Start der Vorwahl Biden oder Sanders: Iowa entscheidet, wer den "gefährlichsten US-Präsidenten" schlagen soll

In den USA starten die Vorwahlen und Iowa wählt traditionell als einer der ersten Bundesstaaten. Wer hier gewinnt, hat gute Chancen, Präsidentschaftskandidat zu werden. Gebannt schaut das Land daher auf das Duell Biden gegen Sanders.

Können Bernie Sanders oder Joe Biden Trump schlagen?  Am Abend wird Cecil Kingsley den Anfang von Donald Trumps Ende besiegeln. Davon ist sie fest überzeugt. Kingsley, 77, will beim Caucus, den demokratischen Parteiversammlungen in Iowa, für den ehemaligen Vizepräsidenten Biden stimmen. "Joe Biden kann unser Land wieder vereinen, er ist der einzige Kandidat, der Trump mit Sicherheit schlagen wird", sagt sie. Es ist der frühe Sonntagabend in Des Moines, gerade hat sie Biden aus der Nähe gesehen, er sprach bei seinem Wahlkampfendspurt in einer Turnhalle in Iowas Hauptstadt. Die Halle war voll, eine Luft wie zu viert im Zweimann-Zelt. Und es war vor allem warm, das lag auch an dem nostalgischen Wärmestrom, den Menschen wie Kingsley mit dem Mann austauschen, der mit Obama fast schon brüderlich verbunden zu sein schien. 

Joe Biden der Favorit - warum eigentlich?

Joe Biden führt in vielen Umfragen, doch angesichts hölzerner Auftritte fragt man sich, warum eigentlich
Joe Biden führt in vielen Umfragen, doch angesichts hölzerner Auftritte fragt man sich, warum eigentlich
© Jim Watson / AFP

Biden ist der Favorit in vielen Umfragen, und es ist nicht leicht zu verstehen, warum. Er hält eine hölzerne Rede, man merkt ihm an, dass er in Washington zu Hause ist und nicht auf Wahlkampfbühnen, er wirkt blass und dass er nunmehr 77 Jahre alt ist, unterstreicht die Anwesenheit der jungen Leute nur, die sein Wahlkampteam hinter ihm platziert hat. Vor ihm, im Publikum, sind die Haare meist grau. Er spricht über die Seele Amerikas, die er heilen wolle. Er redet nicht über seine Agenda, er redet über Anstand. Er ist der Kandidat der Nostalgie. Damit erreicht er viele Menschen im Saal. "Er bringt wieder Würde ins Amt. Er hat Erfahrung, er wird unser Land endlich wieder in ruhiges Fahrwasser bringen und Rassismus bekämpfen. Ich sehne mich einfach nach Normalität und Berechenbarkeit", sagt Belinda Alexander, 55. Die Afroamerikanerin ist aus dem Bundesstaat Mississippi angereist, will hier im kalten Norden lernen, wie man den Wahlkampf zu organisieren hat. 

Berechenbar scheint allerdings im Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur kaum etwas. Eine letzte Umfrage der "New York Times" sieht Joe Biden und Senator Bernie Sanders mit jeweils 22 Prozent an der Spitze des Votums in Iowa. Dahinter folgen der Bürgermeister Pete Buttigieg (hier ein Video über den Kandidaten) mit 18 Prozent und Senatorin Elizabeth Warren mit 15 Prozent. Allerdings sind noch immer bis zu 40 Prozent der Caucus-Wähler unentschlossen, es ist schwer vorherzusehen, für wen sie sich entscheiden werden. 

Brauchen sie ein neues Gesicht oder ein bekanntes?

Man spürt bei den Wahlveranstaltungen die Aufregung der Demokraten in Iowa. Viele erzählen, sie selbst fühlten sich angespannt wie niemals in den Jahren zuvor. Seit der Nacht im November 2016, als Donald Trump so unerwartet die Wahl gewann, treibt sie die Frage um, wie sie ihn schlagen können. Sollten sie nach links schwenken oder in die Mitte? Brauchen sie ein neues Gesicht als Kandidaten oder ein altbekanntes? Einen Mann oder eine Frau? Und seit einigen Wochen: Sind wirklich zwei alte, weiße Männer wie Biden und Sanders die Zukunft der demokratischen Partei? 

stern-Auslandskorrespondent Jan-Christoph Wiechmann begleitet Robyn Wingerter im US-Bundesstaat Iowa.
© stern.de / AFP
"Wir brauchen ein Wunder, um Trump zu besiegen": Diese Wählerin bleibt enttäuscht von den Demokraten

Am Abend werden sie wohl erste Antworten bekommen. Nach Monaten von Spekulationen und Wahlkampfdebatten wird endlich das erste Mal gewählt, die Stimmen der Demokraten in Iowa könnten die der folgenden Staaten beeinflussen. Am Abend werden sich die Demokraten hier zu Parteiversammlungen in 1678 Turnhallen, Kirchen und Schulen versammeln. Es ist ein altertümliches, merkwürdiges und gleichzeitig herrlich bildhaft-demokratisches Ritual, bei dem jedem Kandidaten ein Platz im Raum zugeteilt wird, an dem sich seine Wähler versammeln. 15 Prozent der Anwesenden muss ein Kandidat mindestens auf sich vereinen. Wähler die Kandidaten unterstützt haben, die unter die Hürde fallen, können sich für einen der verbliebenen Kandidaten entscheiden. Diese Abstimmung mit den Füßen ist wenig berechenbar und hat große Signalwirkung. 

Vorentscheidender Auftrieb aus Iowa

In Iowa werden Favoriten aus dem Rennen geworfen, hier bekommen Außenseiter Rückenwind, hier nehmen Wahlkämpfe Fahrt auf oder enden abrupt. Noch sind elf Kandidaten im Rennen, wahrscheinlich werden nach der ersten Wahl weniger zur Wahl nach New Hampshire fahren. Die Wähler von Iowa haben unerhört viel Macht. Sie haben sämtlichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten in diesem Jahrhundert den vorentscheidenden Auftrieb zum (Kandidaten-)Sieg gegeben: John Kerry 2004. Barack Obama 2008. Hillary Clinton 2016. 

Und sie werden es für Bernie Sanders 2020 tun, so glauben es die Leute jedenfalls in der Schlange vor der Bar "Ingersoll Tap" im Westen von Des Moines. Hier herrscht Stimmung wie vor einem Rockkonzert. Die meisten hier sind unter 30, sie tragen Hipster-Kleidung, einige sind stundelang gefahren, um mit Sanders den kommenden Sieg zu feiern. 

Mehr als 100 Veranstaltungen hat Bernie Sanders hinter sich, am Samstag trat er vor 3000 Leuten mit der Indie-Band "Vampire Weekend" in einer Kleinstadt auf. Er ist nicht nur deswegen der unangefochtene Held der jungen Wähler in Iowa. Seit einigen Wochen surft er auf einem Umfragehoch. Das konservativere Partei-Establishment der Demokraten ist hoch besorgt. Mit dem kompromisslosen demokratischen Sozialisten Sanders, so die Furcht, lassen sich im Mittleren Westen nicht genug Wähler gegen Trump mobilisieren. 

"Den gefährlichsten US-Präsidenten schlagen"

Vor dem Footballspiel tritt Sanders mit Frau und Enkelkindern vor die Menge in der Bar, eine kurze Ansprache nur, er muss am Montag wegen des Impeachment-Verfahrens in Washington sein. "Das ist die wichtigste Wahl in der Geschichte Amerikas. Wir müssen den gefährlichsten Präsidenten der USA schlagen", ruft er. Im traditionellen Fernsehinterview vor dem Superbowl, dass die Leute hier in der Bar demonstrativ zu ignorieren schienen, hatte Donald Trump Sanders einen "Kommunisten" genannt. Sanders kontert nun: "Meine Agenda ist nicht nur für Millionäre." Er zählt dann seine Punkte auf: Krankenversicherung für alle, Mindestlohn, Bildung für alle, Kampf gegen den Klimawandel. Dann ruft er seinen Fans noch zu: "Morgen ist der Anfang vom Ende von Donald Trump. Bringt die Leute zum Caucus!"

Bernie Sanders in Iowa
Bernie Sanders in Iowa: Der älteste Kandidat im Rennen zieht erstaunlich viele junge Anhänger an
© Alex Wong/Getty Images / AFP

"Bernie! Bernie! Bernie!", rufen die Leute. Sie werden alles dafür tun, um Sanders zum Erfolg zu verhelfen. Kein Kandidat hat solch eine eingeschworene Fanbasis wie er. Keine andere Anhängerschaft ist aber auch so kompromisslos wie seine, selbst wenn es darum geht, Trump zu schlagen. "Joe Biden könnte ich niemals wählen. Wir brauchen radikale Veränderung, nicht eine Rückkehr in die Vergangenheit", sagt eine Frau aus dem Wahlkampfteam.

"Bernie Sanders würde er nie wählen"

Ähnlich verhärtet sind die Fronten auch bei den Anhängern von Joe Biden, wenn es um Bernie Sanders geht. "Mein Mann ist Republikaner, ich konnte ihn davon überzeugen, die Demokraten zu wählen, wenn Joe antritt. Bernie Sanders könnte er aber nie wählen. Wir brauchen Joe Biden, er versöhnt unser Land. Nur er kann Trump schlagen", sagte eine Frau bei Bidens Abschlussveranstaltung.

Die Anhänger von Joe Biden und Bernie Sanders werden sich beim Caucus gegenüberstehen. Sie werden diskutieren, verhandeln, überzeugen. Vielleicht werden sie am Ende einen Sieg feiern, vielleicht wird ein anderer Kandidat ihren Favoriten von der Spitze verdrängen. Sicher aber ist, dass die Wähler der Demokraten in den Vorwahlen der nächsten Wochen vor einer Richtungsentscheidung stehen zwischen dem moderaten Lager und der erstarkten linken Strömung. 

Biden-Anhängerin Cecil Kingsley ist gerüstet für den Rüstungskampf. Sie wird bedingungslos für Joe Biden kämpfen. "Das ist nicht mein erster Caucus", sagt sie. "Ich kenne die Tricks!"