Der Iran hat die Siegel der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) an der Atomanlage in Natanz entfernt. Damit erreicht der Konflikt um Teherans Atomprogramm eine neue Eskalationsstufe. Will der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad einen Militärschlag gegen sein Land provozieren?
Die Absicht, Uran anreichern zu wollen, ist natürlich eine Provokation gegenüber den verhandlungsbereiten Europäern - Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Und doch steht der iranische Präsident Ahmadinedschad nicht für die gesamte Elite im Iran. Ich denke, dass wir weiterhin davon ausgehen können, dass die Eliten in Teheran alles andere als monolithisch sind. Darauf können sich nach wie vor auch Möglichkeiten des Dialogs, von Kompromissen oder von neuen Angebots-Offensiven gründen.
Zur Person
Der Amerika- und Abrüstungsexperte Bernd W. Kubbig, 55, ist Privatdozent an der Universität Frankfurt und Leiter der Koordinationsgruppe Raketenabwehrforschung der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).
Wie weit sind die Iraner von der Möglichkeit entfernt, Material für Atomwaffen herzustellen?
Die öffentlichen Angaben aus Israel, den USA und Europa, die mir zur Verfügung stehen, variieren sehr stark zwischen drei, fünf oder auch zehn Jahren.
Die Iraner behaupten, sie wollten ihr nukleares Forschungsprogramm nur zu zivilen Zwecken fortsetzen. Gibt es - etwa in Natanz - Anlagen, mit denen sich Material für Atomwaffen leichter herstellen ließe?
Das Atom ist nicht spaltbar. Es ist sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke anwendbar. Das ist die Problematik aller Atomenergie. Die Frage ist: Kann man dem Iran vertrauen, wenn er behauptet, dass er nur die zivile Option nutzt - oder muss man nicht doch, wie es die Europäer wollen, rote Mauern einziehen, um zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter? Der Iran hat dadurch, dass er seine Aktivitäten über fast zwei Jahrzehnte hinweg verschwiegen hat, sehr viel Vertrauen verspielt. Wenn man die Berichte von (IAEO-) Generalsekretär El-Baradei liest, dann gibt es ganz konkrete Aufforderungen von Seiten der Wiener Kontrollbehörde. Es ist geboten, dass der Iran hier nachliefert und sich kooperativ zeigt.
Stichwort Vertrauen. Eigentlich hat der Iran mit den drei EU-Vertretern Deutschland, Frankreich und Großbritannien ausgemacht, die Forschung einzustellen. Der Bruch der Siegel ist ein Schlag ins Gesicht der EU. Ist jetzt nicht langsam Schluss mit lustig? Müssen die Europäer nicht eine härtere Gangart einlegen?
Die Iraner und die Europäer haben von Anfang an von zwei verschiedenen Prämissen aus verhandelt. Die Iraner haben immer gesagt, dass sie vorübergehend und freiwillig die Anreicherungs-Option aussetzen. Es ist auf der iranischen Seite nie die Rede davon gewesen, dass sie das auf unbestimmte Zeit und grundsätzlich machen wollen. Insofern haben die Iraner mit offenen Karten gespielt. Das Problem besteht darin, dass der Atomwaffensperrvertrag die Möglichkeit der Uran-Anreicherung rein rechtlich vorsieht und dennoch den Griff nach der Atombombe verbietet.
Am Donnerstag wollen sich die Außenminister der EU-3-Staaten zu einer Krisensitzung in Berlin treffen. Wie können die Europäer nun auf die Provokation aus Teheran reagieren?
Ich möchte drei Punkte vorschlagen. Erstens ist klar, dass in den facettenreichen Eliten Irans offensichtlich seit geraumer Zeit ein Konsens darüber vorherrscht, dass man an dem Recht auf Uran-Anreicherung nicht rütteln will. Ich schlage vor, Teheran auf eine sicherheitsverträgliche Weise entgegen zu kommen. Man kann dem Iran das Angebot machen, dass er eine bestimmte Anzahl von Zentrifugen baut - aber eben in Anwesenheit der Wiener Kontrolleure und bei Beibehaltung weit reichender Inspektionsmöglichkeiten durch die IAEO. Es muss nach wie vor das wichtigste Ziel sein, dass die Inspektoren Zugang zum Iran und seinen Nuklear-Aktivitäten haben. Wenn der Zugriff erst einmal nicht mehr gegeben ist, dann ist jeder Überblick von Seiten des Westens unmöglich. Zweitens sollten die Europäer im Energiebereich und im Handels- und Wirtschaftsbereich mit konkreten Initiativen noch einmal auf Teheran zugehen. Hier gibt es beträchtliche Ausbaumöglichkeiten. Es kommt jetzt darauf an, die Zielgruppe in Teheran - etwa um den konservativen Pragmatiker Rafsandschani - anzusprechen und auch diese Gruppen gegenüber Präsident Ahmadinedschad zu stärken, der wahrscheinlich völlig unflexibel ist. Drittens muss die Fixierung auf die Anreicherungsfrage aufgelöst und relativiert werden, sie muss in einem größeren Kontext stehen. Es wäre wichtig, dass die Europäer das tun, was sie können: Konferenzdiplomatie betreiben, die verschiedenen Verhandlungspartner - inklusive Israel - an einen Tisch bekommen. Man muss versuchen, kleinschrittig voranzugehen - mit dem Fernziel einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten. Über die technischen Fragen hinaus ist Europa als Garantiemacht für eine größere regionalpolitische Konferenz gefordert.
Das klingt nach Arbeitsteilung. Die Europäer können dem Iran das Zuckerbrot hinhalten, die USA die Peitsche. US-Präsident George W. Bush droht Teheran unverhohlen mit einem Militärschlag, die USA dringen darauf, das Thema im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu behandeln. Was halten Sie von dieser "Peitschen-Option"?
Um die geht es ja momentan noch nicht. Die Alternative sähe so aus: Die IAEO würde die Sache an den Sicherheitsrat verweisen. Dort würde sie behandelt und die Frage von Sanktionen stünde auf der Tagesordnung. Das ist eine Möglichkeit, deren Umsetzung ich gegenwärtig für verfrüht halte, weil Europa seine anderen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft hat. Europa sollte auf Zeit spielen und eine neue Angebots-Offensive starten. Aus heutiger Sicht ist abzusehen, dass Russland - und möglicherweise auch China - im Sicherheitsrat nicht mitspielen werden. Das ist keine gute Entwicklung. Was die militärischen Optionen anbelangt, habe ich im Augenblick Schwierigkeiten, mir diese vorzustellen. Selbst wenn ein Militärschlag möglich oder sogar wahrscheinlich ist, dann würde er im Iran wie ein Konsensverstärker wirken. Dann würden alle Iraner weit über die Eliten hinaus zusammenhalten. Das würde den Griff nach der Bombe nur noch verstärken. Dem sollten wir weiter mit aller diplomatischer Macht entgegenwirken.