzug angelegt. Er sah müde aus. Der britische Premierminister musste gestern eine sehr unangenehme Fragestunde im Parlament über sich ergehen lassen, die heute in allen britischen Zeitungen diskutiert wird. Für Außenpolitik im fernen Afghanistan war das Interesse daher sehr gering.
In der gestrigen Parlaments-Sitzung hatte der Oppositions-Führer David Cameron den Premier hart angegangen für die Fehler, die während der vergangenen schottischen Wahl zur Ungültigkeit von tausenden Stimmzetteln geführt hatten. Daraufhin hatte Brown Cameron vorgeworfen, die Wähler täuschen zu wollen – ein schweres Vergehen im britischen Unterhaus, in dem zwar sehr lauter Unmut geäußert werden, ein Gegner jedoch nicht eines Vergehens beschuldigt werden darf.
Der Premier wurde vom Sprecher des Hauses zur Ordnung gerufen – er solle seine Worte mäßigen. Dies war schon die zweite Fragestunde im Parlament, in der Brown nicht mehr wie ein souveräner Staatsmann wirkte, sondern wie ein defensiver Grantler. Brown verliert den Popularitäts-Vorsprung, den er sich nach der Wahl aufgebaut hatte.
Karzai fordert mehr Verantwortung
Beim Zusammentreffen mit Karzai wirkte er müde, sein Gesicht sackte nach unten. Er überließ dem afghanischen Präsidenten für lange Passagen das Wort. Der balancierte zwischen Dankbarkeit für die Hilfe der internationalen Gemeinschaft und leichter Kritik an der Bevormundung seiner eigenen Regierung. Er warnte, dass trotz tausender neuer Schulen, eines gewählten Parlamentes und inzwischen 13 drogenfreien Provinzen die gemeinsame Reise noch nicht beendet sei: "Es ist noch nicht an der Zeit für die internationalen Truppen, Afghanistan zu verlassen. Es ist jedoch durchaus an der Zeit, den Afghanen selber mehr Verantwortung zu geben."
Diese Worte sollten wohl auch an die Mitglieder der Nato-Staaten gehen, deren Verteidigungsminister gerade in den Niederlanden über den Nato-Einsatz in Afghanistan diskutieren.
Brown nimmt Europäer in die Pflicht
Gordon Brown wiederholte, wohl auch an diese Adresse gerichtet, eine Forderung, die von den Briten schon seit einiger Zeit gestellt wird: "Es ist an der Zeit, dass die internationale Gemeinschaft die Last des Militär-Einsatzes in Afghanistan teilt!" Ohne dass der Premierminister dies heute Morgen weiter ausführte, geht dieser Ruf vor allem an Länder wie Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien, die aus verschiedenen Gründen nicht an den Kämpfen im Süden des Landes beteiligt sind.
Es scheint, als ob Großbritannien gemeinsam mit den Vereinigten Staaten den Druck auf diese Länder erhöhen will. Heute morgen sagte Robert Hunter, Ex-US-Botschafter bei der Nato, der BBC-Radiosendung "Today": "Wenn sich die Dinge verschlechtern sollten, wird sich der Druck vor allem der USA auf andere Alliierte erhöhen. Sollte dies ohne Ergebnis bleiben und es irgendwann in Zukunft ein Problem in Europa geben, wird es schwierig werden, die USA davon zu überzeugen, den Europäern zur Hilfe zu eilen."
Kritik an USA
Während jedoch die Amerikaner auf eine Verstärkung der Truppen in Afghanistan drängen werden, schienen sich Premier Gordon Brown und Präsident Hamid Karzai nach ihren Gesprächen heute Morgen einig zu sein, dass das Militär die Probleme in Afghanistan nicht lösen werden kann. Gordon Brown will, so sagte er, vor allem die Entwicklungshilfe für Afghanistan besser koordinieren und größere Anstrengungen auf den Aufbau einer eigenständigen Industrie im Lande verwenden.
Und Präsident Karzai wandte sich sehr eindeutig gegen den Plan der Amerikaner, den Anbau von Opium im Land durch das Versprühen von Chemikalien zu behindern: „Unser Trinkwasser würde dadurch verseucht. Das ist keine Lösung. Wir brauchen eine gemeinsame Strategie und vor allem Geduld, um diesem Problem Herr zu werden.“
Dann schüttelten die beiden gegenseitig Hände und Gordon Brown knipste für den Moment des Blitzlichtgewitters ein strahlendes Lächeln an. Auf dem Weg zum wartenden BMW legte der Premier einen Arm um Karzais Schulter. Ein bisschen sah es aus, als ob er sich festhalten wollte