Belarussischer Staatschef Lukaschenko taucht nach Tagen wieder auf – doch seine Probleme sind immer noch da

Alexander Lukaschenko
Das erste Foto seit Tagen: Alexander Lukaschenko am Montag im Zentralkommando der Luftwaffe
© Belarus' Presidential Press Office/AP / DPA
Er ist zumindest nicht todkrank. Nach einigen Tagen und vielen Spekulationen hat sich der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko wieder öffentlich blicken lassen. Doch die Propagandabilder werden das Gerede um ihn kaum verstummen lassen.

Ende November 1981 schleppte sich in Bonn, damals die Hauptstadt der Bundesrepublik, ein von Krankheit gezeichneter Leonid Breschnew an einer Ehrenformation der Bundeswehr vorbei. Ein Jahr später war der sowjetische Langzeitherrscher tot. Sein Nachfolger Juri Andropow übernahm schwerkrank den Posten des Generalsekretärs der in der Sowjetunion herrschenden KPdSU. Er starb nach nicht einmal zwei Jahren im Amt. Dessen Nachfolger wiederum, Konstantin Tschernenko, schaffte nur noch 13 Monate. Eine Kremlführung ohne tattrige Gerontokraten war in den letzten Jahren des bröckelnden Sowjetreichs kaum vorstellbar.

Keine Sowjetunion, aber so gut wie

Nun gehört Alexander Lukaschenko nicht in diese Riege, aber in vieler Hinsicht führt er als Präsident von Belarus die alten Traditionen des Vorgängerstaats weiter: die Repression und Terror durch den Geheimdienst, der immer noch KGB heißt. Den Personenkult. Die abgeschottete Bürokratenelite. Und eine scheinbar ewige Herrschaft, die ihm den fragwürdigen Beinamen "der letzte Diktator Europas" eingebracht hat. Als Greisenherrscher ist Lukaschenko mit seinen 68 Jahren zwar noch zu jung, doch die jüngsten Bilder von ihm zeigen einen Mann, um dessen Gesundheit es womöglich nicht zum Besten steht.

"Er kann noch nicht einmal mehr ein paar 100 Meter gehen, kann keine Reden mehr halten, kann nicht mal mehr gerade auf der Tribüne stehen, wankend vor Schwäche", sagte der im Exil lebende, frühere belarussische Kulturminister Pawel Latuschko jüngst. Anlass war Lukaschenkos Auftritt bei der 9.Mai-Parade in Moskau. Da saß der Präsident auf der Tribüne zwischen Weltkriegsveteranen und machte einen mehr als gequälten Eindruck. Dem anschließenden Fototermin mit anderen Staatsgästen und dem Dinner am Abend blieb er fern. Aus "gesundheitlichen Gründen", wie es hieß.

Das Herz? Ein Virus? Vergiftung?

Später an dem Tag war er zwar wieder bei einer Kranzniederlegung in der belarussischen Hauptstadt Minsk zu sehen, seine übliche Rede aber hielt er nicht. Kurz danach blieb er sogar der Feier zum Tag der Staatsflagge fern – zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt vor 29 Jahren. Spätestens da kannten die Spekulationen über seine Gesundheit keine Grenzen mehr. In der benachbarten Ukraine wurde berichtet, der Diktator sei in ein Krankenhaus gebracht worden. Von Herzproblemen war die Rede, einer Virusinfektion, sogar von einer eine Vergiftung mit Nowitschok durch den russischen Geheimdienst FSB.

Der frühere, schwedische Außenminister Carl Bildt sorgte sich auf Twitter mit den Worten: "Was ist geschehen? Es gibt viele Gerüchte zur Gesundheit von Lukaschenko. Wenn es ernst ist, können wir mit einer Krise zur Zukunft von Belarus rechnen – und wohl damit, dass Russland eine rasche und komplette Übernahme anstrebt." Am Montag, den 15. Mai dann tauchte der Staatschef wieder im Fernsehen auf: In grüner Uniform im Zentralkommando der Luftwaffe stehend, vor ihm ein salutierender Militär. Sollte der Minsker Propagandaapparat gehofft haben, damit die Spekulationen zu beenden, könnte er sich getäuscht haben. Denn zu sehen ist ein wächserner Lukaschenko, mit schwacher Stimme und einem Verband an der linken Hand.

Belarus in erhöhter Alarmbereitschaft

Bei seinem Besuch verkündet Lukaschenko dann etwas, was bislang nur als Gerücht existierte: die Abschüsse von Hubschraubern und Flugzeugen im russischen Grenzgebiet zu seinem Land und der Ukraine. "Da wurden vier Flugzeuge abgeschossen. Wir mussten darauf reagieren. Seither befinden wir uns in erhöhter Bereitschaft", sagte er.

Wie es Alexander Lukaschenko tatsächlich geht, darüber schweigt sich die Regierung in Minsk aus. Vermutlich aus gutem Grund, denn Machthaber wie er, oder auch Wladimir Putin, dürfen nicht krank werden. Schon gar nicht ernsthaft. Denn bei einem System, das sich ausschließlich um diese eine Person dreht, würde der Ausfall dieser einen Person das gesamte Konstrukt ins Wanken bringen. Genau das lässt sich auch als Waffe gegen sie einsetzen, weswegen einige Beobachter glauben, dass die Gesundheitsspekulationen um Lukaschenko gezielt gestreut wurden, um ihn zu schwächen.

Opposition schwört Belarussen auf Machtwechsel ein

Interesse daran hat zum einen die belarussische Opposition, sie hauptsächlich aus dem Exil heraus agiert. Deren Anführerin Swetlana Tichanowskaja rief kurz vor Lukaschenkos Wiederauftauchen die Belarussen auf, sich auf einen politischen Wechsel vorzubereiten. "Wir müssen auf jedes Szenario gut vorbereitet sein. Um Belarus auf den Weg der Demokratie zu bringen und eine Einmischung Russlands zu verhindern", schrieb sie auf Twitter. Die 40-Jährige lebt in Litauen und kam durch die Proteste gegen die mutmaßlich manipulierten Präsidentschaftswahl 2020 an die Spitze der Opposition. Damals war es Wladimir Putin, der den unter Druck geratenen Lukaschenko unterstützte und so für dessen Verbleib an der Staatsspitze sorgte. Seit dieser Hilfe ist Minsk mehr denn je dem großen Bruder in Moskau ausgeliefert.

Von belarussischem Staatsgebiet aus und mit Minsker Unterstützung überfiel Russland im Februar 2022 die Ukraine. Schon im Jahr zuvor hatte Kremlchef Putin Pläne zur de facto-Übernahme von Belarus entwickelt. Danach sollte das Nachbarland bis zum Jahr 2030 politisch, wirtschaftlich und militärisch unterwandert werden. Ziel: ein gemeinsamer Unionstaat unter Führung Moskaus. Im Frühjahr wurden die entsprechenden Dokumente der russischen Präsidialverwaltung bekannt, viele Belarussen waren davon aber nicht überrascht. Der Kreml wie auch viele Russen betrachten Belarus genau wie die Ukraine als Teil ihres Landes, wenigstens aber als Staaten, die im Sinne Russland zu handeln hätten.

Hassliebe zwischen Putin und Lukaschenko

Lukaschenko und Putin verbindet dabei eine Hassliebe. Grundsätzlich einander freundlich gesinnt, hat der belarussische Präsident seinen Kollegen aus dem Kreml immer wieder spüren lassen, dass er sich eine intensivere Zusammenarbeit ihrer Länder nicht vorstellen kann. Lukaschenko wollte eben Staatschef bleiben und kein Regionalgouverneur werden. 2019 ließ er deshalb die Unterzeichnung eines Kooperationsabkommen platzen, was Putin ihm übel nahm. Nach den Protesten 2020 aber brauchte er wieder die Hilfe Russlands, seitdem ist der Mann aus Minsk in so gut jeder Hinsicht abhängig von Moskau.

Vielleicht sogar noch mit Alexander Lukaschenko an der Spitze, aber spätestens nach seinem Abtritt dürfte Belarus seine Unabhängigkeit einbüßen. Für letzten Fall hält sich unter anderem die Vorsitzende des Rates der Republik, Natallja Katschanawa, bereit – nach eigener Auskunft eine glühende Verehrerin des Staatschefs und damit eher keine Figur, die das Land Richtung Westen busgieren würde, wie es die Demokratiebewegung erhofft.

Quellen: DPA, N-TV, AFP, "Tagesspiegel", Euronews, DeutschlandfunkZDF, Dekoder